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Brückenbauer zwischen den Theologien und der Gesellschaft

21.08.2024

Neuberufen an der LMU, forscht Stefanos Athanasiou zu Dogmatik, Ethik und Ökumene. 

Als einziger orthodoxer Theologe wurde Stefanos Athanasiou wegen seiner Forschungen einst in den Neuen Schülerkreis von Benedikt XVI. aufgenommen – eine Erfahrung, die ihm persönliche Begegnungen und wissenschaftlich fundierten Austausch in dessen Theologie ermöglichte. „Immer wieder hob Joseph Ratzinger die Nähe zur orthodoxen Theologie und Kirche hervor“, erinnert sich Athanasiou. „Und er unterstrich bei unseren Gesprächen immer wieder, dass viele vermeintlich trennende Aspekte zum gemeinsamen Erbe der evangelischen und katholischen und orthodoxen Theologie gehören.“

Seit vergangenem Jahr hat Stefanos Athanasiou eine W-3-Professur für Systematische Theologie (Dogmatik, Ethik und Ökumenische Theologie) an der LMU inne. Seine Forschung fokussiert dabei unter anderem auf die Schnittmengen zwischen katholischer, orthodoxer und evangelischer Theologie. So habe der spätere Papst Benedikt XVI. insbesondere in der Relativierung der Person Jesu Christi eine Bedrohung für den christlichen Glauben gesehen. „In der orthodoxen Theologie ist das ähnlich: Die Wahrheit wird hier als personifiziert in Jesus Christus betrachtet, weshalb ihre Relativierung zu einer Auflösung des christlichen Glaubens führen würde. Theologie bleibt jedoch dabei immer dialogisch.“

Professor Stefanos Athanasiou blickt konzentriert auf einen Monitor, halbrechts im Hintergrund sieht man eine Ikone mit einer leichten Unschärfe sowie ganz rechts ein volles, sehr aufgeräumtes Bücherregal.

Professor Stefanos Athanasiou in seinem Arbeitszimmer.

© Jan Greune/LMU

Unterschiede zwischen den Theologien (orthodox, katholisch, evangelisch) und Religionen gibt es natürlich und sind vor allem einerseits auf die unterschiedliche kulturelle Entwicklung zurückzuführen, tangieren dabei jedoch auch theologische Sichtweisen, wie etwa das Papstamt, die Bedeutung des Amtes, die theologische Sichtweise auf Maria etc. Diese in einen wissenschaftlichen Diskurs zu bringen ist für Athanasiou nicht nur wissenschaftlich spannend, sondern trägt auch zum Dialog zwischen den verschiedenen theologischen Traditionen bei und ist somit friedensfördernd für die Gesellschaft.

Mit dem Wechsel an die LMU ist Athanasiou seit 1. August 2023 an seinen Studienort zurückgekehrt: Denn an der Ausbildungseinrichtung für Orthodoxe Theologie der Universität hatte er einst nach dem Abitur bis zum Vordiplom studiert. Anschließend war er an die Aristoteles-Universität Thessaloniki gewechselt, wo er nach dem Studium im Bereich Systematische Theologie promovierte. Während eines habilitationskonformen Postdoktorats, ebenfalls in Thessaloniki, befasste Athanasiou sich mit der Bedeutung von Wahrheit und Vernunft in der modernen Gesellschaft.

Theologe, Priester und Radiomoderator

Nach seiner theologischen Grundausbildung wirkte er als wissenschaftlicher Assistent am Institut für Christkatholische Theologie sowie dem Departement für Evangelische Theologie der Universität Bern. Zwischenzeitlich dozierte er Orthodoxe Theologie an der Logos-Universität Tirana sowie Ökumenische Theologie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Als Gastdozent wirkt er zudem an der deutschsprachigen Dormitio-Abtei in Jerusalem, der Päpstlichen Lateran-Universität in Rom sowie an der Theologischen Hochschule von Chur und war Gastforscher am Institut für Biomedizinische Ethik und Medizingeschichte der Universität Zürich.

Seit 2016 wirkt Stefanos Athanasiou außerdem als Priester des Ökumenischen Patriarchats der Metropolie der Schweiz und hatte vor seinem Wechsel an die LMU seit 2018 einen Lehrauftrag im Bereich der Theologie der Ostkirche an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Fribourg. Daneben war er einige Jahre lang Redakteur und Moderator bei Radio Maria Schweiz und diskutierte mit Hörern und Studiogästen über ethische und theologische Fragen. „Der intensive Kontakt mit Menschen, insbesondere während der Corona-Zeit, machte dies zu einer der besten Erfahrungen meines Lebens“, so Athanasiou.

