Das große Korallensterben
16.04.2019
Immer mehr Korallenriffe gehen zugrunde – eine Folge des Klimawandels. Wird es in 20 Jahren noch Korallenriffe geben? Professor Wörheide ist skeptisch.
16.04.2019
Immer mehr Korallenriffe gehen zugrunde – eine Folge des Klimawandels. Wird es in 20 Jahren noch Korallenriffe geben? Professor Wörheide ist skeptisch.
Herr Professor Wörheide, wie zeigen sich die Veränderungen in den Korallenriffen?
Seit 2004 mache ich mit Studierenden jedes Jahr Exkursionen zu Korallenriffen. 2016 waren wir auf den Malediven. Als wir zum Schnorcheln ins Wasser sprangen, mussten wir geschockt feststellen, dass rund 95 Prozent aller Korallen auf den ersten zehn Metern abgestorben waren. 2017 war ich nochmal auf einem Forschungsaufenthalt dort und habe an einem Riff während eines gesamten Tauchgangs keine einzige lebende Koralle gesehen. Das sind schon wirklich traurige Erfahrungen. Von den vorher bunten Riffkorallen sind nur noch nackte Skelette übrig, die von fädrigen Algen überzogen sind. Das ist wirklich dramatisch.
Was für Auswirkungen hat ein flächendeckendes Korallensterben auf Menschen und Natur?
Der Mensch ist abhängiger von Korallenriffen, als man vielleicht denkt. Korallenriffe funktionieren zum Beispiel als Wellenbrecher für viele Inseln in den Tropen. Sie wären an der Küste weitestgehend unbewohnbar, wenn große Wellen ungebremst auf sie treffen würden – einerseits wegen der Erosion, andererseits wegen der Überflutung. Der Inselstaat Kiribati hat kürzlich auf Fiji Grund gekauft, weil seine Inseln bereits jetzt durch den steigenden Meeresspiegel unbewohnbar werden. Gerade in Südostasien, im Pazifik und in der Karibik sind zudem hunderte Millionen Menschen direkt von den Ressourcen der Riffe abhängig. Wenn sie flächendeckend schwinden, leidet neben der Fischerei auch der Tourismus, der für viele betroffene Länder eine große Einnahmequelle darstellt. Der Verlust der enorm hohen Biodiversität in den Korallenriffen wird dramatische Folgen haben – wir stecken mitten in einem Aussterbeereignis.
Wir müssen unseren Lebenswandel drastisch ändern. Der Mensch ist von den Korallenriffen abhängiger, als man denktProfessor Gert Wörheide, Lehrstuhlinhaber für Paläontologie und Geobiologie
Was ist die größte Bedrohung für die Korallenriffe?
Ganz eindeutig primär die Klimaerwärmung und die damit steigende Meerestemperatur. Alles andere ist global gesehen zweitrangig. Die Regierung von Palau hat kürzlich bestimmte Sonnencremes verboten. Das ist löblich, aber retten werden solche Maßnahmen die Riffe nicht – weder lokal, regional noch global. Wenn das Meerwasser auch nur ein Grad über der maximalen Durchschnittstemperatur in der Region liegt, fangen die Korallen an, einzellige Algen abzustoßen, die in ihrem Gewebe Photosynthese betreiben und die Korallen mit Nährstoffen versorgen. Dauert die Anomalie nur kurze Zeit an, können die Korallen ihre Symbionten wieder aufnehmen. Nach mehreren Wochen sterben sie aber ab und die Korallen werden weiß, sie „bleichen“. Daher wird dieses Phänomen auch „Korallenbleiche“ genannt. Das sieht man sogar aus der Luft: Ganze Abschnitte der Riffe schimmern weiß durch die Wasseroberfläche.
Ist das Korallensterben regional begrenzt oder ein globales Phänomen?
Die Korallenbleiche ist ein globales Phänomen, das aber in seinen Abstufungen regional unterschiedlich sein kann. Wir haben es mit immer häufiger auftretenden globalen Korallenbleichen zu tun, die mit den sogenannten „El Nino“-Ereignissen im Pazifik korreliert werden. Im Great Barrier Reef kam es dadurch zum Beispiel 2016 und 2017 zu gleich zwei aufeinanderfolgenden Korallenbleichen. Die erhöhten Wassertemperaturen breiteten sich weit in den Indischen Ozean aus und führten auch auf den Malediven zu flächendeckender Korallenbleiche.
Eine aktuelle Studie hat gezeigt, dass sich das Great Barrier Reef kaum mehr regeneriert. Woran liegt das?
Schnell wachsende Steinkorallen dominieren oft die Riffe im Pazifik und sind besonders anfällig für Korallenbleichen. So eine schnellwachsende Korallengemeinschaft braucht zehn bis fünfzehn Jahre, um sich von einer Bleiche zu erholen. Je mehr Korallen sterben, desto länger dauert die Regeneration. Wie der australische Forscher Terry Hughes vor Kurzem treffend sagte: „Tote Korallen bekommen keine Babys“. Dazu kommt, dass sich die Frequenz der globalen Korallenbleichen erhöht hat. Sie liegt jetzt bei circa sechs bis acht Jahren. Und diese Abstände werden in Zukunft eher kürzer und nicht länger. Die Korallengemeinschaften bekommen gar nicht mehr die Chance, sich ausreichend zu regenerieren.
