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Held, Verräter

21.01.2019

Die LMU-Juristen Ralf Kölbel und Nico Herold untersuchen die Umstände von Whistleblowing in Deutschland. Bislang gibt es wenige empirische Daten dazu. In einem neuen Projekt beleuchten die beiden LMU-Forscher, welche Erfahrunge...

Edward Snowden, der IT-Experte, der Überwachungspraktiken des amerikanischen Geheimdienstes enthüllte, floh dafür aus den USA nach Hongkong und beantragte in mehreren Ländern Asyl – meist erfolglos. Aus Sicht potenzieller Hinweisgeber könnte sein Schicksal nicht abschreckender sein, verlor er doch durch seine Enthüllungen seinen Job und seine Heimat. Andererseits wurde Snowden inzwischen vielfach für seine Zivilcourage ausgezeichnet.

Sein Schicksal zeigt das Dilemma, mit dem potenzielle Hinweisgeber konfrontiert sind. Auch wenn die Wirklichkeit wesentlich profaner ist als der Snowden-Krimi und es in der Regel nicht um Staatsgeheimnisse geht – Mitarbeiter, die einen Missstand in ihrem direkten Umfeld wahrnehmen, stehen vor einer schwierigen Entscheidung. „Die Angst vor Repressalien ist meist der Grund dafür, nichts zu sagen“, sagt Dr. Nico Herold vom Lehrstuhl für Strafrecht und Kriminologie unter der Leitung von Professor Ralf Kölbel. Die beiden LMU-Juristen untersuchen die Umstände von Whistleblowing in Deutschland. Aus Sicht des Staates sind Whistleblower eine wertvolle Informationsquelle, um zum Beispiel Wirtschaftskriminalität aufzudecken. „Whistleblower als Informationsquelle zu nutzen, gilt kriminalpolitisch als modernes Schlüsselkonzept, um Ermittlungsschwierigkeiten bei der Kontrolle von Wirtschaftskriminalität zumindest teilweise zu beheben“„ schreiben Kölbel und Herold in einem Beitrag in der Fachzeitschrift Neue Kriminalpolitik. In manchen Fällen besteht auch ein großes öffentliches Interesse an der Aufdeckung von Missständen – „denken Sie nur an den Gammelfleisch- oder den VW-Skandal“, sagt Herold. Und doch sehen sich Hinweisgeber mitunter auch dem Vorwurf des Denunziantentums ausgesetzt.

Rechtliche Situation: komplex

In Deutschland ist die rechtliche Situation für Whistleblower „ziemlich kompliziert“, sagt Nico Herold. Es gibt kein allgemeines Gesetz für Whistleblowing, was in vielen anderen Ländern, etwa den USA und Großbritannien der Fall ist. Stattdessen gilt grundsätzlich die sogenannte Drei-Stufen-Theorie. Wer als Mitarbeiter einen Missstand entdeckt, muss diesen zunächst intern melden und dabei alle Möglichkeiten ausschöpfen. Erst wenn dies erfolglos bleibt, darf er diesen extern publik machen, wobei der Gang an die Medien in der Regel nur als allerletztes Mittel vor Gericht durchgeht, das zudem immer im Einzelfall abwägt und entscheidet. „Man kann von einem Whistleblower, der ja noch dazu juristischer Laie ist, nicht erwarten, dass er diese komplexe rechtliche Situation durchschaut und prüft, bevor er einen Missstand berichtet“, sagt Herold. Seit einigen Jahren wird in Deutschland verstärkt über die rechtliche Situation von Whistleblowern und eine „Schutzgesetzgebung“ debattiert, „doch es fehlt die empirische Grundlage“, sagt Ralf Kölbel. Mit ihrem neuen Projekt wollen die LMU-Juristen dazu beitragen, diese Forschungslücke zu schließen. Dabei konzentrieren sie sich auf interne Hinweissysteme, die Unternehmen inzwischen zunehmend installieren.

Viele Firmen haben Ombudsstellen, Telefonhotlines und/oder elektronische Briefkästen eingerichtet, die man gegebenfalls auch anonym nutzen kann. „Aber es gibt wenig Erkenntnisse über ihre praktische Arbeitsweise und Effektivität“, sagt Herold. In ihrem neuen Projekt, das gerade in Kooperation mit der NORDAKADEMIE Hochschule der Wirtschaft in Hamburg/Elmshorn startet und von der NORDAKADEMIE-Stiftung finanziell gefördert wird, untersuchen die LMU-Juristen, wie diese unternehmensinternen Hinweissysteme funktionieren und wie die Firmen mit den Informationen umgehen, die sie darüber erhalten.

Gefährliche Dynamik

„Nur wenn man den Whistleblowing-Prozess nachvollziehen kann, weiß man, wo man ansetzen muss, um ihn zu regulieren“, sagt Herold. In ihrem vorangehenden Projekt zum Thema – das von der DFG gefördert wurde – haben Kölbel und Herold bereits unter anderem die Motivation von Hinweisgebern untersucht. Dafür haben sie mit 28 Personen gesprochen, die einen Missstand extern gemeldet oder zumindest darüber nachgedacht hatten. Aus dem Projekt weiß Herold, dass Whistleblower „jemanden brauchen, der ihnen zuhört und gegebenfalls Anonymität zusichert.“

Die Studie hat gezeigt, dass es nicht etwa eine typische Persönlichkeitsstruktur gibt, die bedingt, ob jemand zum Whistleblower wird oder nicht. Auch wenn das Image von Whistleblowern in der öffentlichen Wahrnehmung zwischen den Extremen Held oder Verräter schwankt, Hinweisgeber wollen offenbar einfach nur über den Missstand, den sie mitbekommen haben, informieren, sich dabei fair verhalten und möglichst wenig Aufwand haben – und sicher nicht in die Lage von Snowden geraten, der nun seit Jahren inkognito in Russland lebt. Die meisten Hinweisgeber wenden sich – ganz im Sinne ihres Arbeitgebers – zunächst an ihren Vorgesetzten oder eine betriebsinterne Stelle. Erst wenn gut gemeinte interne Hinweise nach hinten losgehen und der Hinweisgeber auf einmal mit Repressalien konfrontiert wird, die von Mobbing bis zur Kündigung reichen können, überlegen manche Betroffene, die Behörden oder sogar die Öffentlichkeit zu informieren – was Unternehmen mit internen Hinweissystemen eigentlich verhindern wollen. „Es entwickelt sich dann eine Dynamik, die aus der Situation entsteht“, sagt Herold. Nach all den Gesprächen, die er bislang dazu geführt hat, ist sich der Jurist sicher: „Jeder kann in die Situation kommen, Whistleblower zu werden.“

Für das Projekt „Berücksichtigung von Belastungslagen und Erwartungen von Hinweisgebern bei der Gestaltung von unternehmenseigenen Meldesystemen“ suchen Ralf Kölbel und Nico Herold Betroffene, die bereits Erfahrung mit betriebsinternen Hinweissystemen gemacht haben und bereit sind, vertraulich darüber zu berichten.

Kontakt :

Professor Dr. Ralf KölbelE-Mail: ralf.koelbel@jura.uni-muenchen.de

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