Das persönlichste Gerät
15.07.2020
LMU-Psychologen erforschen, ob App-Daten von Smartphones tatsächlich Rückschlüsse auf die Persönlichkeit des Nutzers geben können.
15.07.2020
LMU-Psychologen erforschen, ob App-Daten von Smartphones tatsächlich Rückschlüsse auf die Persönlichkeit des Nutzers geben können.
Smartphones sind für viele Menschen längst persönliche Begleiter ihres täglichen Lebens geworden. Die digitalen Spuren, die ihre Besitzer rund um die Uhr hinterlassen, sind nicht nur für die großen amerikanischen IT-Firmen etwa zu Werbezwecken sehr begehrt. Auch wissenschaftlich können sie etwas abwerfen: Sozialwissenschaftler beispielsweise nutzen die Daten, um mehr über die Persönlichkeit und das soziale Verhalten von Menschen herauszufinden.
In einer aktuellen im Fachmagazin PNAS veröffentlichten Studie überprüfte ein Team um den LMU-Psychologen Markus Bühner die Frage, ob sich bereits aus gängigen Verhaltensdaten von Smartphones wie Nutzungszeiten oder –häufigkeiten Hinweise auf die Persönlichkeit der Nutzer ergeben. Die Antwort war eindeutig: „Ja, wir können daraus automatisiert Rückschlüsse auf die Persönlichkeit der Nutzer ziehen, zumindest für die meisten Persönlichkeitsdimensionen“, sagt Clemens Stachl, ehemaliger Mitarbeiter am Lehrstuhl von Markus Bühner (Psychologische Methodenlehre und Diagnostik) und nun Forscher an der Stanford University, USA.
Im Rahmen des PhoneStudy-Projekts baten die LMU-Forscher insgesamt 624 freiwillige Versuchsteilnehmer, einerseits einen umfangreichen Persönlichkeitsfragebogen auszufüllen und andererseits die an der LMU entwickelte PhoneStudy-Forschungsapp für 30 Tage auf ihren Smartphones zu installieren. Die App schickte Informationen zum Verhalten der Versuchsteilnehmer verschlüsselt an die Server. Die Forscher werteten vor allem die Daten zu Bereichen wie Kommunikations- und Sozialverhalten, Musikkonsum, App-Nutzung, Mobilität, allgemeine Telefonaktivität und Tag- und Nachtaktivität aus.
Sowohl die Daten des Persönlichkeitsfragebogens als auch die Verhaltensdaten vom Smartphone speisten die Wissenschaftler dann in einen maschinellen Lernalgorithmus ein. Dieser Algorithmus, wurde anschließend trainiert um Muster in den Verhaltensdaten zu erkennen und diese dann mit höheren oder niedrigeren Werten im Persönlichkeitsfragebogen in Verbindung zu bringen. Die Fähigkeit des Algorithmus, die Persönlichkeit vorherzusagen wurde anschließend anhand neuer Daten kreuzvalidiert. „Der schwierigste Teil war die Vorverarbeitung der enormen Datenmengen und das „Trainieren“ der Algorithmen“, erzählt Stachl. „Hierzu mussten wir auf den LRZ-Hochleistungsrechencluster in Garching zugreifen, um diese Berechnungen überhaupt möglich zu machen.“
Im Fokus der Forschenden standen die fünf wichtigsten Persönlichkeitsmerkmale in der Psychologie, die sogenannten Big Five. Diese fünf Dimensionen beschreiben Unterschiede in der menschlichen Persönlichkeit in einer sehr globalen Art und Weise. Sie umfassen Offenheit (wie aufgeschlossen gegenüber neuen Ideen, Erfahrungen und Werten beschreibt sich eine Person), Gewissenhaftigkeit (wie zuverlässig, pünktlich, ehrgeizig, und organisiert schätze ich mich ein), Extraversion (gibt Hinweise, wie gesellig, durchsetzungsfähig, abenteuerlustig, fröhlich sich jemand beschreibt), Verträglichkeit (wie angenehm, zuvorkommend, unterstützend und hilfsbereit stellt sich eine Person dar) und Emotionale Stabilität (wie selbstsicher, selbstbeherrschend und unbekümmert schätzt sich eine Person ein).
Der Algorithmus konnte hier tatsächlich automatisiert aus der Kombination der Verhaltensdaten Rückschlüsse auf die meisten Persönlichkeitsmerkmale der Nutzer ziehen. Die Ergebnisse gaben zudem Hinweise darauf, welche digitalen Verhaltensweisen informativ für bestimmte Selbsteinschätzungen der Persönlichkeit sind. Das Kommunikations- und Sozialverhalten auf dem Smartphone gab wichtige Hinweise, wie extravertiert sich jemand einschätzt, Informationen zum Tag-Nacht-Rhythmus der Nutzer waren besonders aussagekräftig hinsichtlich der selbsteingeschätzten Gewissenhaftigkeit. Offenheit konnte nur durch eine Vielzahl sehr unterschiedlicher Verhaltensdaten vorhergesagt werden.
Für Forscher sind die Ergebnisse von großem Wert, vor allem weil in der Psychologie bislang Persönlichkeitsdiagnostik fast ausschließlich auf Selbstbeschreibungen beruht. Diese zeigen sich zwar beispielsweise für die Vorhersage von beruflichem Erfolg als nützlich. „Dennoch wissen wir gleichzeitig sehr wenig darüber, wie sich Menschen tatsächlich im alltäglichen Leben verhalten – außer das, was sie uns im Fragebogen mitteilen möchten“. sagt Markus Bühner. „Smartphones bieten sich durch ihre Allgegenwärtigkeit, ihre Verbreitung und ihre enorme technische Leistungsfähigkeit als ideale Forschungsgeräte an, um zu sehen, ob die Selbstbeschreibungen auch mit realem Verhalten übereinstimmen.“
Dass seine Forschung auch Begehrlichkeiten bei den großen IT-Firmen wecken könnte, ist Stachl durchaus bewusst. Neben Datenschutz und Schutz der Privatsphäre müsse man daran arbeiten, das Thema künstliche Intelligenz ganzheitlicher zu betrachten, so Stachl. „Der Mensch und nicht die Maschine muss im Mittelpunkt der Forschung stehen. Wir dürfen maschinelle Lernmethoden nicht unreflektiert nutzen.“ Das Potenzial möglicher Anwendungen sei enorm, sowohl in der Wissenschaft wie auch in der Wirtschaft. „Die heutigen Möglichkeiten einer datengetriebenen Gesellschaft können zweifellos das Leben für viele Menschen verbessern, wir müssen aber auch sicherstellen, dass alle Teilnehmer der Gesellschaft von diesen Entwicklungen profitieren können.“
PNAS 2020