Es erscheint wie ein Paradox: Im Zellkern ist das gesamte Erbgut als Chromatin hochverdichtet. In jeder Zelle des Körpers sind insgesamt zwei Meter DNA gut verpackt und geschützt; der lange Faden des Ergbuts auf Millionen von kleinen Spulen gewickelt, den Histon-Proteinen. Gleichzeitig muss es aber auch zugänglich sein, damit die Gene abgelesen werden können. Immer wieder müssen dafür andere Abschnitte des Genoms gleichsam freigelegt werden, damit die Zellmaschinerie sie als Matrize der Bauanleitungen für Eiweiße nutzen kann.
Es sind die sogenannten Remodeller, die diesen dynamischen Kraftakt gewährleisten. Sie entrollen und entpacken die DNA abschnittsweise, verschieben die Histon-Spulen und tauschen sie aus, sie zupfen den Erbgutfaden zurecht und sie sorgen schließlich dafür, dass die DNA wieder dichter gepackt wird. Remodeller spielen also eine aktive und wichtige Rolle dabei, dass Gene einfacher abgelesen werden können. Zellen können dadurch dynamisch auf Umwelteinflüsse reagieren – in der Bäckerhefe wie auch im Menschen. Und Remodeller bestimmen mit, wie Zellen sich entwickeln und damit ihre Identität definieren; im Gehirn müssen zum Beispiel andere Gene abgelesen werden als in der Haut.
Doch wie diese Remodeller aussehen und wie sie arbeiten, darüber ist bislang wenig bekannt. Die Komplexe aus Proteinen sind für molekulare Verhältnisse riesig und, wie Maschinen, aus vielen Komponenten zusammengesetzt – ihre Struktur aufzuklären bringt die Forschung an ihre Grenzen. Nun ist es dem Team um Professor Karl-Peter Hopfner, Inhaber des Lehrstuhls für Structural Molecular Biology am Genzentrum der LMU, erstmals gelungen, eine dieser molekularen Maschinen, die unter der Bezeichnung INO80 läuft und aus insgesamt 15 Untereinheiten besteht, mithilfe der sogenannten Cryo-Elektronenmikroskopie zu untersuchen und daraus eine dreidimensionale Struktur zu rekonstruieren. „Selbst mit innovativen Ansätzen, modernster Technologie und intensiver Teamarbeit war es jahrelange Grundlagenforschung“, sagt der Erstautor Dr. Sebastian Eustermann, der am Mikroskop die Molekülstruktur aufklärte.
In den Bilddaten, die aus der Cryo-Elektronenmikroskopie stammen, erscheint der Remodeller nun in einer Auflösung, die für einen Chromatinkomplex dieser Größe bislang selten erreicht wurde. Das ermöglicht es, das Megamolekül bis tief in seine atomare Struktur hinein zu entwirren. Da der Remodeller an einer Histon-Spule zusammen mit DNA gebunden ist, konnten die Forscher die Mechanismen analysieren, mit denen die molekulare Maschine arbeitet.
Biochemisch gesehen bewerkstelligen Remodeller gewaltige Umbauten im molekularen Gefüge. Es geht dabei nicht um die Umlagerung einzelner chemischer Seitengruppen, sondern „um Konformationsänderungen in großem Stil – und das mit erstaunlicher Präzision“, sagt Eustermann. Um zum Beispiel Histone auszutauschen und zu verschieben, wie es die Funktion von INO80 ist, muss der Erbgutstrang zunächst aufgeweitet werden. Eine Motoreinheit des Remodellers beispielsweise wickelt den DNA-Strang ein wenig vom Histon ab, dabei bricht sie eine ganze Reihe von Kontaktstellen zwischen dem Erbgutstrang und dem Protein, um das er ursprünglich eng geschlungen ist.
Außerdem pumpt sie den laufenden Erbgutfaden von außen in den Remodeller-Komplex hinein, der DNA-Doppelstrang läuft an der fest positionierten Motoreinheit entlang. Dadurch bildet sich zunächst eine Erbgutschlaufe, irgendwann rutscht der Strang über eine weitere Untereinheit wie über eine Ratsche und wird dadurch wieder lang gezogen, die Position des Strangabschnittes hat sich damit verschoben. Während der gesamten Umlagerungsprozesses umfassen wiederum andere Einheiten des Remodellers das in Teilen aufgedröselte Nukleosom wie mit einer Stützhand, damit der Komplex aus DNA und Eiweiß nicht auseinanderfällt.
Die Arbeit zeigt Aufbau und Funktion der Remodeller, die eine zentrale und essentielle Aufgabe der molekularen Zellmaschinerie erfüllen: die Flexibilität des Chromatins und damit die Dynamik des Stoffwechsels zu gewährleisten. Wie sie das schaffen, dafür lieferten die neuen Forschungsergebnisse ein erstes verlässliches Modell, sagt Hopfner. „Und ganz offensichtlich spielen Remodeller auch in der Krebsentstehung eine zentrale Rolle, oft sind sie im Zuge der Tumorbildung fehlreguliert. Darum werden strukturelle und mechanistische Erkenntnisse auch Bedeutung haben, wenn es um Ansätze für neue Therapien geht“, sagt der LMU-Forscher.Nature 2018