Alle Zellen höherer Organismen sind von einem Zellskelett durchzogen, das im Wesentlichen aus Aktin-Filamenten und kleinen Proteinröhren, den Mikrotubuli, besteht. Dabei wurden lange Zeit die Aktin- beziehungsweise Mikrotubuli-Netzwerke als unabhängige Systeme betrachtet. Heute weiß man, dass die beiden Netzwerk-Typen miteinander kommunizieren und damit essenzielle zelluläre Prozesse wie die Zellteilung oder die Zellmigration überhaupt erst möglich machen. Wie diese Zusammenarbeit auf molekularer Ebene funktioniert, war allerdings noch unbekannt. Professor Erwin Frey, Inhaber des Lehrstuhls für Statistische und Biologische Physik an der LMU, und Dr. Zeynep Ökten vom Lehrstuhl für Molekulare Biophysik der TUM, haben mit ihren Teams nun am Beispiel des Farbwechsels bei Tieren erstmals einen Mechanismus identifiziert, der die Kommunikation zwischen beiden Netzwerksystemen erklärt, und potenzielle Evolutionswege aufgedeckt. Über ihre Ergebnisse berichten die Wissenschaftler im Fachmagazin PNAS.Viele funktionelle Bestandteile einer Zelle, etwa die Organellen, müssen in der Zelle zum richtigen Zeitpunkt an den richtigen Ort gebracht werden. Dazu werden sie von molekularen Motoren aktiv auf den Mikrotubuli und Aktinfilamenten transportiert. Studien zeigten, dass Motoren, die lange als hochspezifisch für eines der beiden Netzwerksysteme galten, in Wirklichkeit auch auf den anderen Filamenttyp umgelenkt werden können. In Mäusen etwa wurde ein Adapter-Protein gefunden, das mit dem Motorprotein Myosin assoziiert ist und mit dem Transport Pigment-produzierender Organellen zusammenhängt. Myosin transportiert seine Fracht über das Aktin-Netzwerk, das Adapter-Protein interagiert aber auch mit den Mikrotubuli und kann den Transport auf dieses Netzwerk umleiten, den Motor also auf die „falsche“ Spur zwingen. Welches Netzwerk präferiert wird, steuert eine chemische Modifikation an einer bestimmten Bindungsstelle des Adapterproteins. Adapter-Protein mit Umschalt-ModusEin dem Säugetier-Adapter entsprechendes Protein weisen auch Fische und Amphibien auf. Bei Säugetieren ist der „Spurwechsel“ der Pigment-Organellen physiologisch nicht relevant, da sie ihre Fellfarbe nicht ändern. Die evolutiv älteren Fische und Amphibien dagegen können ihre Hautfarbe an Umweltfaktoren anpassen, indem sie Pigment-Organellen innerhalb hochspezialisierter Zellen umverteilen. Daher setzten die Forscher für experimentelle Untersuchungen in Öktens Labor Zebrafische und Krallenfrösche – beides gut untersuchte Modellorganismen in der Biologie – ein, um den Ursprung und die molekularen Mechanismen der Interaktion zwischen dem Mikrotubuli- und dem Aktinnetzwerk zu untersuchen.Dabei fanden die Wissenschaftler, dass sowohl das Maus- als auch das Krallenfrosch-Adapter-Protein eine bestimmte Domäne besitzt, die das Switchen zwischen Aktinen und Mikrotubuli ermöglicht. Zebrafische, die evolutiv ältesten der untersuchten Tiere, haben diese Domäne noch nicht. „Hier unterliegen die Motorproteine, die die Pigmente bewegen, also anderen Regulationsmechanismen und es gibt noch keine Interaktion zwischen den verschiedenen Zellskelett-Netzwerken“, sagt Ökten. „Bei den Krallenfröschen dagegen ist das Umschalten zwischen den Netzwerken zwingend erforderlich, damit das Tier sich umfärben kann – und diese Fähigkeit zum Umschalten hat sich auch im weiteren Verlauf der Evolution vom Amphibium zum höheren Wirbeltier erhalten.“ Theoretisches Modell erklärt Pigmentumverteilung Die experimentellen Ergebnisse zeigten zudem, dass die Umweltsignale, die bei Krallenfröschen eine dynamische Umverteilung der Pigment-Organellen in vivo bewirken, mit einer Änderung der Wahrscheinlichkeit zusammenhängen, mit der einzelne Motorproteine von den Aktin- zu den Mikrotubuli-Filamenten wechseln. „Wir haben dann ein theoretisches Modell entwickelt, das die Umschaltwahrscheinlichkeit eines einzelnen Motorproteins mit der zellweiten Umverteilung der Pigment-Organellen in Beziehung setzt“, sagt Frey. Die Computersimulationen ergaben, dass tatsächlich die Variation der Umschaltwahrscheinlichkeit als einziger Parameter ausreicht, um eine Umverteilung der Organellen in den simulierten Zellen zu provozieren. „Auffallend ist, dass unsere Simulationen die in vivo beobachtete Organellen-Umverteilung bemerkenswert genau widerspiegeln“, sagt Frey. Damit unterstreicht der theoretische Ansatz die funktionelle Bedeutung der experimentellen Ergebnisse und zeigt, dass die Interaktion zwischen Aktin- und Mikrotubuli-Netzwerk, die sich bei niederen Wirbeltieren entwickelt hat, eine besonders hohe regulatorische Effizienz besitzt.PNAS 2020