In den Sedimenten der Ozeane existieren vielfältige mikrobielle Lebensgemeinschaften, die vom Abbau organischer Substanz leben. Meeressedimente stellen den größten Kohlenstoffspeicher der Erde dar, daher kann ein besseres Verständnis dieses Recyclings dazu beitragen, die Folgen des weltweiten Klimawandels besser zu verstehen. Allerdings war bisher nur wenig darüber bekannt, welche mikrobiellen Gruppen im Meeresboden für den Abbau verschiedener Arten organischer Substanz verantwortlich sind. Professor William Orsi vom Department für Geo- und Umweltwissenschaften der LMU hat mit seinem Team die beteiligten Lebensgemeinschaften untersucht, indem er mithilfe eines umfangreichen Screenings analysierte, welche Enzyme von den Mikroben in die Umgebung abgegeben werden. Über ihre Ergebnisse berichten die Wissenschaftler im Fachmagazin Nature Microbiology.
Mikroorganismen zersetzen große Kohlenstoffverbindungen, indem sie Enzyme in die Umgebung absondern, die diese Makromoleküle „verdauen“ und in ihre Grundbausteine zerlegen. Damit die Verdauungsenzyme die Zelle verlassen können, tragen sie eine typische Erkennungssequenz, die ihnen einen Transportweg öffnet. „Mithilfe einer neuen bioinformatischen Methode haben wir nach bestimmten, im Verlauf der Evolution unverändert gebliebenen Aminosäureabfolgen innerhalb der Erkennungssequenz gesucht. Auf diese Weise konnten wir erstmals aus genetischen Daten nicht nur Rückschlüsse auf die Enzymfunktionen ziehen, sondern auch gezielt Enzyme identifizieren, die aus der Zelle exportiert werden“, sagt Orsi.
Für ihre Studie analysierten die Wissenschaftler Daten aus genetischen Screenings, die im Rahmen einer früheren Studie an Sedimenten aus einer Tiefseebohrung vor der Küste Perus durchgeführt worden waren. Ihre Ergebnisse zeigen, dass Bakterien, Archaeen und Pilze tief unter dem Meeresboden eine einzigartige Auswahl an Verdauungsenzyme produzieren und an die Umgebung abgeben. Die Enzyme bauen zahlreiche in den Sedimenten abgelagerte Biomoleküle wie Kohlenwasserstoffe, Lipide und Proteine ab – und machen dabei auch vor abgestorbenen Nachbarn nicht halt. „Zahlreiche von Pilzen produzierte Enzyme bauen die Zellwände von Archaeen ab und viele bakterielle Enzyme zersetzen wiederum die Zellwände von Pilzen“, sagt Orsi. „Die verschiedenen Mikrobengruppen scheinen sich also nach ihrem Tod gegenseitig aufzufressen.“ Vermutlich nutzen die Mikroorganismen diese „Nekromasse“ als Kohlenstoff- und Energiequelle. Das ermöglicht der Population, auch in licht- und sauerstofflosen Tiefen unter dem Meeresboden zu überdauern – die ältesten Sedimentproben der Bohrung stammen aus 159 Metern Tiefe und sind etwa 2.8 Millionen Jahre alt.
Als nächsten Schritt wollen die Wissenschaftler untersuchen, wie viel Kohlenstoff von den einzelnen Organismengruppen umgesetzt wird, um ihre Ergebnisse direkt mit dem globalen Kohlenstoffkreislauf zu verknüpfen. „Unsere Daten könnten dann in biogeochemische Modelle eingebracht werden und deren Vorhersagekraft verbessern“, hofft Orsi.Nature Microbiology 2017