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Eine Welt in Büchern

22.04.2022

Am 23. April ist Welttag des Buches. Ein Medium wird gefeiert, das nichts an Popularität eingebüßt hat. Dabei spielt keine Rolle, ob digital oder Print. Im akademischen Umfeld sieht gerade das allerdings anders aus.

Der Diada de Sant Jordi am 23. April ist der Tag, an dem die Katalanen ihres Volksheiligen gedenken, des heiligen Georgs, seines Zeichens Drachentöter und mentaler Unterstützer der Iberer bei der Vertreibung der Mauren von der Halbinsel. Obwohl ursprünglich mit dem Narrativ der Gewalt besetzt – die Katalanen sprechen von Georg auch als „Matamoros“ oder Maurentöter –, ist das Fest heute mit Symbolen aufgeladen, die für Liebe, Erbauung und Bildung stehen – Books 'n Roses gewissermaßen: Belletristik und Blumen sind in Katalonien das Geschenk erster Wahl an diesem Tag. Grund genug für die Vereinten Nationen, im Jahr 1995 den 23. April zum Welttag des Buches zu proklamieren. Zumal zu diesem Datum mutmaßlich auch William Shakespeare und Miguel de Cervantes verstorben sind. Zahlreiche Aktionen weltweit sollen seit 1995 die Jugend zum Lesen animieren, für das Buch werben und die grenzüberschreitende, vermittelnde, ja vielleicht sogar verständigende Kraft von Literatur in den Vordergrund stellen. In Zeiten alltäglicher Meldungen von unfassbaren Gräueltaten fast vor der Haustür ist das Buch dann für viele auch ein Mittel abzuschalten, um die eigene mentale Gesundheit zu erhalten, wegzutauchen, um gestärkt wieder in den Alltag aufzusteigen.


Eine Welt im Buch: Diese Inkunabel ist die zweite deutsche gedruckte und 1486 publizierte Ausgabe der „Geographia" des griechischen Gelehrten Claudius Ptolemaeus – eine um 150 n. Chr. erstellte Synthese des geographischen Wissens der Antike und eine ausführliche Beschreibung der damals bekannten Welt.

© LMU/Mayla Joy Wind

Print oder E-Book – beides ist Buch

Entsprechend stabil ist der Markt. Im Hinblick auf das Veröffentlichungsformat holt das E-Book auf. Aber auch der Printsektor bleibt stark. Christine Haug, Professorin an der LMU und Sprecherin des 2018 gegründeten Zentrums für Buchwissenschaft sieht aber gar nicht die Notwendigkeit für eine Trennung. „Beides ist Buch“, sagt sie. „Beides ist auch Lehr- und Forschungsgegenstand.“ Der Abgesang auf das gedruckte Werk, der schon in den 90er-Jahren angestimmt worden war, blieb weitgehend folgenlos. „Beide Formen haben in unterschiedlichen Lesesituationen ihre Vorteile.“ Manche bevorzugen die Haptik und energetische Unabhängigkeit des gedruckten Buches, andere mögen vielleicht lieber die E-Book-Variante, bei der sich im Verlauf einer sich vermindernden Sehkraft die Buchstabengröße entsprechend variieren lässt.

Laut statista.de ist die Zahl der Printpublikationen zugunsten von digitalen Produkten auch nur geringfügig zurückgegangen. Und der Buchhandel, sagt Haug, habe es in den allermeisten Fällen geschafft, entsprechend dynamisch zu reagieren und das Angebot entsprechend auszurichten. So gebe es auch in kleinen Buchläden oft Terminals, an denen man sich nach einer Beratung auch die E-Version eines Buches gegen Bezahlung herunterladen kann. „Ein Verdrängungswettbewerb ist so nicht sichtbar“, so die Buchwissenschaftlerin.

Trend zum elektronischen Publizieren

Anders sieht es im Kontext der akademischen Publikations- und Rezeptionspraktiken aus. „Wir erleben einen Kulturwandel sondergleichen“, sagt Dr. Sven Kuttner, Leiter der Abteilung Historische Sammlungen und Stellvertretender Direktor der Universitätsbibliothek der LMU. „Als ich im vergangenen Jahrtausend in den Bibliothekarsberuf ging, war das gedruckte Buch unangefochtenes Leitmedium – teilweise in Zettelkatalogen noch nach den preußischen Instruktionen sortiert.

Heute gibt es schon einige Fächer, die ausschließlich elektronisch publizieren.“ Vor allem in den Natur- oder den Lebenswissenschaften, insbesondere der Humanmedizin, sei die printlose Publikation mittlerweile Goldstandard. „Im Fall der Coronapandemie und der schnellen Folge neuer wissenschaftlicher Ergebnisse ist eine Druckveröffentlichung auch gar nicht sinnvoll. Die Schnelligkeit digitaler Medien ist da einfach unschlagbar“, konstatiert Sven Kuttner. Aber auch in den Geisteswissenschaften stellt er einen deutlichen Trend hin zum digitalen Publizieren fest. „Ich denke, es ist auch eine Generationenfrage“, so Kuttner.

