Auf der Suche nach den großen Antworten
23.09.2020
Der LMU-Physiker Fabian Grusdt hat den ERC-Starting Grant erhalten. Im Porträt erzählt er von seiner Leidenschaft für die Physik, seiner Karriere und Plänen.
23.09.2020
Der LMU-Physiker Fabian Grusdt hat den ERC-Starting Grant erhalten. Im Porträt erzählt er von seiner Leidenschaft für die Physik, seiner Karriere und Plänen.
Von Hubert Filser
Fabian Grusdt verliert keine Zeit. Auf seinem Tablet wischt er ein paar Mal über den Bildschirm und zeigt, woran er gerade arbeitet. Seitenweise Formeln sind zu sehen, mathematische Symbole und Klammern, Abfolgen von Vektoren, Operatoren und für Laien kompliziert aussehenden Berechnungen. Es ist ein Crash-Kurs in theoretischer Quantenphysik. Grusdt lacht, wie um zu verstehen zu geben, dass die gezeigte Materie für einen Laien nicht eben leicht zu begreifen ist. Die Formeln und Beschreibungen spiegeln ein sich rasant entwickelndes, neues Forschungsfeld wider: Es geht um das überaus komplexe Verhalten stark korrelierter Quantensysteme und wie man diese mit Hilfe neuartiger Quantensimulatoren verstehen kann. Seine Theorien notiert Grusdt inzwischen praktisch ausschließlich auf dem Tablet Früher – und das kann für einen 30-Jährigen noch nicht so lange her sein – habe er seine Berechnungen zu den Wellenfunktionen mit dem Bleistift auf Papier geschrieben, erzählt er.
Ich habe schon immer für diese eine Sache geglüht, für die Physik.Fabian Grusdt
Nun erhielt der junge Quantenphysiker den prestigeträchtigen Starting-Grant des Europäischen Forschungsrats (ERC). Sein Projekt „SimUcQuam“ (Simulating ultracold correlated quantum matter: New microscopic paradigms) wird er auch im Rahmen des Münchner Exzellenzclusters „Munich Center for Quantum Science and Techology“ (MCQST) umsetzen. Konkret will Grusdt nach Fingerabdrücken der mikroskopischen Bestandteile von stark wechselwirkenden Elektronen in den komplexen Quantensystemen suchen. Langfristig könnte man so sogar grundlegende Phänomene wie die Hochtemperatur-Supraleitung verstehen, ein Feld, für das schon viele Nobelpreise vergeben wurden. „Ihr mikroskopischer Ursprung ist nur unzureichend verstanden“, sagt Grusdt.
Es sind große Ziele für einen jungen Physiker. Sein Werdegang liest sich wie die Biografie eines Wunderkinds. In der Schule übersprang Grusdt die 11. Klasse. Während er sich auf das Abitur am Gymnasium Tegernsee vorbereitete, studierte er parallel im Fernstudium an der TU Kaiserlautern Physik und Mathematik. Als junger Physiker hat er inzwischen drei Science - und drei Nature-Publikationen vorzuweisen, wird häufig von Kollegen zitiert. Dass ihn manche tatsächlich als Überflieger wahrnehmen, kommentiert er mit einem Kopfschütteln: „Ich bin kein Wunderkind. Ich habe einfach nur immer schon für diese eine Sache geglüht, für die Physik.“ Das sei ein Unterschied.
Tatsächlich kann Fabian Grusdt stundenlang über Physik sprechen, über seine Begeisterung, die in der Jugendzeit entstand, als er sich mit Astronomie oder der „Physik der erlöschenden Kerzen und ihrer Schwingungen“ beschäftigte, über die ersten zarten Gehversuche als Student und dann als Doktorand in Kaiserslautern und dann später als Postdoc an der renommierten Universität Harvard.
Er habe sich eigentlich mit Verunreinigungen beschäftigt, sogenannten Impurities. Zu den Hochtemperatur-Supraleitern kam er, als er sich mit Quantengasen auseinandersetzte. „Ich habe immer einen Schritt nach dem anderen gemacht, da war viel Zufall dabei“, sagt Grusdt. „Das Feld hatte mich eigentlich zunächst abgeschreckt. Da herrscht ein ziemlich ruppiger Ton, Hochtemperatur-Supraleitung war immer hauptsächlich von Männern dominiert. Ich war da als Quantenphysiker ein Quereinsteiger.“ Jetzt leitet er seine eigene Gruppe an der LMU am Lehrstuhl für Theoretische Nanophysik von Ulrich Schollwöck, ist Teil des MCQST-Clusters, wo er zuvor bereits seit vergangenem Herbst mit einer START Fellowship unterstützt wird. „Das hilft mir alles ungemein“, sagt er. „Mit den besten Student*innen und Postdocs kann man seine Ideen einfach schneller umsetzen.“
Und Ideen hat er viele. Sie drehen sich um die innere Struktur komplexer Quantensysteme. So wie die Entdeckung von Atomen und ihrer inneren Struktur die Vielfalt unserer Materie weitgehend erklären konnte, wolle er solche bislang unbekannten Bestandteile nun in Quantensystemen aufspüren und so ihr Verhalten erklären. Es geht dabei um ziemlich abstrakte Konstrukte, die niemand zuvor beobachtet hat, die aber nun möglicherweise mit den neuen Quantensimulatoren aus ultrakalten Atomen nachgewiesen werden können, wie sie auch am Münchner Cluster aufgebaut werden. Atome werden dabei in Kristallgitter aus Laserstrahlen eingesperrt und auf Temperaturen knapp über dem absoluten Nullpunkt gekühlt. Mit Hilfe komplizierter Versuchsanordnungen entstehen so Modellsysteme, mit denen die Forscher Präzisionsmessungen etwa in der Festkörperphysik machen und theoretische Phänomene wie Hochtemperatursupraleitung untersuchen können.
