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Forschungsbasierte Webseite unterstützt bei Familienkonflikten

16.12.2022

„Wie Eltern auseinandergehen, macht einen Riesenunterschied“: Interview mit Psychologin und Pädagogin Sabine Walper über streitende Eltern und die neue Online-Plattform „STARK“, die Familien bei Paarkonflikten und Trennung unterstützt.

Ein Kind hält einen Scherenschnitt in Händen.

Kinder in Trennungsfamilien

sind sehr belastet, wenn Eltern ihren Konflikt destruktiv führen. | © PantherMedia / Ronalds Stikans

Ein Forschungskonsortium unter der Leitung von LMU-Professorin Sabine Walper hat eine Online-Plattform für Familien gestartet, um bei Paarkonflikten sowie bei Trennung zu unterstützen. Im Interview erläutert Sabine Walper unter anderem, was eine Trennung für Kinder bedeutet und worauf Eltern achten können.

Frau Professorin Walper, an welchen Konflikten zerbrechen Beziehungen?

Sabine Walper: Der häufigste Konfliktpunkt ist der Umgang miteinander. Die Erwartung an eine Beziehung ist heute meist, dass sie umfassend glücklich macht. Das ist nicht immer leicht einzulösen.

Ein häufiger Trennungsgrund gerade bei Paaren mit Kindern ist eine unbefriedigende Arbeitsteilung, die keine Zeit mehr für Gemeinsamkeit lässt. Fehlt die Zeit zu zweit, lebt man sich leicht auseinander. Und fehlt die Anerkennung für das, was der oder die jeweils andere zur Familie beiträgt – sei es die Kindererziehung oder der Broterwerb –, entsteht Enttäuschung, und Konflikte können sich aufschaukeln.

Was Paarkonflikte bei Kinder auslösen

Wie geht es Kindern, wenn sich ihre Eltern trennen?

Ein zentraler Befund unserer Forschung an der LMU ist, dass es für Kinder einen Riesenunterschied macht, wie die Eltern auseinandergehen. Lang andauernde, destruktive Konflikte, bei denen die Eltern sich nur noch feindlich begegnen, sind für Kinder sehr belastend. Das gilt nicht nur in Trennungsfamilien, sondern auch, wenn die Eltern noch zusammen sind – und hier sind die Belastungen für die Kinder stellenweise sogar noch ausgeprägter.

Hat sich in den vergangenen Jahrzehnten daran etwas geändert?

Man sieht einen Trend, dass Konflikte vor der Trennung heute weniger eskalieren als in der Vergangenheit. Als Trennungen noch stärker stigmatisiert waren und bei Scheidungen vor Gericht noch die „Schuldfrage“ ausgefochten wurde, wurde eine Trennung noch stärker hinausgezögert und es gab im Vorfeld öfter gravierende Probleme. Heute erfolgen mehr Trennungen, weil sich die Eltern auseinandergelebt haben.

Ist es für Kinder in beiden Fällen besser, wenn die Eltern sich trennen?

Nicht ohne Weiteres. War die Beziehung der Eltern vor der Trennung relativ konfliktfrei und erschien unbelastet, haben die Kinder mehr zu verlieren, als zu gewinnen. Waren die Kinder jedoch vor der Trennung andauerndem Streit ausgesetzt, kann die Trennung für sie eine Erlösung sein – wenn es den Eltern gelingt, in der Zeit nach der Trennung ihre Konflikte halbwegs beizulegen. Aber Probleme zwischen den Eltern enden nicht automatisch mit der Trennung.

Rund zehn Prozent der Trennungsfamilien gelten als hochstrittig, weil sie immer wieder vor Gericht ziehen und auch Beratung oder Mediation nicht hilft. Das ist für alle Beteiligten – auch die Kinder – sehr belastend. Meist schaffen es die Eltern aber nach einer Weile, ein weitgehend friedliches Miteinander zu finden. Stehen noch Konflikte und Kränkungen im Raum, fällt dies den Eltern leichter, wenn sie sich faktisch aus dem Weg gehen können. Aber das ist zum Beispiel mit kleinen Kindern nur schwer möglich. Dann muss man Übergaben der Kinder zum Beispiel über die Kita organisieren. Oft hat in diesen Fällen der getrennt lebende Elternteil weniger Kontakt zum Kind.

Familie nach der Trennung

Welche Erwartungen haben Eltern an das Leben nach einer Trennung?

