Beim Hören leiten Nervenzellen akustische Information vom Innenohr zu den neuronalen Schaltkreisen im Gehirn. Dabei werden die von außen kommenden mechanischen Schwingungen in elektrische Impulse umgewandelt. Eine besondere Herausforderung für das Gehör ist es, die Schallquellen richtig zu orten, da der Schall das Ohr, das der Quelle am nächsten zugewandt ist, wenige Mikrosekunden früher erreicht als das andere Ohr. Dieser Unterschied in der Ankunftszeit eines Schalls an beiden Ohren wird als interaurale Laufzeitdifferenz bezeichnet. Forscher der Arbeitsgruppe von LMU-Neurowissenschaftler Professor Benedikt Grothe und Dr. Michael Pecka beschreiben nun erstmals einen besonderen chemischen Mechanismus, der eine wichtige Rolle für diese mikrosekundengenaue Verarbeitung spielt. Darüber berichten sie aktuell in der Fachzeitschrift PNAS.
Bevor Zellen im auditiven Stammhirn die interaurale Laufzeitdifferenz berechnen können, müssen die Informationen erst über Synapsen zu ihnen übertragen werden. Normalerweise können dadurch je nach Lautstärke unterschiedliche Verzögerung durch die Synapsen entstehen. Die LMU-Neurowissenschaftler konnten nun jedoch einen Übertragungsweg aufzeigen, bei dem die Synapsen minimale und gleichbleibende Verzögerungen haben. „Auch bei unterschiedlichen Aktivierungsraten bleibt die Verzögerung konstant. Das ist entscheidend für die möglichst genaue Verarbeitung von interauralen Zeitdifferenzen“, sagt Benedikt Grothe.
Die LMU-Neurowissenschaftler zeigen zudem, dass eine besondere strukturelle Eigenschaft der Axone, die sie 2015 im Fachjournal Nature Communications erstmals beschrieben haben, mit dieser Fähigkeit korreliert. Demnach sorgt eine spezifische Isolierung dafür, dass Axone besonders schnell leiten können – eine wichtige Voraussetzung dafür, dass die Zeitunterschiede exakt berechnet werden können. Beide Phänomene finden sich nur bei Tieren wie Wüstenrennmäusen, die Zeitunterschiede zur Lokalisation von Schall nutzen und dadurch auch niederfrequente Töne orten können. „Unsere Arbeit belegt, dass sich Nervenzellen und Schaltkreise anatomisch und physiologisch an die funktionalen Besonderheit ihrer Aufgabe anpassen“, sagt Dr. Michael Pecka. „Wir gehen davon aus, dass alle Tiere, die niederfrequente Töne wahrnehmen, über diese strukturellen Besonderheiten verfügen.“ (PNAS 2017)
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