HIV-positive Kinder, die nicht an der Virusinfektion erkranken, sind eine absolute Ausnahme. In der Regel bekommen mehr als 99 Prozent aller Menschen, die mit HIV infiziert sind, ohne Therapie die Immunschwächekrankheit AIDS, wobei die Erkrankung bei Kindern in der Regel viel schneller verläuft als bei Erwachsenen. Warum Schätzungen zufolge zwischen fünf und zehn Prozent der HIV-positiven Kinder dieses Schicksal nicht teilen, beschreiben Forscher um Dr. Maximilian Muenchhoff vom Max von Pettenkofer-Institut der LMU und der University of Oxford (Professor Philip Goulder) aktuell in der Fachzeitschrift Science Translational Medicine. Das Team hat die Immunreaktion HIV-positiver Kinder in Südafrika untersucht, die zum Zeitpunkt der Geburt oder während des Stillens von ihren Müttern infiziert wurden. Im Schnitt waren diese Kinder bei Eintritt in die Studie acht Jahre und vier Monate alt.
Die immunologischen Untersuchungen zeigen, dass das Virus sich im Körper der Kinder sehr stark vermehrt, sie aber dennoch nicht erkranken. Ihr Immunsystem bleibt voll funktionsfähig. „Diese gesunden Kinder zeichnen sich interessanterweise vor allem durch eine nur schwache Aktivierung des Immunsystems als Folge der Infektion aus. Außerdem beschränkt sich das virale Reservoir, das heißt das ansonsten komplexe Spektrum HIV-infizierten Zellen, vor allem auf kurzlebige CD4+ T-Zellen“, sagt Maximilian Muenchhoff. Die Forscher konnten zudem zeigen, dass diese Kinder zumeist auch hochpotente, breit neutralisierende Antikörper gegen HIV entwickelten.
Die Mechanismen der Immunantwort von gesunden HIV-infizierten Kindern ähneln damit jenen der natürlichen Affenwirte des Simian Immunodeficiency-Virus (SIV), von dem HIV abstammt. Diese Primaten leben weitgehend unbeschadet mit dem Virus, ohne zu erkranken – trotz starker Virusreplikation. Hierbei stehen ebenso kurzlebige CD4+ T-Zellen als Reservoir und eine niedrige Immunaktivierung im Vordergrund ähnlich wie bei den nicht erkrankenden HIV-infizierten Kindern. Bei einem Großteil der HIV-infizierten Patienten liegt dagegen eine erhöhte chronische Immunaktivierung vor, die selbst unter antiretroviraler Therapie persistiert und zu Langzeitkomplikationen führt wie zum Beispiel einem erhöhten Risiko an Herz-Kreislauf-Krankheiten zu erkranken.
Die Erkenntnisse der Studie sind daher sowohl für die Entwicklung von HIV-Impfstoffen als auch für mögliche Interventionen bei chronischen HIV-Infektionen von Bedeutung. „Dies ist eine bemerkenswerte klinische Studie aus dem Epizentrum der HIV-Pandemie. Die Fähigkeit dieser Kinder, trotz großer Virusmengen und ohne Therapie ein intaktes Immunsystem zu erhalten, kann neue Erkenntnisse zu bis dato unbekannten Abwehrmechanismen liefern, von denen in der Zukunft eventuell auch andere HIV-Patienten profitieren können“, sagt Professor Oliver T. Keppler, Vorstand der Virologie am Max von Pettenkofer-Institut der LMU und ehemaliger Leiter des Nationalen Referenzzentrums für Retroviren in Frankfurt am Main.
Die Studien wurden an Forschungszentren in Durban in Südafrika, durchgeführt. Die 170 Kinder der Kohortenstudie wurden von ihren Müttern mit dem HIV-Virus infiziert. Da die Kinder nicht erkrankten, wurde das in der Regel erst einige Jahre später entdeckt, als ihre Mütter wegen AIDS ärztliche Behandlung benötigten. (Science Translational Medicine 2016)