Normen und Vorstellungen vom Zusammenleben nach einer Trennung haben sich sehr geändert. Väter streben deutlich stärker nach regelmäßigem Umgang mit dem Kind als früher. Sie wollen ihre Kinder möglichst nicht nur jedes zweite Wochenende sehen und fordern das auch vor Gericht ein. Nach einer Trennung behalten die allermeisten Eltern das gemeinsame Sorgerecht.

Und viele Eltern – vor allem Väter – wünschen sich eine geteilte Betreuung im Wechselmodell, bei dem die Kinder etwa die Hälfte der Übernachtungen pro Monat jeweils bei Vater und Mutter verbringen. Allerdings praktizieren in Deutschland nur rund 5 Prozent der Trennungsfamilien dieses Modell.

Welche Familien sind das?

Das deutsche Beziehungs- und Familienpanel pairfam (Panel Analysis of Intimate Relationships and Family Dynamics), das als multidisziplinäre Längsschnittstudie in einem Verbund auch an der LMU lief, zeigte, dass Eltern das Wechselmodell insbesondere mit jüngeren Kindern praktizieren. Mit Schulkindern scheint es schwieriger zu sein.

Im Einklang mit internationalen Befunden aus Europa und den USA hat pairfam auch gezeigt, dass sich gerade Eltern mit höheren Bildungsressourcen dafür entscheiden. Eine sehr wichtige Frage ist, ob Mütter durch das Wechselmodell wirkungsvoll entlastet werden und dadurch mehr Zeit für Erwerbstätigkeit haben, sodass sie in einer finanziell besseren Situation sind als andere Alleinerziehende.

Das wurde in unseren Beobachtungen bisher nicht bestätigt. Hier müssen sich noch die Erwerbs- und Vereinbarkeitsmöglichkeiten verbessern und gesellschaftliche Erwartungen dazu ändern, welchen Anteil gerade Mütter an der Versorgung der Kinder haben müssen.

Welche Alternativen gibt es zum Wechselmodell, wenn beide Eltern die Kinder betreuen wollen?

Eine Alternative zum Pendeln der Kinder ist das selten praktizierte Nestmodell. Dabei bleibt der Nachwuchs im angestammten Haus oder der Wohnung, stattdessen ziehen die Eltern abwechselnd in eigene Wohnungen. Das ist finanziell anspruchsvoll, weil drei Wohngelegenheiten nötig sind, und ist oft nur eine Übergangslösung. Manche Familiengerichte empfehlen Eltern, vor dem Wechselmodell das Nestmodell auszuprobieren – damit sie selbst ein Gefühl dafür bekommen, wie es ist, regelmäßig in eine andere Wohnung zu pendeln.

Kinder aus dem Konflikt der Eltern heraushalten

Wie können Eltern ihren Kindern in Streit oder Trennung helfen?

Zunächst, indem sie den Konflikt nicht direkt vor den Kindern austragen. Wenn man merkt, dass es jetzt „richtig heiß“ wird, man ein ganz schlimmes Thema hat und sich gegenseitig fast an den Kragen geht – dann brauchen Eltern Strategien, um die Situation zu verlassen, erst recht, wenn das Kind im Nebenzimmer ist. Denn wer hat schon so dicke Klostermauern, dass man einen hitzigen Streit nicht hört? Man kann das Gespräch auf den Abend vertagen, einen Spaziergang vorschlagen oder ähnliches. Der offene Konflikt untergräbt sonst das Gefühl der Sicherheit, das Kinder in der Familie brauchen. Dieses Gefühl „Hier ist mein Nest, hier bin ich geborgen, hier passen wir alle aufeinander auf“ verschwindet, wenn die Eltern nur noch streiten.

Dazu gilt es, die Kinder auch aus dem inneren Konfliktgeschehen der Eltern herauszuhalten. Das bedeutet, nicht schlecht über den anderen Elternteil zu sprechen, keine abfälligen Bemerkungen zu machen.

Sich zu kontrollieren fällt vielen Eltern gerade in einer emotional belastenden Krisensituation enorm schwer. Ziel muss es aber sein, die Beziehung des Kindes zum anderen Elternteil nicht kaputt zu machen. Das schadet dem Kind – und fällt einem letzten Endes selbst auf die Füße. Unsere Studien zeigen klar, dass Kinder spätestens im Jugendalter auf Distanz gehen zu dem Elternteil, der an ihnen zerrt, schlecht über den anderen spricht oder gar einfordert, dass das Kind ihn „lieber hat“ als den anderen.

