„Chemish“ für alle
08.03.2023
Chemiedidaktikerin Silvija Markic, neu an der LMU, erforscht linguistische Heterogenität und kulturelle Diversität im Chemieunterricht.
08.03.2023
Chemiedidaktikerin Silvija Markic, neu an der LMU, erforscht linguistische Heterogenität und kulturelle Diversität im Chemieunterricht.
Allen Schülerinnen und Schülern „Chemish“ beizubringen, unabhängig von ihrer Muttersprache, ihrer Kultur und etwa ihrem Elternhaus – das ist das Ziel von Professorin Silvija Markic. „Chemish“, dieses Wort hat die Chemiedidaktikerin selbst geschöpft für jene besondere Sprache der Wissenschaft, die man für erfolgreiches Chemie-Lernen braucht.
Geboren in Kroatien, kam Markic mit 15 Jahren nach Deutschland und lernte das Schulsystem aus der Perspektive einer Schülerin mit Migrationshintergrund kennen. An der Universität Dortmund studierte sie Mathematik und Chemie für das Gymnasiallehramt und absolvierte das Referendariat an einem Bremer Gymnasium. 2008 wurde Sie an der Universität Bremen im Fach Chemiedidaktik promoviert, um im Jahr 2017 eine Professur für naturwissenschaftliches Lernen an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg anzutreten. Im April 2022 nahm sie die Professur für Chemiedidaktik an der LMU an.
Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf dem Thema Diversität und Inklusion im Chemieunterricht. Dabei fokussiert sie auf sprachliche, aber auch kulturelle Diversität. „Es ist mir wichtig, dass die Lernenden die Wissenschaftssprache der Chemie anerkennen, die ich gerne ,Chemish‘ nenne.“ Das sei schwieriger, als eine Fremdsprache wie Englisch zu lernen. „Denn dass der Stift von nun an ein Pencil ist, ist leicht. Aber dass ein komplexer Prozess Oxidation genannt wird, muss ganz anders beigebracht werden“, so Markic. „Ein bisschen wie einem Baby seine ersten Worte.“ Um das Konzept von Chemie zu verstehen, müssten die Schülerinnen und Schüler zunächst gut Deutsch können. „Dabei sprechen manche nur etwas wie ein ,Facebook‘-Deutsch, mit Abkürzungen und Ausdrücken, die man eher mit Emojis erklären könnte.“
Eine Promotion, die sie jüngst betreute, hatte zum Thema, inwieweit der „Gender Gap“ in naturwissenschaftlichen Fächern zwischen Mädchen und Jungs mit der Kultur zusammenhängt. „Demnach besteht in Deutschland der klassische Gender Gap bezüglich des Selbstkonzepts, das heißt, Jungs denken, sie sind besser in Chemie, die Mädchen denken, sie sind schlechter.“ Bei der türkischen Gruppe, die das Team befragte, war es genau andersherum. „In Interviews haben wir dann herausgefunden, dass die türkischen Jungs es schlichtweg uncool fanden, gut in Chemie zu sein.“ Basierend auf den Theorien von Pierre Bourdieu versuchten sie außerdem, das „Chemistry Capital“ der Jugendlichen zu erfassen – die unterschiedlichen Ressourcen eines Kindes also, von der Persönlichkeit bis zum Elternhaus. „Ein Schüler sagte, Chemie widerspreche der Religion seiner Familie. Ein anderer wurde zuhause ausgelacht, wenn er über Atome oder Ionen sprach.“
Derzeit arbeitet Markic an zwei EU-Projekten. Eines ist das Erasmus+-Projekt ESTA, Kürzel für: „Educating Science Teachers for All”. „Die europäischen Partner bieten Unis in nicht-europäischen Ländern dabei Kurse zu kultureller und sprachlicher Diversität an. Z.B. in Bosnien-Herzegowina etwa gibt es drei offizielle Sprachen, drei Religionen, zwei Schriften. „Das erzeugt Konflikte, und wir fragen uns: Wie können Kinder, die sich auf dem Schulhof nicht leiden können, im Chemieunterricht zusammenarbeiten?“ Ein Weg führe über das Thema Kaffee. „Denn Kaffee spielt da eine sehr große Rolle.“ Und am Rösten und Brauen der Bohnen ließen sich viele chemische Prozesse erklären. Ein zweites EU-Projekt ist „DISSI“, Akronym für „Diversity in Science towards Social Inclusion”. „Manche Initiativen fördern die Inklusion von Mädchen, andere die von ethnischen Minderheiten, andere die von Hochbegabten.“ Die fünf Partner des Projekts – neben der LMU, der PH Ludwigsburg und Limerick auch die Universitäten von Strathclyde in Schottland, Ljubljana in Slowenien sowie Skopje in Mazedonien – bieten dagegen außerschulische Angebote (z.B. SchülerInnen-Labore) an, die wirklich alle Gruppen einschließen sollen.
Viele Schülerinnen und Schüler haben ein falsches Bild von einem Chemiker. Sie stellen sich eine Art Nerd vor, mit zerzausten Haaren und einer Explosion im Hintergrund. Damit identifiziert sich natürlich kein Jugendlicher!Professorin Silvija Markic
Im Zuge von „forschendem Lernen“ sollen die Jugendlichen nicht einfach Reaktionsgleichungen abschreiben, sondern in Kleingruppen möglichst selbstständig chemische Probleme lösen. „Das SchülerInnenlabor soll keine reine Bespaßung sein, sondern eine sinnvolle Ergänzung zum Unterricht – Säuren und Basen etwa, wenn dieses Thema gerade durchgenommen wird.“ Studierende beobachten die Klassen dabei und befragen die Schülerinnen und Schüler vor und nach dem Unterricht zu ihrer Einstellung zur Chemie.
Das Verständnis für Chemie in heterogenen Klassen zu verbessern, sei aber nur die halbe Arbeit. „Viele Schülerinnen und Schüler haben ein falsches Bild von einem Chemiker. Sie stellen sich eine Art Nerd vor, mit zerzausten Haaren und einer Explosion im Hintergrund. Damit identifiziert sich natürlich kein Jugendlicher!“ Viele dächten zudem, man brauche Chemie nur als Chemiker per se. „Dabei spielt Chemie auch in vielen anderen Berufen eine Rolle – etwa dem der Friseurin, des Kosmetikers, des Goldschmieds und nicht zuletzt im Lebensmittelbereich.“
Neben ihrem weiteren Schwerpunkt, der Digitalisierung der Lehre, will Markic ihr Augenmerk künftig auch auf ihre Studierenden richten. „Denn diese sind ja ebenfalls eine sehr diverse Gruppe: Manche hatten Leistungskurs Chemie, andere haben sich so durchgemogelt. Die einen sind Vollfachchemiker, die anderen Lehramtskandidaten oder angehende Pharmazeuten.“
Auch in ihrer Vorlesung brauche sie also „ein differenziertes Angebot für diverse Gruppen“. Die LMU empfindet Silvija Markic als „große Uni, an der die für mich relevanten Wege aber kurz und Kontakte schnell zu knüpfen sind“. Innerhalb, aber auch außerhalb der Universität hat sie bereits Kooperationen im Bereich „Science in Public“ und Outreach geknüpft, unter anderem mit dem Deutschen Museum. „Und am Wochenende“, erzählt Markic, „brauche ich dann das Wasser vor der Nase. Dann trifft man mich schon mal in einem Café an den wunderschönen Seen um München herum, wo ich ein spannendes Didaktik-Paper lese.“