Astrophysik: Schlüssel zur schnellen Planetenbildung
31.07.2024
Ein Team um Forschende der LMU hat ein neues Modell zur Entstehung von Riesenplaneten wie Jupiter entwickelt, das tiefere Einblicke in die Prozesse der Planetenentstehung liefert und unser Verständnis von Planetensystemen erweitern könnte.
Unser Sonnensystem ist unsere unmittelbare kosmische Nachbarschaft. Wir kennen es gut: die Sonne im Zentrum, dann die Gesteinsplaneten Merkur, Venus, Erde und Mars, dann der Asteroidengürtel, gefolgt von den Gasriesen Jupiter und Saturn, den Eisriesen Uranus und Neptun, und schließlich der Kuipergürtel mit seinen Kometen. Doch wie gut kennen wir unsere Heimat wirklich? Bisherige Theorien gehen davon aus, dass Riesenplaneten durch Kollisionen und Ansammlungen asteroidenartiger Himmelskörper, sogenannter Planetesimale, und anschließende Aufnahme von Gas im Laufe von Jahrmillionen entstehen. Diese Modelle erklären jedoch weder die Existenz von Gasriesen, die weit von ihren Sternen entfernt sind, noch die Entstehung von Uranus und Neptun.
Illustration eines Modells, wie sich aus dem Staub einer protoplanetaren Scheibe heraus auch schnell Gasriesen wie Jupiter, Saturn oder Uranus im Sonnensystem bilden konnten und dann Staub in Bereiche außerhalb ihrer Umlaufbahn trieben.
Astrophysikerinnen und Astrophysiker der LMU, des Exzellenzclusters ORIGINS und des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung (MPS) haben ein Modell entwickelt, das erstmals alle notwendigen physikalischen Prozesse vereint, die bei der Planetenentstehung eine Rolle spielen. Sie können damit zeigen, dass ringförmige Störungen in protoplanetaren Scheiben, sogenannte Substrukturen, die schnelle Bildung mehrerer Gasriesen auslösen können. Die Ergebnisse der Studie stimmen mit jüngsten Beobachtungen überein und deuten darauf hin, dass die Bildung von Riesenplaneten effizienter und schneller ablaufen könnte, als bisher angenommen.
Wenn ein Planet groß genug ist, um selbst die Gasscheibe zu beeinflussen, führt dies zu einer erneuten Staubanreicherung weiter außen in der Scheibe. Dabei treibt der Planet den Staub, ähnlich wie ein Hirtenhund seine Herde, in den Bereich außerhalb seiner eigenen Umlaufbahn.
Til Birnstiel
Mit ihrem Modell zeigen die Forschenden, wie sich millimetergroße Staubteilchen aerodynamisch in der turbulenten Gasscheibe anhäufen und wie diese anfängliche Störung in der Scheibe Staub einfängt und daran hindert, in Richtung des Sterns zu verschwinden. Diese Anhäufung macht das Wachstum von Planeten sehr effizient, da plötzlich viel „Baumaterial“ auf kleinem Raum zur Verfügung steht und die richtigen Bedingungen für Planetenentstehungen gegeben sind.
„Wenn ein Planet groß genug ist, um selbst die Gasscheibe zu beeinflussen, führt dies zu einer erneuten Staubanreicherung weiter außen in der Scheibe“, erklärt Til Birnstiel, Professor für Theoretische Astrophysik an der LMU und Mitglied im Exzellenzcluster ORIGINS. „Dabei treibt der Planet den Staub, ähnlich wie ein Hirtenhund seine Herde, in den Bereich außerhalb seiner eigenen Umlaufbahn.“ Der Prozess beginnt von Neuem, von innen nach außen, und ein weiterer Riesenplanet kann entstehen. „Dies ist das erste Mal, dass eine Simulation das Wachstum von Feinstaub bis hin zu Riesenplaneten verfolgt“, sagt Tommy Chi Ho Lau, Erstautor der Studie und Doktorand an der LMU.
Vielfalt von Gasriesen in unserem und anderen Sternensystemen
In unserem Sonnensystem sind die Gasriesen in einer Entfernung von etwa fünf Astronomischen Einheiten (au) (Jupiter) bis zu einer Entfernung von etwa 30 au (Neptun) von der Sonne angeordnet. Zum Vergleich: Unsere Erde ist 150 Millionen Kilometer von der Sonne entfernt, dies entspricht einer Astronomischen Einheit.
Die Forschungsarbeit zeigt, dass in anderen Sternsystemen eine Störung den Prozess noch in viel größerer Entfernung in Gang bringen könnte und dieser immer noch sehr schnell abläuft. Solche Systeme wurden in den letzten Jahren häufig mit dem Radioobservatorium ALMA beobachtet. Es hat Gasriesen in jungen Scheiben jenseits von 200 au gefunden. Das Modell erklärt aber auch, warum unser Sonnensystem mit Neptun scheinbar aufgehört hat, weitere Planeten zu bilden. Das Baumaterial war nach der Bildung des Neptun einfach aufgebraucht.
Die Ergebnisse der Studie stimmen mit aktuellen Beobachtungen von jungen Sternsystemen überein, die ausgeprägte Substrukturen in ihren Scheiben aufweisen. Diese Substrukturen spielen eine entscheidende Rolle bei der Planetenbildung. Die Studie deutet darauf hin, dass die Bildung von Riesenplaneten und Gasriesen effizienter und schneller abläuft, als bisher angenommen. Diese neuen Erkenntnisse könnten unser Verständnis der Entstehung und Entwicklung der Riesenplaneten unseres Sonnensystems verfeinern und die Vielfalt der beobachteten Planetensysteme erklären.