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Die Bevölkerung einbeziehen

29.10.2020

Mediziner haben untersucht, wie die Chagas-Krankheit in einer stark betroffenen Region wahrgenommen wird. Die Ergebnisse zeigen, wie wichtig es ist, soziale und kulturelle Aspekte in den Strategien zur Prävention und Therapie zu berücksichtigen.

Mann geht einem Feldweg im Dschungel

Um die Bevölkerung in abgelegenen Gebieten des bolivianischen Chaco zu erreichen, waren oft mehrtägige Anreisen erforderlich. | © S. Parisi

Die Chagas-Krankheit tritt vor allem in Lateinamerika auf, ist aber durch die Globalisierung weltweit auf dem Vormarsch. Verursacht wird sie durch den einzelligen Parasiten Trypanosoma cruzi, der hauptsächlich durch die Stiche von Raubwanzen übertragen wird. Ohne Behandlung kann die Krankheit chronifizieren und zu lebensbedrohlichen Schäden vor allem am Herzen oder im Darm führen. Auch in Deutschland kommt die laut WHO zu den vernachlässigten Tropenkrankheiten zählende Chagas-Krankheit vor, wobei hier vor allem Menschen mit lateinamerikanischem Migrationshintergrund betroffen sind. Ein internationales Team um Michael Pritsch von der Abteilung für Infektions- und Tropenmedizin am Klinikum der LMU hat nun am Beispiel des Bezirks Monteagudo in Bolivien – dem mit Abstand am stärksten von Chagas betroffenen Land – den Kenntnisstand und die Einstellung der Bevölkerung hinsichtlich der Erkrankung untersucht. Diese Ergebnisse helfen, die Nachhaltigkeit von Gesundheitsprojekten zu sichern und einzuschätzen, welche zukünftigen Strategien zur Prävention und Therapie sinnvoll sein könnten.

Monteagudo liegt im bolivianischen Chaco, einer Region, in der oft mehr als die Hälfte aller ansässigen Erwachsenen mit T. cruzi infiziert sind. „Verschiedene NGOs haben dort bereits Gesundheitsprojekte bezüglich Chagas durchgeführt“, sagt Sandra Parisi, eine Erstautorin der Arbeit. Als Mitarbeiterin der DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe e.V. hat Parisi gemeinsam mit bolivianischen Medizinstudenten und Wissenschaftlern rund zehn Prozent der Haushalte im Gebiet von Monteagudo interviewt, um deren Einstellung zu den Projekten sowie ihr aktuelles Wissen und Präventionsverhalten bezüglich Chagas zu untersuchen. Ein aufwendiges Projekt: „Um diese Menschen zu erreichen, waren teilweise mehrtägige Reisen erforderlich. Vor Ort war die Fortbewegung oft nur per Pferd möglich“, erzählt Parisi. Zudem haben die Wissenschaftler im Rahmen von qualitativen Interviews Schlüsselpersonen wie Patienten, Ärzte, lokale Autoritäten und traditionelle Heiler befragt. „Unseres Wissens ist dies bisher die größte und umfassendste derartige Studie in dieser Region“, sagt Pritsch.

Im Vergleich zu früheren Studien in lateinamerikanischen Ländern fanden die Autoren, dass die Bevölkerung von Monteagudo besser über die Möglichkeiten zur Primärprävention – also der Kontrolle der Raubwanzen – informiert ist. Hier zeigt sich nach Ansicht der Wissenschaftler, dass staatliche und internationale Kampagnen in den letzten Jahren erfolgreich waren. Allerdings waren andere Arten der Übertragung, etwa durch kontaminierte Lebensmittel oder von der Mutter auf das Kind, weit weniger bekannt.

Chagas ist mit Angst und sozialen Konsequenzen verbunden, wie etwa dem Ausschluss von formalen Arbeitsangeboten und Bankdarlehen. Trotzdem wird die Krankheit zum Erstaunen der Forscher als sehr normal empfunden. „Wenn du kein Chagas hast, bist du kein echter Chaqueño – solche Aussagen bekamen wir öfter zu hören“, berichtet Parisi. Sorgen bereitete den Autoren auch die oft ablehnende Einstellung der Bevölkerung gegenüber der derzeitigen Therapie der Wahl mit dem Medikament Benznidazol. Oft zogen die Menschen alternative Heilmethoden vor, weil diese besser verfügbar sind und geringere Nebenwirkungen haben. Ein wichtiger Grund hierfür war auch ein Missverständnis bei der Interpretation von Schnelltests, die auf Antikörperuntersuchungen basieren. Oft wurde ein weiterhin positiver Test fälschlich als Therapieversagen gewertet.

„Dies unterstreicht für uns, wie wichtig es ist, zukünftige Projekte partizipativ zu begleiten, um solche Missverständnisse rechtzeitig aufzufangen und gegensteuern zu können“, sagt Pritsch. Die Meinungen von anderen Gemeindemitgliedern, Tierärzten und traditionellen Heilern waren den Menschen bei der Therapieentscheidung mindestens genauso wichtig wie die der Ärzte. Aus diesem Grund ist es nach Ansicht der Autoren unumgänglich, alle relevanten Schlüsselpersonen bei zukünftigen Projekten mit einzubeziehen.

„Insgesamt zeigt unsere Studie eindrucksvoll, dass die Erforschung und Bereitstellung neuer diagnostischer Methoden oder Medikamente nicht automatisch zu einer Verbesserung des Gesundheitszustands führt, sondern nur einen Einzelaspekt darstellt“, sagt Pritsch. Die Autoren halten ein ganzheitliches Verständnis der Erkrankung und ihrer lokalen Ausprägung unter Berücksichtigung sozialer und kultureller Aspekte für wichtig. Patientenzentrierte Versorgungsforschung wie in der aktuellen Studie kann ihrer Ansicht nach einen Beitrag dazu leisten und aufzeigen, wie Konzepte aus dem Bereich „Global Health“ in die Praxis umgesetzt werden können.PLOS NTD 2020

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