Wenn man Grusdt zuhört, werden solche theoretischen Überlegungen schnell weniger abstrakt. Er kann komplexe Zusammenhänge einfach erklären, hört Fragen ruhig zu und verliert bei seinen Antworten nie das große Ganze aus den Augen. Es ist kein Physik-Nerd, der in den Niederungen seiner Fachwelt versinkt. Man spürt vielmehr, dass sich da jemand an großen Dingen abarbeiten möchte. Es gibt da diese Geschichte aus Harvard, als er seine bislang wichtigste Grundidee vorstellte. Es ging um ein Loch in einem Hochtemperatursupraleiter, dessen theoretische Grundlagen noch immer nicht verstanden sind. Also formulierte Grusdt auf Basis von Arbeiten aus den 1960er Jahren eine Idee, dass ein sich bewegendes Loch auf seinem Weg durch einen Antiferromagneten eine Spur hinterlässt, eine Art Erinnerung. Spins von Teilchen drehen sich um. String nennt Grusdt diesen Erinnerungspfad. An einem Ende des Pfads befindet sich das Loch, am anderen eine Art Spin-Anregung mit großer effektiver Masse, Spinon nennt das der Quantenphysiker. Beide seien über den String verbunden, so wie ein Hund an der Leine mit seinem Besitzer, erklärt Grusdt. „Insgesamt geht es hier offensichtlich um kollektive Effekte.“
Es war zum Zeitpunkt des Vortrags eine theoretische Idee, notiert in den eingangs erwähnten Operatoren mit ihren Abbildungsvorschriften. Doch die Kollegen in der Gruppe um Harvard-Professor Eugene Demler wurden neugierig. Genau so etwas hatte Grusdts Post-Doc-Kollege Daniel Greif in Quantensimulatoren nachgewiesen, jenen neuen Systemen, die nun auch in München zum Einsatz kommen. Es war einer dieser Heureka-Momente, über den oft geschrieben wird. „Das war schon sehr besonders“, sagt Grusdt. „Davon träumt man als Forscher ja immer, dass theoretische Vorhersagen tatsächlich eintreffen.“
Genau daran wolle er in München mit Hilfe seines ERC-Grants weiterarbeiten. „Wir haben hier optimale Bedingungen, einen idealen Dreiklang aus Theorie, Numerik und Quantensimulatoren“, sagt Grusdt. Der Münchner Cluster biete genau dafür hervorragende Möglichkeiten. Grusdt wird sowohl mit experimentellen Gruppen an der LMU zusammenarbeiten, gleichzeitig will er mit Hilfe numerischer Verfahren seine Theorien verbessern. „Es gibt jetzt in München ein enormes Maß an Möglichkeiten“, sagt Grusdt. „Wir können nicht nur konkrete theoretische Vorhersagen für das hochkomplexe Verhalten von Quantensystemen machen, wir können numerische Näherungen machen und sogar die vorgeschlagenen Strukturen experimentell überprüfen. Das ist phantastisch.“ Seine Idee der Strings sei nur der erste Schritt. Er wolle nun studieren, wie und wann sie sich wieder auflösen und was passiere, wenn mehrere Strings zusammentreffen. Vielleicht führt dies zur großen Erklärung der Hochtemperatursupraleitung, wer weiß.
Wichtig auf diesem langen Weg sei auch eine Stimmung, wie sie gerade in München herrsche, das Gemeinschaftsgefühl. „Es geht nicht nur um die Expertise, hier wachsen tatsächlich die Leute zusammen“, so Grusdt. Man spüre die große Überzeugung der Physiker, von Kollegen wie Immanuel Bloch oder Ulrich Schollwöck. „Es ist wichtig, dass schon junge Physiker*innen das große Bild begreifen“, sagt Grusdt. Diese Begeisterung möchte er auch an seine Studenten*innen weitergeben. Fabian Grusdt ist 30 Jahre alt, kein Wunderkind, aber ein Forscher, der für sein Fach brennt und keine Zeit verliert. Und das sind nicht die schlechtesten Voraussetzungen für neue Erkenntnisse.