Quantenoptik: Ein Blick auf Randmoden
10.06.2024
Ein internationales Team der LMU und des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik beobachtete und manipulierte spezielle Materialzustände, die an topologischen Grenzen entstehen
10.06.2024
Ein internationales Team der LMU und des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik beobachtete und manipulierte spezielle Materialzustände, die an topologischen Grenzen entstehen
Topologische Materialien weisen im Gegensatz zu „normalen“ Materialien sogenannte Randmoden auf, die einen verlustfreien Transport entlang der Systemgrenze ermöglichen. Der durch die Randmode ermöglichte Transport ist robust gegenüber Störstellen des Kristalls und kleinen Änderungen der Systemparameter, er ist topologisch geschützt. Dieser Schutz der Randmode ist faszinierend, da kleine Veränderungen im System die Leitfähigkeit der Randmode nicht verändern, ein Phänomen, das auch beim Quanten-Hall-Effekt beobachtet und bei der Neudefinition des Internationale Einheitensystems (SI) im Jahr 2019 verwendet wurde.
Ein internationales Team der LMU und des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik beobachtete und manipulierte nun diese interessanten Zustände, die an topologischen Grenzen entstehen. Die Ergebnisse werden in Nature Physics veröffentlicht.
Die direkte Beobachtung dieses Randtransports ist wichtig, da das Auftreten der Randmode direkt zeigt, ob sich das System in einem topologisch nicht-trivialen Zustand befindet. Es erfordert darüberhinaus keine Kenntnis der zugrunde liegenden Bandstruktur. Trotz vieler Realisierungen von topologischen Systemen mit kalten Atomen blieb die unmittelbare Beobachtung von Randmoden mit kalten Atomen bisher aus.
Beobachtet hat diese Randmoden das Team von Monika Aidelsburger und Immanuel Bloch, Mitglieder des Exzellenzclusters MCQST, nun in einem Experiment mit ultrakalten Atomen. Neutrale Kaliumatome werden auf Temperaturen unter einem Mikrokelvin (ein Millionstel Grad über dem absoluten Nullpunkt) gekühlt und in einem wabenförmigen Gitter aus Laserlicht gefangen. Wenn dieses Gitter statisch gehalten wird, ist das System topologisch trivial, d. h. die topologischen Randmoden existieren nicht.
Um in den topologischen Zustand zu gelangen, in dem die Randmoden an der Grenze des Systems entstehen, moduliert das Team die Intensität der drei Laserstrahlen, aus denen das optische Gitter besteht, wodurch die Energiebänder topologisch werden.
Um eine topologische Grenze einzuführen, beleuchtete das Team mit einem weiteren Laserstrahl einen ausgewählten Bereich des Gitters. Dieser Laserstrahl bildet eine repulsive Wand für die Atome, die sie daran hindert, in den ausgeleuchteten Bereich des Gitters einzudringen.
Um die Trajektorie der Atome im Gitter zu beobachten, fingen die Forscher einige hundert Atome in einer eng fokussierten optischen Pinzette ein. Nachdem sie die Atome aus der Pinzette losgelassen haben, befanden sie sich meist an einem einzigen Gitterplatz des optischen Gitters und konnten sich frei im Wabenpotential bewegen. Wenn die Atome in der Nähe der Wand losgelassen werden, bewegen sich die Atome entlang der Wand, ohne den Rest des Gitters zu erkunden. Die Bewegungsrichtung der Atome am Rand wird ausschließlich durch die Modulation vorgegeben. Dieses Verhalten ähnelt dem von geladenen Teilchen in einem Magnetfeld, die sich an der Grenze eines Materials bewegen, wie z. B. Elektronen in einer 2D-Ebene die einem starken Magnetfeld ausgesetzt sind. In solchen Festkörpersystemen ist die Grenze der eigentliche Rand des Materials.
Die außergewöhnliche Kontrolle, die in diesem Kalte-Atom-Experiment vorhanden ist, ermöglicht die Manipulation der Höhe und Schärfe der repulsiven Wand. Dies führte zur ersten direkten Beobachtung der „Entstehung“ einer Randmode, während die Höhe der Wand vergrößert wird. Darüber hinaus konnten die Forscher durch die Kontrolle der Breite der Wand eine Verringerung der Geschwindigkeit der Randmode nachweisen, indem sie die Wand glatter machten.
In Zukunft wird das Team dieses neue Werkzeug nutzen, um das Zusammenspiel zwischen Topologie und Unordnung zu untersuchen. Zu diesem Zweck werden dem extrem regelmäßigen Wabengitter zufällige Störstellen hinzugefügt, um zu untersuchen, wie Unordnung den topologischen Transport von Materie behindern oder erleichtern kann. „Wir können von einer außergewöhnlichen Kontrolle über die Parameten, die diese Quantensimulationsplattform bietet, profitieren“, sagt Monika Aidelsburger. „Eine vergleichbare Kontrolle ist in ihren Festkörper-Pendants bisher nicht möglich und erlaubt es uns, bisher unbeantwortete Fragen topologischer Phasen zu erforschen und das auch in Bereichen, die überhaupt kein Pendent in Festkörpern haben.“
Christoph Braun, Raphaël Saint-Jalm, Alexander Hesse, Johannes Arceri, Immanuel Bloch & Monika Aidelsburger: Real-space detection and manipulation of topological edge modes with ultracold atoms. In: Nature Physics, 2024.