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Das Unvermögen der Gesellschaft

07.06.2024

Soziologe und Gründungsdirektor des neuen Munich International Stone Center for Inequality Research (ISI) Fabian Pfeffer, forscht zu finanziellen Ungleichheiten.

Mit einem Turm aus Dollarmünzen illustriert Fabian Pfeffer die Vermögensungleichheit in den USA. Während ein Zehntel der US-Bevölkerung keinen einzigen Dollar besitzt oder gar verschuldet ist, würden sich die Münzen der Superreichen bis zur Internationalen Raumstation und, an der Spitze, sogar bis zum Mond türmen. „Die Vermögensungleichheit in den USA“, erklärt der Soziologe Pfeffer, „hat astronomische Ausmaße erreicht.“

Seit vergangenem Jahr ist Professor Pfeffer Inhaber des Lehrstuhls für Soziale Ungleichheit und Soziale Strukturen an der LMU. Insbesondere forscht und lehrt er zu Fragen sozialer Ungleichheit und Mobilität, zu Vermögen, Bildung und quantitativen Methoden.

Pfeffer hatte an der Universität zu Köln Volkswirtschaftslehre und Soziologie studiert und wurde an der University of Wisconsin-Madison im Fach Soziologie promoviert. „Meine Promotion zum Thema soziale Ungleichheit wurde von zwei Doktorvätern betreut, die das Thema aus unterschiedlichen Perspektiven betrachteten: einerseits mit dem Ziel der möglichst genauen quantitativen Beschreibung der bestehenden Ungleichheit, andererseits eine Perspektive, die nicht nur bestehende Verhältnisse beschreibt und kritisiert, sondern auch neue Modelle einer gerechteren Gesellschaft unter die Lupe nimmt.“ Die Kombination beider Blickwinkel auf die Ungleichheitsthematik hat ihn auch während seiner über zehnjährigen Tätigkeit an der University of Michigan inspiriert, wo er vor seinem Wechsel an die LMU als Associate Professor sowie Gründungsdirektor des Stone Center for Inequality Dynamics tätig war.

Professor Pfeffer am Schreibtisch. Im Bild eine moderne Schreibtischlampe zu seiner Linken und ein Bücherregal hinter ihm. Er trägt ein graues Jacket.

Professor Fabian Pfeffer

© LMU/LC Productions

Finanzielle Ausbeutung von Minderheiten

Soziale Ungleichheit und deren Aufrechterhaltung erforscht Pfeffer über Zeit und Generationen hinweg. Aktuelle Projekte konzentrieren sich insbesondere auf die Vermögensungleichheit und ihre Folgen für die nächste Generation. Pfeffer hinterfragt, warum Vermögensungleichheiten über Generationen fortbestehen. „Es bestehen zum Beispiel systemische Benachteiligungen in Finanzsystemen, die bestimmten Bevölkerungsgruppen bei der Vermögensbildung im Weg stehen und Ungleichheiten über Generationen hinweg verstärken.“

Ein Beispiel seien ausbeuterische Finanzprodukte, vor allem in den USA. „Im Umfeld der großen Finanzkrise 2008 etwa wurden sogenannte ‚Subprime‘-Kredite gezielt schwarzen und hispanischen Haushalten angeboten“, so Pfeffer. „Mit diesen hatten sie keine Chance, etwa ihr Hauseigentum zur Vermögensakkumulation zu benutzen, sondern bekamen im Gegenteil riesige finanzielle Probleme.“

In Dollarmünzen gemessen, würde der Turm des typischen weißen US-Haushalts laut Pfeffer die Spitze des Empire State Building erreichen – und wäre damit fast neunmal so hoch wie der von schwarzen US-Amerikanern. „Und um es in das oberste eine Prozent der US-amerikanischen Vermögensverteilung zu schaffen, müsste man einen Dollarmünzenstapel anhäufen, der 22 Kilometer hoch wäre.“

