News

Von Eroberern zu Nachbarn

21.07.2017

Vor 3500 Jahren gründeten die ägyptischen Könige die Siedlung Sai auf der gleichnamigen Nilinsel. LMU-Archäologin Julia Budka erforscht, wie zugewanderte Ägypter und die lokale nubische Bevölkerung einen blühenden Mikrokosmos schufen.

Sie kamen mit Schiffen, vollgeladen mit Kochtöpfen, Geschirr und anderen Dingen, die man zum Leben braucht – so könnte man sich den Einzug der ersten ägyptischen Beamten in die neue Siedlung auf der Nilinsel Sai vorstellen. Ab 1539 vor Christus waren sie in Nubien, dem heutigen Sudan, fern ihrer Heimat mit Verwaltungsaufgaben beauftragt. Nachdem der ägyptische König Thutmosis III das afrikanische Reich der Kerma zerschlagen hatte, expandierte Ägypten weiter nach Süden. Die Insel Sai diente als wichtiger Vorposten bei der Expansion. Ihre Lage war in mehrerer Hinsicht strategisch entscheidend. Von hier aus ließen sich der Schiffsverkehr kontrollieren und die ägyptische Militärexpedition mit allem Notwendigen aus der Heimat versorgen. Zudem galt Nubien als „Goldland der Pharaonen“, aus dem wertvolle Rohstoffe nach Ägypten geliefert wurden.

„Es war ein militärischer Feldzug in mehreren Etappen, der vermutlich auch immer einen ökonomischen Hintergrund hatte“, sagt Julia Budka, Professorin für Ägyptische Archäologie und Kunstgeschichte an der LMU. Unter Thutmosis III wurde auf Sai dann eine ägyptische Festungsstadt errichtet, um die Verwaltung der neuen Gebiete zu sichern. „Und auch um symbolisch zu zeigen: Das ist jetzt ägyptisches Territorium.“ Für die ägyptischen Beamten war Sai zunächst nicht mehr als eine vorübergehende Station in ihrem Leben. Sie wurden für ein paar Jahre entsandt und dann abgelöst, sodass sie wieder nach Hause zurückkehren konnten. Ob und wie Sai für die Ägypter im Laufe der Kolonisierung zur Heimat wurde, untersucht Julia Budka seit dem Jahr 2012 in ihrem Forschungsprojekt „Across Borders“, für das sie einen hochdotierten Starting-Grant des Europäischen Forschungsrats in Höhe von knapp 1,5 Millionen Euro erhielt.

In den vergangenen Jahren hat Julia Budka parallel an drei verschiedenen Orten geforscht: In Abydos im ägyptischen Kernland, im ägyptischen Grenzort Elephantine, der als Tor zu Afrika galt und wo Ägypter und Nubier schon lange über Handelsbeziehungen in Kontakt waren, und auf der Insel Sai im ehemaligen Nubien. „Es schien extrem erfolgsversprechend diese drei Orte zu vergleichen, um mehr über ihre Gemeinsamkeiten und Besonderheiten zu erfahren. Textliche Überlieferungen belegen, dass einzelne Personen im Laufe ihres Lebens in mehreren dieser Siedlungen gelebt haben.“ Diese Konstellation ermöglichte ihr, die Folgen interkulturellen Kontakts im antiken Ägypten zu untersuchen: Lebten die Ägypter in Sai genauso wie in ihrer Heimat? Welchen Einfluss hatte die unmittelbare Nachbarschaft zur lokalen Bevölkerung auf ihren Alltag? Was passierte, als die pharaonische Lebenskultur auf die lokale nubische Tradition traf? „Es zeigt sich, dass es bei aller zentralen Planung aus Ägypten doch Unterschiede im Lebensalltag gab“, konstatiert Budka nach fünf Jahren Forschung, von denen sie jährlich mehrere Monate im Sudan und in Ägypten auf Ausgrabungen verbrachte.

Buntes Miteinander Als die ersten ägyptischen Beamten nach Sai kamen, gab es keine Infrastruktur. „Zu Beginn waren sie komplett abhängig vom Nachschub aus Ägypten.“ Und sie kamen mit Vorurteilen im Gepäck. „Sie hatten Ängste, die mitunter an heutige Abwehrhaltungen gegenüber Menschen anderer Kulturen erinnern. Es gibt Textstellen, in denen zum Beispiel vor Nubiern gewarnt wurde mit dem Hinweis, diese würden betrügen und stehlen“, sagt Budka. „Wenn man sich allerdings ansieht, wie die Menschen miteinander gelebt haben, wird das Bild bunter.“ Ihre Funde liefern Hinweise auf die Präsenz nubischer Bevölkerung in Sai und lassen eine „spezielle Eigendynamik erkennen – jenseits von starren Kategorien wie ägyptisch oder nubisch“: „Wir machen es uns zu einfach, wenn wir sagen: Das ist eine ägyptische Siedlung, deswegen haben dort nur Ägypter gewohnt. Vieles, was die damalige Kultur und den Alltag ausmachte, ist auf individuelle Entscheidungen zurückzuführen.“

Die Ägypter haben sich offenbar nach und nach, Generation für Generation mit dem Leben auf der Nilinsel und der lokalen Bevölkerung arrangiert. Der Alltag und das Zusammenleben der ersten Generationen von Ägyptern muss noch geprägt gewesen sein vom Konflikt mit dem untergehenden Kermareich. „Als die kriegerischen Auseinandersetzungen beendet waren, gab es plötzlich einen Boom in der Stadt. Ich bin der festen Überzeugung, dass das nur möglich war, weil man einen Deal mit der lokalen Bevölkerung gefunden und sich adaptiert hat.“ Es entstand zum Beispiel eine ägyptische Keramikproduktion auf Sai. Viele Funde zeugen davon, dass die Tongefäße in Sai zwar die typische ägyptische Form hatten, aber zuweilen auch nubische Merkmale, etwa eine bestimmte Strichpolitur – also Aspekte der nubischen Töpferproduktion neu umsetzten.

Seite 2: Grab des Goldschmiedemeisters Chnummos   Julia Budka beim Ausgraben eines Skarabäus, der im Grab gefunden wurde:

Wonach suchen Sie?