Können wir nicht einfach temperaturunempfindliche Arten in den Korallenriffen ansiedeln?
Theoretisch ja. Man könnte robustere Korallenarten umforsten oder neue hitzeresistentere Arten züchten. Das wird auch schon gemacht. Im Labor und vielleicht auch in einer kleinen Bucht würde das sicher gut funktionieren. Bei der Größe des Great Barrier Reefs mit seinen fast 3000 Einzelriffen und einer mehr als 2300 Kilometer Nord-Süd Ausdehnung – ungefähr die Ausmaße von Deutschland – würde das aber schon aus logistischen und finanziellen Gründen nicht gehen. Berechnungen belaufen sich auf Kosten von mehr als 100 Billionen Euro. Und die natürliche Diversität an Riffkorallen, mit hunderten Arten, könnte sowieso nicht wiederhergestellt werden. Im Grunde ist das auch nur Augenwischerei, gut gemeinter Aktionismus, aber setzt nicht am eigentlichen Problem an – dem Klimawandel.
Laufen wir also tatsächlich Gefahr, dass es in 20 Jahren keine Korallenriffe mehr geben wird?
Das ist ein Fakt. Zumindest wird es sehr wahrscheinlich keine Riffe mehr geben, wie wir sie noch vor 30 Jahren hatten. Zur Korallenbleiche kommen noch die Überfischung und die Vermüllung der Ozeane als weitere Stressoren hinzu. Man kann sich sehr gut vorstellen, was passiert, wenn diese Faktoren aufeinandertreffen: Nach einer Korallenbleiche siedeln sich Algen auf den abgestorbenen Korallen an, die Korallenlarven den Platz wegnehmen. In einem natürlichen und gesunden System würden pflanzenfressende Fische dafür sorgen, dass wieder genug freier Platz für die Ansiedlung neuer Korallen entsteht. Durch die Überfischung gibt es aber oftmals einfach nicht mehr genug pflanzenfressende Fische. Wenn dann noch Nährstoffe, zum Beispiel Düngemittel und Fäkalien von Nutztieren, über Flüsse in die Riffe eingetragen werden, hat das Riff ein riesiges Problem. Das kann dann zu einer schnellen Veralgung führen, wie wir es zum Beispiel leider in landnahen Riffen des Great Barrier Reefs beobachten müssen.
Können wir im Alltag etwas dagegen tun?
Klimaschutz ist gleichzeitig Korallenschutz. Momentan nutzen wir die zur Verfügung stehenden Ressourcen auf unserem Planeten ohne Rücksicht auf die Umwelt und die folgenden Generationen. Drastische CO2-Einsparungen sind der primär richtige und notwendige Schritt zur Besserung. Allerdings fällt es uns in unserer über lange Zeit gewachsenen Wohlstandsgesellschaft sehr schwer, unseren Lebenswandel drastisch zu ändern – da schließe ich mich mit ein. Aber jeder kann zumindest für sich anfangen. Einfach mal das Auto stehen lassen und das Fahrrad nehmen oder zu Fuß gehen. Bei Flügen sollten wir reflektieren, ob die Reise wirklich notwendig ist und nach Möglichkeit die CO2-Emissionen kompensieren. Der CO2-Ausstoß von Nutztieren, gerade von Rindern und Schafen, wird auch oft unterschätzt. Vor dem nächsten Burger sollte man sich das einmal vor Augen führen. Und natürlich sollten wir auch Plastik, so gut es geht, vermeiden. Plastik ist ein weiterer Faktor, der zur Verschmutzung der Meere und Korallenriffe beiträgt. Darüber forschen wir momentan sehr aktiv.
Sind die Korallenriffe überhaupt noch zu retten oder geht es lediglich um Schadensbegrenzung?
Der IPCC-1,5°-Bericht aus 2018, ein Sachverständigenbericht des Weltklimarates, hat gezeigt, dass wir 70 bis 90 Prozent der Korallenriffe global verlieren werden, wenn wir den anstehenden Temperaturanstieg auf 1,5 Grad begrenzen. Bei zwei Grad wären es sogar mehr als 99 Prozent Momentan stehen die Dinge denkbar schlecht, weil wir uns auf weitaus mehr als zwei Grad bis zum Ende des Jahrhunderts zubewegen. Selbst wenn wir von heute auf morgen unsere Emissionen komplett einschränken würden, blieben noch die Treibhausgase in der Atmosphäre, die wir schon ausgestoßen haben. In den nächsten Jahrzehnten werden die Korallenriffe die Auswirkungen der Klimaerwärmung auf jeden Fall spüren. Den kompletten Untergang der Riffe werde ich wahrscheinlich nicht mehr erleben, aber leider wohl unsere Kinder und deren Kinder. Und die werden sich mit den Folgen auseinandersetzen müssen, weil wir zu viel zurück und nicht genug vorwärts denken.
Professor Gert Wörheide ist Inhaber des Lehrstuhls für Paläontologie und Geobiologie am Department für Geo- und Umweltwissenschaften (Fakultät für Geowissenschaften) der LMU sowie Direktor der SNSB-Bayerischen Staatssammlung für Paläontologie und Geologie.