Der effiziente und genaue Zusammenbau makromolekularer Strukturen – etwa von Organellen wie den Ribosomen oder Flagellen – ist für alle Lebewesen essenziell. Dabei werden einzelne Bausteine mithilfe molekularer Wechselwirkungen autonom zusammengefügt. Ein besseres Verständnis der Prinzipien und Mechanismen dieser Selbstmontage und Selbstorganisation ist wichtig für die Entwicklung neuer Anwendungen, beispielsweise in der Nanotechnologie oder der Medizin. Wissenschaftler um den LMU-Physiker Professor Erwin Frey haben gezeigt, dass zufällige Effekte dabei eine wichtige Rolle spielen. Über ihre Ergebnisse berichten die Wissenschaftler im Fachmagazin eLife.
Die Wissenschaftler modellierten ein System, in dem eine begrenzte, biologisch relevante Anzahl von Bausteinen durch Selbstmontage zu bestimmten Zielstrukturen zusammengebaut werden. Mithilfe mathematischer Simulationen konnten sie zeigen, dass in einem heterogenen System, bei dem sich also die Zielstruktur aus unterschiedlichen Teilen zusammensetzt, zufällige Effekte dazu führen können, dass sich überhaupt keine korrekten und vollständigen Strukturen bilden, obwohl chemische Berechnungen eigentlich eine perfekte Ausbeute erwarten lassen. Die Wissenschaftler bezeichnen dieses Phänomen als „stochastische Ertragskatastrophe“.
„Das ist fast so, als wolle man ein Puzzle aus magnetischen Teilchen allein durch Schütteln der Schachtel zusammensetzen“, sagt Florian Gartner, Mitarbeiter in Freys Team und Erstautor des Papers. Auch wenn jedes Puzzleteil vom richtigen Nachbarn angezogen wird, so Gartner, ist es sehr schwierig, das Puzzle in endlicher Zeit fertigzustellen. Das Problem wird noch größer, wenn mehrere Exemplare desselben Puzzles in einer Schachtel gleichzeitig zusammengebaut werden sollen, da sie sich dann gegenseitig Teile stehlen können, sodass kein einziges fertig wird. „Da wir keine Kontrolle über einzelne Teile haben, ist diese Ertragskatastrophe ein Effekt des Zufalls“, sagt Gartner. Keine Rolle spielt das Phänomen nur bei homogenen Zielstrukturen, die nur aus einem einzigen Bausteintyp bestehen, oder wenn alle Ressourcen im Überfluss vorhanden sind. Die Optimierung der Selbstmontage ist daher eine wichtige Herausforderung, um bei der Herstellung von Designer-Molekülen nicht teure Komponenten zu verschwenden.
„Prinzipiell geht man davon aus, dass der Ertrag besser ist, wenn die Strukturen nicht gleichzeitig, sondern nacheinander gebaut werden. Das heißt, die Initiierung neuer Strukturen muss viel langsamer als deren Wachstum erfolgen“, sagt Gartner. Die Wissenschaftler haben jedoch festgestellt, dass insbesondere bei kleinen Systemen Schwankungen in der Verfügbarkeit der verschiedenen Teile die Initiierung neuer Strukturen begünstigen, sodass der Selbstmontageprozess unerwünschter Weise mit vielen unvollständigen Strukturen endet.
„Unsere Studie legt nahe, dass die Konzentration der verschiedenen Bausteine streng kontrolliert werden muss, damit effizient funktionelle Wirkstoffe hergestellt werden können“, sagt Frey. „Ein wichtiges Ziel zukünftiger Forschungen ist deshalb die Entwicklung von Strategien, die Schwankungen in der Verfügbarkeit der Bausteine reduzieren und zu effizienten Montageprotokollen führen.“eLife 2020