„Das Zeitalter des Quantencomputings hat gerade begonnen“
01.07.2021
Die Informatikerin Claudia Linnhoff-Popien testet verschiedene Quantenrechner, um sie für Anwendungen der Wirtschaft nutzbar zu machen.
01.07.2021
Die Informatikerin Claudia Linnhoff-Popien testet verschiedene Quantenrechner, um sie für Anwendungen der Wirtschaft nutzbar zu machen.
Bei dieser Challenge geht es nicht darum, mit dem Einhandsegler in Rekordzeit um die Welt zu kommen oder mit dem Tourenwagen durch die Sahara. Es geht um klassische Optimierungsprobleme in Fertigung und Logistik. Und doch hat der Wettbewerb, der jetzt für Ihre Studierenden läuft, ein paar Besonderheiten. Worum geht es?
Claudia Linnhoff-Popien: Die „Quantum Computing Optimization Challenge“ soll in der Anwendungsdomäne Logistik und Produktion frühe Vorteile des Quantencomputings aufzeigen. Es wird immens viele Anwendungsgebiete für das Quantencomputing geben, wobei wir uns auf Anwendungen der Optimierung konzentrieren. Schon in fünf Jahren rechnen wir mit einem Quantenvorteil. Kurz zur Bedeutung: Ein Quantenvorteil entsteht, wenn Quantencomputer Aufgaben lösen, die herkömmliche Rechner gar nicht oder nur viel langsamer und für eine geringere Komplexität bewältigen können. Auf die Ära dieses Quantenvorteils bereiten wir schon heute unsere Informatikstudenten vor.
In der Challenge geht es darum, mit unseren fünf Wirtschaftspartnern BASF, BMW, SAP, Siemens und Trumpf je einen Use Case, ein praxisnahes Optimierungsproblem, jeweils auf vier der derzeit besten Quantencomputer umzusetzen. Die Studierenden und die wissenschaftlichen Mitarbeiter unseres QAR-Labs, von denen sie angeleitet werden, nutzen dafür den IBM Q System One, Rigetti Aspen-9, D-Wave Advantage und Fujitsu DAU.
Was für Aufgaben gibt es für die Studierenden zu bewältigen?
Linnhoff-Popien: In der Challenge kommen Anwendungen von unseren Wirtschaftspartnern vor. Wir betrachten zum Beispiel, in welcher Reihenfolge ein LKW seine Ware zu verschiedenen Adressaten fährt oder in welcher Reihenfolge im automatisierten Labor Reagenzgläser aus einem Ständer entnommen, beprobt und wieder zurückgestellt werden. In anderen Cases geht es um räumliche Strukturen, also darum, wo welches Objekt angeordnet werden soll. In welcher Kombination zum Beispiel kann ein Schwung verschiedener Testteile in Autos verbaut werden, so dass möglichst wenige Testläufe ausreichen. Für die Fabrik der Zukunft, in der es keine Bänder mehr geben soll, sondern Roboter, die Bauteile umherfahren, optimieren wir das Process Scheduling, berechnen also den bestmöglichen Ablauf notwendiger Bearbeitungsschritte.
Das alles könnte man aber auch mit normalen Rechnern machen?
Linnhoff-Popien: Ja, aber nur für kleine Settings. Betrachten wir als Beispiel der kombinatorischen Optimierung das sogenannte Gate Allocation Problem des Flughafens München. Für ein Terminal mit 250 Flugzeugen und 50 Gates braucht ein klassischer Rechner eine Nacht, um die Planung für den Folgetag zu optimieren. Es klingt simpel, das heißt mit einem klassischen Rechner kann man jede Kombination möglicher Zuordnungen von Flugzeugen zu Gates betrachten, bewerten und das Optimum bestimmen. Wir bekommen jedoch schnell eine Explosion des Zustandsraumes, sprich die Komplexität bringt einen klassischen Computer an Grenzen.
Heute machen wir noch Aufgaben, die man mit einem klassischen Rechner genauso gut lösen kann. Aber wir erbringen den Beweis, dass kleine Szenarien auf Quantencomputern gerechnet werden können.Claudia Linnhoff-Popien
Sie sprechen kursorisch von Quantencomputern. Sie haben aber Zugriff auf ganz unterschiedliche Modelle.