In seinen ökumenischen Forschungen beschäftigte er sich vertieft neben der katholischen auch mit der protestantischen Theologie. So forschte er zur politischen Theologie der protestantischen Theologin Dorothee Sölle, „die man als theologischen Gegenpol zu Ratzinger sehen könnte“.

Seine bioethischen Forschungen rundete er mit einer Promotion an der Medizinischen Fakultät der Universität Zürich ab. Bezüglich der Sozialethik betont Athanasiou, während die katholische Kirche ethische Normen durch Lehramtsentscheidungen und die protestantische diese durch dialogische Schriften definiere, gehe die orthodoxe Theologie einen anderen Weg. „Ihr zufolge führt traditionell ein gesundes spirituelles Leben – also mit Gebeten und dem Besuch des Gottesdienstes – auch ohne explizite Dokumente oder Lehrentscheidungen automatisch zu ethischem Verhalten.“

„Beruhigende Spiritualität der Orthodoxie“

Dies sieht Athanasiou als einen Grund für den Zulauf zur orthodoxen Kirche. „Dass die Kirche auf einem absteigenden Ast wäre, können wir aus orthodoxer Perspektive nicht bestätigen“, so Athanasiou. „Vor allem im deutschsprachigen Raum gibt es immer mehr Gläubige – und eigentlich müssten wir Kirchen bauen.“ Dies wird vor allem auch an den bayrischen Schulen sichtbar. Nur in Bayern gibt es fast 100.000 Schülerinnen und Schüler christlich-orthodoxen Glaubens.

Eigentlich müsste nach Bayerischer Verfassung und Deutschem Grundgesetz, nach denen Religionsunterricht ein ordentliches Lehrfach ist, der orthodoxe Religionsunterricht gleichberechtigt mit den anderen Kirchen eingeführt werden. Athanasiou will sich mit seinen Kolleginnen und Kollegen dafür einsetzen, dass die LMU München bzw. die Ausbildungseinrichtung für Orthodoxe Theologie zukünftig ein Garant für eine gute, wissenschaftlich solide Ausbildung orthodoxer Lehrerinnen und Lehrer sein kann. Dafür wäre die Einrichtung einer weiteren Professur in orthodoxer Religionspädagogik an der LMU nötig. Den Hauptfaktor für die ansteigende Zahl der orthodoxen Gläubigen in Deutschland sieht Athanasiou bei der Zuwanderung gerade von orthodoxen Flüchtlingen aus der Ukraine.

Daneben steige aber auch die Zahl von Menschen, die sich für die Orthodoxie interessieren. „Viele dieser Menschen ohne vorherige Religionszugehörigkeit suchen Antworten auf ihre spirituellen Fragen – und einen Rückzugsort, an dem nicht alles logisch erklärt werden muss“, so Athanasiou. „Die orthodoxe Kirche bietet ihnen eine beruhigende Spiritualität, indem sie das Mysterium und die Unvollständigkeit des göttlichen Verständnisses akzeptiert.“

Die Erfahrungen, die Athanasiou neben der Theologie in Ethik und Medizin sammeln konnte, seien für ihn „horizonterweiternd“ gewesen. „Gerade im Bereich der Ethik müssen Religionen zusammenarbeiten und einem gemeinsamen roten Faden folgen.“ Ethik müsse dabei universelle, unveränderliche Werte beinhalten, die über Generationen hinweg bestehen blieben. „Sonst droht die Gefahr ihrer politischen Neudefinition wie im Nationalsozialismus.“ Athanasious Ziel ist es, ein internationales Netzwerk zwischen LMU, Technischer Universität München und anderen Institutionen aufzubauen, um ethische Fragen in der KI zu diskutieren, dabei darf auf keinen Fall, nach Athanasiou, die Nachwuchsförderung vergessen werden.

Eine ähnliche Plattform strebt er für orthodoxe Medizinerinnen und Mediziner an. „Wir hatten an der Uni Bern eine sehr schöne Forschung zu schwerwiegenden Entscheidungen im Krankenhaus. Wenn ich zum Beispiel in der Intensivstation mehr Kranke habe als Betten – wer bekommt diese?“ Gerade jüngere Ärztinnen und Ärzte empfänden diese Entscheidung als persönlich belastend und nicht mit ihrem Gewissen vereinbar – und ließen lieber in der Zukunft eine KI diese treffen. „Aber wollen wir wirklich, dass irgendwann KI alleine Entscheidungen über Leben und Tod oder Behandlung und Nicht-Behandlung trifft?“ In einer sich schnell entwickelnden technologischen Welt gewährleiste erst eine Kooperation von Naturwissenschaften und Theologie ethisch fundierte Antworten auf solche Fragen, die letztendlich auch Auswirkungen auf unsere demokratische Gesellschaft haben wird, da Demokratie vor allem Menschen braucht, die keine Angst vor Verantwortung haben.

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