Unbekannter Meister: Deborahs Führungsstärke
- Brügge, ca. 1650
- Tapisserie, 385 x 385 cm
- Eigentum der LMU
Die um 1650 in Brügge gewirkte Tapisserie zeigt eine Szene aus einer alttestamentarischen Geschichte, die im Buch der Richter überliefert wird:
Nachdem der Kanaaniter Sisera sein ganzes Heer in der Schlacht gegen die Israeliten verloren hatte, gelangte er auf der Flucht vor deren Feldherrn Barak, den die Richterin Deborah engagiert hatte, zum Zelt des in diesem Krieg neutralen Keniters Hebar. Dessen Frau Jahel, die allein zuhause ist, gewährt Sisera zunächst Zuflucht, verköstigt ihn und bietet ihm einen Schlafplatz an. Als Sisera beruhigt eingeschlummert ist, nimmt Jahel jedoch heimlich einen Hammer und treibt dem schlafenden Sisera einen Zeltpflock mit Wucht durch die Schläfe bis in den Boden.
Die Darstellung auf der Tapisserie hält nun jenen Augenblick fest, als Barak (links im Bild in Begleitung eines anderen Soldaten), der Sisera nachgejagt ist, bei Hebars Zelt im Beisein Deborahs (Mitte) eintrifft. Jahel präsentiert ihm - rechts im Bild und das Corpus delicti noch in der Hand - den erledigten Gegner. Anstelle des aufgespießten Hauptes des arglosen Sisera, das ursprünglich hier am Boden zu sehen war, wurde später - sei es empfindsamerer Gemüter oder der mehrdeutigen Symbolik wegen - das runde Hohl eines Helmes eingenäht, wie auf der Rückseite der Tapisserie schön zu erkennen ist. Dazu auf der Fahne mittig unten Deborahs Jubelkommentar: Die gesegnete unter den Frauen Jahel griff mit der Linken den Pflock und mit ihrer Rechten den Hammer und durchbohrte den Sisera.
Die Tapisserie ist Bestandteil einer Serie von insgesamt sieben allegorischen Darstellungen der Tugenden, verkörpert durch Heldinnen des alten Testaments. Allen Arbeiten dieser Reihe gemeinsam ist die Gestaltung der Bordüre: beidseitig die mit Früchten und Blattwerk verzierten, gedrehten Säulen, zwischen mit Puttenköpfen besetzten Basen und Kapitellen. Oben mittig, jeweils ein Medaillon, dessen lateinische Inschrift die Bildthematik beschreibt: wie in unserem Fall Deborahs Führungsstärke, unten in Form einer Fahne, das jeweils passende Bibelzitat dazu.
1987 fand in Brügge eine große internationale Ausstellung über die dortige Tapisseriekunst statt, bei der auch Exponate aus dieser Serie gezeigt wurden. „Deborahs Führungsstärke“ galt jedoch damals als verschollen, wie dem Katalog zu entnehmen ist, wo die Arbeit als wohl verloren gegangenes Exemplar aus der ehemaligen Sammlung des Frankfurter Antiquitätenhändlers Rudolf Bangel aufgeführt wird. Tatsächlich hängt die Tapisserie jedoch seit 1954 ununterbrochen im Senatssaal der LMU. Vermutlich hatte der Kunstsammler Dr. Anschütz-Kaempfe das Stück bei Bangel erworben und in sein Schloss Lauterach, das er später der LMU schenkte, verbracht, so dass das Kunstwerk später an seinen heutigen Ort gelangen konnte.
Weitere Informationen zu diesem Kunstwerk:
Film: Marginalien beim Aperitivo: 1. Mit dem Kreiselkompass zu Jahels Zelt