Linnhoff-Popien: Ja, es gibt unterschiedliche Technologien. Betrachten wir das Quantum Annealing: Der typische Vertreter dieser Brückentechnologie, wie sie auch bezeichnet wird, ist das Modell von D-Wave Systems in Vancouver in Kanada. Um Optimierungsprobleme zu lösen, macht die Technik sich die Superposition zunutze, muss aber auf den absoluten Nullpunkt herunter gekühlt werden. Der Rechner ist wegen der aufwendigen Kühlung etwa so groß wie eine Garage. Die japanische Firma Fujitsu nutzt demgegenüber einen Digital Annealer, dies ist kein eigentlicher Quantencomputer; er kommt ohne Kühlung aus.
Das Unternehmen selbst spricht von einem „digitalen Schaltungsdesign, das von Quantenphänomenen inspiriert wurde“. Wie weit sind Konzerne wie Google und IBM mit ihren Entwicklungen?
Linnhoff-Popien: Sogenannte Gate-Model-Rechner, wie sie von Google, IBM, Rigetti und anderen entwickelt werden, gelten ebenfalls als äußerst vielversprechende Technologie. Man muss aber sagen: Im Moment sind wir im Zeitalter der NISQ-Rechner, also der Noisy Intermediate-Scale Quantum-Technologie. Noisy bedeutet, wir haben ein Rauschen auf den Rechnern. Brauchen wir das beste Ergebnis, muss dieses Rauschen rausgerechnet werden. Wir brauchen letztendlich einen fehlerkorrigierenden Quantenrechner. Bis dieser entwickelt ist, wird es noch dauern. Da niemand vorhersehen kann, welche Entwicklungssprünge uns die Zukunft bringt, schauen wir uns die weltweit besten Quantencomputing-Technologien parallel an. Wie gesagt, wir haben derzeit Verträge für Rechner von D-Wave, Fujitsu, Rigetti und IBM.
Wir gehen davon aus, dass Quantencomputer immer nur als Co-Prozessoren genutzt werden, als Ergänzung zu herkömmlichen Rechnern.Claudia Linnhoff-Popien
Auch Vertreter der führenden Firmen sagen, die Rechner hätten bei dem heutigen Stand keine industrielle Relevanz.
Linnhoff-Popien: Das stimmt. Heute machen wir noch Aufgaben, die man mit einem klassischen Rechner genauso gut lösen kann. Aber wir erbringen den Beweis, dass kleine Szenarien auf Quantencomputern gerechnet werden können. Die Leistungsfähigkeit der Quantumcomputer beschreiben wir unter anderem mit der Anzahl der Qubits. Qubits sind Zwei-Zustands-Quantensysteme. Durch Messung geht das System in einen Zustand über. Je mehr Qubits in einem Quantencomputer verknüpft sind, desto größer und komplexer können die Aufgaben sein, die er lösen kann. Der IBM Q System One in Ehningen arbeitet mit 27 Qubits, die IBM-Rechner in den USA – auf denen wir auch arbeiten – mit bis zu 65 Qubits. Es ist spannend, eigene Erfahrungen zu machen, zu sehen, was der jeweilige Rechner bereits kann und auch, was er noch nicht kann. In Auswertung der prognostizierten Rechnerentwicklung erwarten wir erste wirtschaftliche Ergebnisse des Quantencomputings in etwa fünf Jahren.
Aber immer nur für ganz bestimmte Spezialprobleme.
Linnhoff-Popien: Nicht unbedingt. Optimierungsprobleme sind die grundlegenden Fragestellungen der Logistik und der Industrie 4.0, der Fabrik der Zukunft. Darüber hinaus macht das Finanzwesen Portfolio-Optimierung. In der Medizin und Pharmabranche gibt es Aufgabenstellungen der kombinatorischen Optimierung, welcher Impfstoff zum Beispiel bei der Mutation welches Virus am besten geeignet ist. Und die Energiewirtschaft braucht die Optimierung von Stromnetzen, die Künstliche Intelligenz hat zahlreiche Anwendungen. Unser ganzes Leben und Arbeiten beinhaltet branchenübergreifend undenkbar viele Optimierungsprobleme.
Auch wenn die Anwendungsmöglichkeiten, wie Sie sagen, breit sind: Wie realistisch ist es, dass der Quantencomputer irgendwann die herkömmlichen Rechner schlicht ersetzt?
Linnhoff-Popien: Wir gehen davon aus, dass Quantencomputer immer nur als Co-Prozessoren genutzt werden, als Ergänzung zu herkömmlichen Rechnern.