Corona als Katalysator

Die Coronapandemie war es auch, die seiner Wahrnehmung nach der Digitalisierung einen weiteren enormen Schub gegeben, gleichsam als Katalysator gewirkt habe. „Die Bibliotheken waren geschlossen, Lehrveranstaltungen fanden online statt – da war die Umstellung auf eine digitale Versorgung alternativlos. Und die Zugriffe auf elektronische Medien haben die auf Printpublikationen deutlich übertroffen.“

Das gedruckte Buch, ist sich Sven Kuttner sicher, wird auf absehbare Zeit zwar nicht verschwinden, „aber gerade für jüngere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist die Publikations- und Rezeptionsweise in der Zukunft elektronisch.“ Die Universitätsbibliothek habe schon sehr früh angefangen, in diesem Sektor aufzurüsten, bereits 2004 wurden die ersten E-Books in das Angebot aufgenommen. „Wir waren in Kontinentaleuropa eine der ersten Universitätsbibliotheken, die hier aufgebaut haben.“

„Wollte schon immer was mit Büchern machen“

Forschungsergebnisse werden in Büchern oder Zeitschriften veröffentlicht, die elektronisch oder als Print in der UB bereitgestellt werden. Am Zentrum für Buchwissenschaft der LMU ist das Buch selbst Gegenstand der Forschung und das nicht nur wissenschaftlich, sondern auch im Bezug auf die Praxis – die Verlagswirtschaft. Für Maria Schwurack, die im sechsten Semester Buchwissenschaften studiert, ist der Studiengang gerade wegen dieses Praxisbezugs die richtige Wahl: „Ich wollte schon immer was mit Büchern machen. Das Studium schien mir da eine gute Möglichkeit, verschiedene Berufe in der Branche kennenzulernen und Neues über das Medium Buch zu erfahren.“ Sehr interessant, sagt sie, seien deshalb die Seminare von externen Dozentinnen und Dozenten aus dem Verlagsbereich. „Wir profitieren von dem Medienstandort München, weil wir damit beste Voraussetzungen für einen Brückenschlag mit Verlagen haben“, freut sich Christine Haug. Rund 80 Prozent der 300 Studierenden im Fach Buchwissenschaften wollen wie Maria später im Verlag arbeiten und hätten durch Studentenjobs oder Praktika schon ein Bein im Business. Etwa 60 Dozentinnen und Dozenten aus der Branche halten regelmäßig Lehrveranstaltungen und vermitteln so einen Einblick in die Praxis.

Dr. Sven Kuttner vor den Schätzen im Keller der Universitätsbibliothek.

© LMU/Mayla Joy Wind

Digital Humanities und Buchwissenschaften

Im Fokus des Zentrums für Buchwissenschaft, das die Expertise der Buch- und Verlagsforschung, der Betriebswirtschaft und der Rechtswissenschaft mit Blick auf die verlegerische Praxis verbindet, stehen vor allem aber wissenschaftliche Forschung und Projekte, die sich mit der Geschichte des Buches auch unter Berücksichtigung sozialwissenschaftlicher Fragestellungen befassen. So ist die Geschichte des deutschen Heftromans in der Zeit von 1905 bis 2020 ein neues, großangelegtes Thema, das die Forschenden um Christine Haug derzeit bearbeiten. Hierbei spielen die „Digital Humanities“ eine herausragende Rolle, weil sich diese Gattung „allein wegen der schieren Menge nur mit digitalen Methoden bearbeiten lässt“, sagt die Professorin. Dabei geht es nicht allein um die Digitalisierung der Texte, sondern auch um Untersuchungen von Metadaten wie Sprachduktus, Semantik oder Syntax, die sich mithilfe von Algorithmen analysieren lassen und zum Beispiel auch die Einordnung in einen sozialgeschichtlichen Kontext zulassen. „Durch die Digitalisierung kann man ganz neue Themen angehen, die vorher so nicht ohne Weiteres bearbeitet werden konnten“, sagt Christine Haug.

Bücher als Selbstverständnis

­Bücher und andere Publikationsformate sind im universitären Kosmos Mittel der Wahl, um wissenschaftliche Erkenntnisse zu fixieren und vor allem der Rezeption durch die universitäre oder interessierte Öffentlichkeit außerhalb der Universität zuzuführen. Sie halten Forschungsergebnisse fest und sind selbst Gegenstand der Forschung. Aber sie stehen auch für das Erbe und die Tradition sowie das Selbstverständnis einer Universität, die mittlerweile auf eine halbtausendjährige Geschichte zurückblickt. Im Keller der Universitätsbibliothek, in klimatisierten und extra brandgeschützten Räumen, lagert das Büchererbe insbesondere aus den frühen Jahren der LMU, für das Sven Kuttner verantwortlich zeichnet: Rund eine halbe Million alter Drucke aus der Zeit von 1501 bis 1900 lagern dort, rund 3.500 Inkunabeln oder Wiegendrucke aus der Zeit vor dem Dezember 1500 sowie etwa genauso viele Handschriften aus den unterschiedlichen Epochen der „Hohen Schule“ und späteren LMU. Obwohl die „Konkurrenz“ der Staatsbibliothek auf der anderen Seite vielleicht etwas „schillernder und präsenter“ daherkommt,wissen Expertinnen und Experten um den unschätzbaren Wert der Bücher und Druckwerke, die in der UB lagern und gleichsam die „Steine“ im geistigen Fundament der Universität bilden. Und die aus Zeiten stammen, als Miguel de Cervantes oder William Shakespeare noch lange nicht geboren waren.

Manche Forschende publizieren nicht nur ihre Forschungsergebnisse, sondern schreiben Romane, Krimis oder Gedichte. Im aktuellen MünchnerUni Magazin werden einige vorgestellt. Jetzt als E-Paper lesen oder die Printausgabe abonnieren.

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