Deutschland und Schweden – so ungleich wie die USA

Zu seiner Forschung zählt auch der internationale Vergleich von Vermögensungleichheiten in Industrieländern. „Während das Einkommen in den USA deutlich ungleicher verteilt ist als in anderen Industrieländern, ist die Ungleichheit beim Vermögen auch in Deutschland – und übrigens auch in Schweden – überraschenderweise ähnlich hoch wie in den USA.“ Entsprechende Dynamiken von Vermögen seien bislang wenig untersucht. „Ein Ziel der Forschung an meinem Lehrstuhl an der LMU ist es deshalb, diese zu erfassen und ihre Determinanten und Effekte zu klären.“ So zeigte sich etwa, dass in Schweden das Familienvermögen ebenfalls großen Einfluss auf den Bildungserfolg der Kinder hat.

Um Fragen zu Ungleichheit und Mobilität beantworten zu können, sind auch der Ausbau der sozialwissenschaftlichen Dateninfrastruktur und die Weiterentwicklung quantitativer Methoden ein „großer Baustein“ in Pfeffers Karriere. Über zehn Jahre lang war er etwa Co-Investigator der US-amerikanischen „Panel Study of Income Dynamics“, PSID. „Diese besteht schon seit 1968 und ist die Vorgängerin des deutschen Sozioökonomischen Panels, SOEP.“ Ein anderes großes Datenprojekt, das Pfeffer leitet, ist die US-amerikanische Wealth and Mobility Study, die auf den gesamten Steuerdaten aller Bewohner der USA basiert.

In Deutschland hat Pfeffer das Ziel, ähnliche Infrastrukturen mitaufzubauen. „In der Bundesrepublik ist der Zugang zu solchen administrativen Daten stark reglementiert, was auch als Vorteil gesehen werden kann, da der Zugang, wenn er denn besteht, auch verlässlich ist.“ Eine neue Organisation, die unter anderem bei der Erschließung neuer administrativer Daten helfen soll, ist das Munich International Stone Center for Inequality Research (ISI) der LMU, welches Pfeffer als Gründungsdirektor über die nächsten Jahre aufbauen wird. Neben der Datenerschließung soll dieses Zentrum die nationale und internationale Vernetzung von Ungleichheitsforscherinnen und -forschern stärken, Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler fördern und nicht zuletzt neue Wege der Wissenschaftskommunikation begehen.

Wealth Inequality and Redistribution

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7:23 | 06.06.2024 | © Stone Center for Inequality Dynamics

Astronomischer Münzenturm

Ein letzter wichtiger Fokus des neuen Zentrums wird Pfeffer zufolge auf der Analyse sogenannter „realer Utopien“ liegen. Denn er findet, dass Soziologinnen und Soziologen durchaus Szenarien einer gerechteren Gesellschaft skizzieren und vor allem empirisch analysieren sollten. „Gerade durch den angestrebten starken internationalen Austausch am ISI hoffe ich, dass wir unseren Blick auf neue Institutionen und politische Maßnahmen werfen können, um der Ungleichheit entgegenzutreten.“

Am Beispiel des astronomischen Dollarmünzenturms wirft er etwa folgende Frage auf: „Wäre es möglich, weit oben eine Linie zu ziehen, über welcher niemand weiteres Vermögen anhäufen kann – weil dies Individuen zu viel Macht und politischen Einfluss verleiht und der nächsten Generation Chancen nimmt?“ Natürlich möge das utopisch klingen, so Pfeffer. „Aber die empirische Ungleichheitsforschung kann sich auch hiermit auseinandersetzen und beispielsweise damit beschäftigen, ob sich mit diesem Geld eine Art ‚Wohlstandsboden für alle‘ schaffen ließe – ein Minimalturm aus Dollar- oder Euromünzen, unter den niemand fallen kann. Wie hoch wäre dieser Wohlstandsboden, ist er erstrebenswert, praktikabel und erreichbar? Auch diese zukunftsgerichteten Fragen sollten Teil der Ungleichheitsforschung sein.“

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