Quantencomputing ist natürlich erst einmal ein Investment für eine Firma, noch hat es keinen Mehrwert. Daher sind es derzeit vor allem die Großen, die sich das leisten. Sukzessive erkennen aber auch Firmen aus dem Mittelstand die Chancen.Claudia Linnhoff-Popien
Sie haben vor Jahren schon ein spezielles Lab gegründet, das Quantencomputing von der Informatikseite, also sozusagen der Anwenderseite, erforscht und Unternehmen darin berät. Was ist da Ihre Strategie?
Linnhoff-Popien: Wir haben das QAR-Lab bereits im Jahr 2016 gegründet. QAR steht für Quantum Applications and Research. Damals kam ein DAX-Konzern auf uns zu und fragte, ob wir nicht eine bestimmte Problemstellung für ihn auf einem Quantum Annealer programmieren könnten. Zum damaligen Zeitpunkt gab es kaum Vorbilder, wir gehörten mit zu den ersten Informatikern weltweit, die dieses Thema erforscht haben. Nach anfänglicher Skepsis war ich völlig fasziniert. Im Rahmen des Projektes PlanQK, das 2019 von der Bundesregierung zur Förderung von Quantencomputing ins Leben gerufen wurde, haben wir dann eine sehr solide Finanzierung zum Ausbau unserer Arbeiten bekommen und sind nun Partner des MQV, also des Munich Quantum Valleys. Zwischenzeitlich ist Quantencomputing auch in der Wirtschaft angekommen. Konsortien wie das jüngst gegründete Quantum Technology and Application Consortium QUTAC, bei dem mehrheitlich DAX-Konzerne dabei sind, wird sich sehr fundiert mit den Chancen des Quantencomputings auseinandersetzen.
Was ist mit dem Mittelstand?
Linnhoff-Popien: Quantencomputing ist natürlich erst einmal ein Investment für eine Firma, noch hat es keinen Mehrwert. Daher sind es derzeit vor allem die Großen, die sich das leisten. Sukzessive erkennen aber auch Firmen aus dem Mittelstand die Chancen.
Was können Sie den Firmen denn jetzt schon bieten?
Linnhoff-Popien: Wir unterstützen Firmen dabei, den schnellstmöglich umsetzbaren Weg zu einem Quantenvorteil zu finden. Dabei schauen wir zunächst, wo eine Firma steht. Hierzu klassifiziert das QAR-Lab Firmen nach sechs verschiedenen Levels. Auf Level 0 und 1 vermitteln wir zunächst das Fachwissen über vorteilhafte Anwendungsgebiete. Auf Level 2 ist das Ziel, eine Long List von Use Cases für das Quantencomputing zu erstellen, und auf Level 3, Use Cases zu bewerten und den erfolgversprechendsten Use Case zu identifizieren. Auf Level 4 unterstützen wir eine Firma dabei, einen Use Case auf mehreren Quantencomputern auszuführen und auf Level 5 erstellen wir eine Hochrechnung für den Bedarf an Qubits, die nötig sind, um einen Quantenvorteil zu erzielen. Insbesondere ist es für uns sehr spannend, die Programme für unterschiedliche Quantencomputer zu schreiben, auszuführen und zu sehen, was auf welchem Quantencomputer wirklich möglich ist.
Sie waren 2020 und 2021 Mitglied im Expertenrat Quantencomputing der Bundesregierung und haben an der Roadmap für das Quantencomputing in Deutschland mitgewirkt. Welche Strategie verfolgen Sie da?
Linnhoff-Popien: Ursprünglich hat der Bund zwei Milliarden Euro für den Bau eines oder mehrerer Quantencomputer bereitgestellt. Es gibt exzellente Grundlagenforschung und einzelne Module in Deutschland. Aber ich kenne aktuell keinen Rechner in ganz Europa, der von der Größenordnung bereits, sagen wir mal 50 Qubits beim Gate Model, mit den international existierenden Rechnern mithalten kann. Als Informatikerin habe ich mich im Expertenrat dafür sehr stark gemacht, dass die Mittel nicht nur für den Bau von Quantenrechnern eingesetzt werden, sondern heute schon für Algorithmen, Software und Anwendungen auf weltweit verfügbaren Quantencomputern. Nur so können wir die deutsche Wirtschaft optimal auf das Zeitalter des Quantencomputings vorbereiten, das gerade begonnen hat.
Prof. Dr. Claudia Linnhoff-Popien ist Inhaberin des Lehrstuhls für Mobile und Verteilte Systeme am Institut für Informatik der LMU. Ihr Lehrstuhl hat das QAR-Lab aufgebaut, das Ansätze des Quantencomputings vonseiten der Informatik erforscht.