„ChatGPT wird die Bildungsarbeit fundamental verändern“
20.02.2023
Frage an den Pädagogen Florian Schultz-Pernice: Was könnte ChatGPT dazu beitragen, Lehren und Lernen zu verbessern?
20.02.2023
Frage an den Pädagogen Florian Schultz-Pernice: Was könnte ChatGPT dazu beitragen, Lehren und Lernen zu verbessern?
Dr. Florian Schultz-Pernice koordiniert das DigiLLab der LMU. In seinem Gastbeitrag antwortet er auf die Frage, was das Sprachmodell ChatGPT für Lehre und Lernen bedeutet:
„ChatGPT erzeugt Texte von beeindruckender Qualität. Sie sind, geeignete Anweisungen vorausgesetzt, korrekt, erfüllen präzise Vorgaben im Hinblick auf Inhalt, Textlänge, Adressatenorientierung und Stil, suggerieren umfängliches Allgemeinwissen, spezifische Fachkenntnisse, ja ein bisweilen erstaunliches Verständnis von Zusammenhängen – und all das, grob gesprochen, mittels einer Berechnung der Auftretenswahrscheinlichkeit von Wörtern auf der Basis einer gigantischen Datenbasis.
In der öffentlichen Diskussion zu ChatGPT geben sich Begeisterung und Befürchtungen die Hand. Im Hinblick auf das Bildungswesen beherrschen jedoch eher Letztere das Feld. Denn wenn ChatGPT Texte von nicht selten höherer Qualität generieren kann als Lernende: Wer wird sich dann noch der Mühe unterziehen, die in der schulischen und hochschulischen Bildung geforderten Texte vom Schulaufsatz über die Hausarbeit bis hin zu Abschlussarbeiten zu verfassen? Und wie steht es dann um die im Zuge der schriftlichen Auseinandersetzung mit einem Gegenstand erworbenen Kenntnisse und Kompetenzen?
Die Perspektive lässt sich jedoch auch umdrehen. Wir können auch danach fragen, welches Potenzial in Anwendungen wie ChatGPT für Lernen und Bildung steckt. Und wie man Lernende dazu anregen und befähigen kann, derartige KI-Anwendungen für das eigene Lernen, den eigenen Kompetenzerwerb zu nutzen. Beide Fragerichtungen sind legitim. Beide sind notwendig. Denn wenn ein Konsens in der Diskussion um ChatGPT vorherrscht, ist es der, dass derartige Anwendungen die Bildungsarbeit an Schulen, Hochschulen und anderen Institutionen fundamental verändern werden – und zwar sowohl im Hinblick auf das Lernen wie das Lehren.
Lernenden steht mit einer Anwendung wie ChatGPT ein enorm leistungsfähiges Tool für das eigene Lernen zur Verfügung: Geht es zum Beispiel darum, aus Texten zu lernen, so lassen sich mithilfe einer solchen KI etwa auf einfache Weise die Zusammenfassung einer Quelle, die Paraphrase oder Erklärung einer komplizierten Passage sowie Anwendungsfälle, Quiz oder Tests erstellen, mit denen sich das eigene Verständnis überprüfen lässt.
Und was das eigene Schreiben angeht: Mithilfe derartiger Anwendungen lässt sich zum Beispiel Feedback zu dem eigenen Geschriebenen einholen, um dieses dann orthographisch, grammatikalisch oder stilistisch zu überarbeiten. Es lassen sich Ideen oder Strukturierungsvorschläge zu einem Thema generieren, alternative Versionen von Texten oder Textteilen erzeugen, Inhalte mit Beispielen veranschaulichen, stilistische Veränderungen vornehmen, Anfragen für Suchmaschinen formulieren – und das gilt für Märchen in der Grundschule oder eine Erörterung in der gymnasialen Oberstufe ebenso wie für Hausarbeiten im Studium.
Dabei dürfte es für das eigene Lernen wahrscheinlich besonders produktiv sein, wenn man die KI für eine wiederholte, den Output immer weiter optimierende Interaktion nutzt und damit in eine Art kooperativen Dialog mit der KI eintritt.
Auch für die Seite der Lehre ergeben sich vielfältige Potenziale über alle Phasen lehrbezogener Aktivitäten hinweg, also von der Planung über die Durchführung bis zum Assessment und der Evaluation von Unterricht.
So kann KI auf der Basis von Large Language Models etwa bei der Planung von Lehre Vorschläge zur Auswahl und Strukturierung von Lehrinhalten generieren und dazu passende Aufgabenstellungen unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade für die Differenzierung im Unterricht entwickeln. Um die Lernenden beim Lernprozess zu unterstützen, lassen sich Ressourcen und Hilfestellungen erzeugen, etwa Zusammenfassungen wichtigen Vorwissens oder an den Lernstand angepasste Übungsaufgaben zur Wiederholung und Automatisierung bereits vorausgesetzter Kompetenzen.
Und wenn es um das Assessment geht, so kann eine Anwendung wie ChatGPT die Auswertung und Korrektur der Textproduktionen der Lernenden wirkungsvoll unterstützen und damit Zeitressourcen schaffen, die Lehrende dann für solche besonders anspruchsvollen Tätigkeiten verwenden, welche die KI (noch) nicht übernehmen kann.
Für beides, Lernen wie Lehren, gilt dabei jedoch zweifellos, dass der Nutzen von ChatGPT & Co. im Bildungsbereich umso größer sein wird, je kompetenter Lehrende wie Lernende mit dieser neuartigen Technologie umgehen können. Und dazu ist zweierlei notwendig:
Erstens erfordert die optimale Nutzung von Systemen wie ChatGPT digitalisierungsbezogene Kompetenzen. Sie erstrecken sich von grundlegendem Wissen hinsichtlich der Funktionsweise und damit auch der Möglichkeiten und Grenzen derartiger KI-Systeme über anwendungsbezogene Kompetenzen zu ihrer optimalen Nutzung bis hin zu reflexiven und kritischen Kompetenzen der Beurteilung des Outputs im Hinblick etwa auf möglich Biases oder ‚halluzinierte‘ Antworten.
Zweitens ist zur produktiven Nutzung solcher Anwendungen für die eigene Bildung die souveräne Beherrschung der grundlegenden Kulturtechniken sowie auf das jeweilige Thema bezogene Fachkompetenz unabdingbar. Denn nur unter diesen Voraussetzungen ist es möglich, erstens einen optimalen Input für ChatGPT & Co. zu erzeugen und, zweitens, den Output der Maschine zu verstehen, zu beurteilen, ggf. zu optimieren – oder aber zu verwerfen. An dieser Stelle wird das Argument zirkulär: Denn um KI-Anwendungen wie ChatGPT optimal für die eigene Bildung zu nutzen, braucht es offenkundig ein Fundament an eben jenen Kompetenzen, die sich mithilfe der Maschine systematisch und effektiv weiterentwickeln lassen. Unter dieser Voraussetzung allerdings – verbunden mit dem Willen, die Technologie nicht zur Vermeidung von Lernen, sondern als Instrument zur Förderung zu nutzen – können sich ChatGPT und verwandte Anwendungen höchstwahrscheinlich als wertvolle Kooperationspartner in Bildungsprozessen erweisen.“
ChatGPT: Einschätzungen von LMU-Forschenden