Wie sollte man sich stattdessen dem Kind gegenüber verhalten?

Wichtig ist, den Konflikt mit dem anderen Elternteil nicht in die Beziehung zum Kind überschwappen zu lassen. Manchen Müttern und Vätern gelingt es durchaus, einen Gegenakzent zu ihrer Beziehungskrise zu setzen und den Kindern positive Erfahrungen mitzugeben. Aber viele sind in der Beziehungskrise einfach zu gestresst, um den Kindern gegenüber noch entspannt, fröhlich und ihnen zugewandt zu sein.

Das Fatale ist, dass dadurch gerade der emotionale Rückhalt verloren geht, den Kinder in Konfliktsituationen so dringend brauchen. Jüngere bekommen dazu schnell den Verdacht, an der Krise schuld zu sein. Sie versuchen, die Eltern abzulenken, besonders brav zu sein – alles nur, damit die Eltern sich wieder gerne haben. Aus dieser Verantwortung muss man die Kinder unbedingt herausholen – und ihnen vermitteln, dass es weder in ihrer Macht steht noch ihre Aufgabe ist, den Konflikt ihrer Eltern zu lösen.

Unterstützung vor der Trennung

Sie haben eine Website – STARK – veröffentlicht, um Eltern und Kindern in Familienkrisen zu helfen. Was kann sie leisten?

Eine Besonderheit ist, dass unser Projekt sich sowohl an Eltern in Beziehungskrisen als auch an Eltern in und nach der Trennungsphase richtet – und zudem an betroffene Kinder ab elf Jahren selbst. Es ist uns wichtig, Kinder nicht nur indirekt über die Eltern zu stärken, sondern auch direkt.

Den Eltern wollen wir schon vor einer Trennung helfen, die Problemsituation einzuschätzen, und Tipps und Orientierung bieten, wenn die Beziehung richtig schwierig wird. Denn den Weg zur Paartherapie finden viele Paare erst viel, viel zu spät. Sich im Internet zu informieren fällt oft leichter.

Auf STARK nehmen wir zum Beispiel Kommunikationsmuster der Paare unter die Lupe. Wir informieren Eltern auch zu juristischen und finanziellen Fragen wie Sorgerecht und Unterhalt, aber auch zu Betreuungsmodellen und Fragen der elterlichen Zusammenarbeit. Worauf muss man sich einrichten? Was ist wichtig für die Kinder? Wie richtet die Trennung für die Kinder den geringsten Schaden an? Wir geben auch Tipps dazu, wie man die eigenen Batterien aufladen kann – um die Familie gut durch eine Trennung zu navigieren und für die Kinder da sein zu können.

Prof. Sabine Walper

Professorin Sabine Walper

© Stefan Obermeier,Muenchen

Die Psychologin und Pädagogin Professorin Sabine Walper hat seit 2001 eine Professur für Pädagogik mit Schwerpunkt Jugendforschung an der LMU inne. Seit 2012 ist sie für die Leitung des Deutschen Jugendinstituts e.V. (DJI) in München von der Lehre freigestellt. Dort wirkte sie zunächst als Forschungsdirektorin und ist seit vergangenem Jahr Vorstandsvorsitzende und Direktorin.

Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören zahlreiche Themen der Familien-, Kindheits- und Jugendforschung. Gemeinsam mit dem Team des Familiennotrufs München hat sie den Kurs „Kinder im Blick“ für Eltern in Trennung entwickelt.

Mehr zur Webseite STARK

STARK – Kürzel für „Streit und Trennung meistern: Alltagshilfe, Rat und Konfliktlösung“ – ist eine neue Website, die Paare bei Beziehungskrisen sowie Eltern, Kinder und Jugendliche bei der Bewältigung von Trennung und Scheidung unterstützt.

Themen sind unter anderem Konfliktsituationen und Beziehungsprobleme in der Partnerschaft, rechtliche und finanzielle Fragen sowie psychologische Themen rund um die Trennung.

Das vom Bundesfamilienministerium geförderte Gemeinschaftsprojekt wird geleitet von Erziehungswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern der LMU, dem Deutschen Jugendinstitut und der Universität Ulm. Weitere Kooperationspartner sind das Universitätsklinikum Heidelberg, die Georg-August-Universität sowie das Universitätsklinikum Ulm.

Zur Webseite Stark

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