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„Definitiv auf der richtigen Spur“

17.12.2015

Vor 100 Jahren starb Alois Alzheimer. Er hat die heute häufigste Form der Demenz als erster beschrieben. Was ist über sie bekannt und vor allem: Was lässt sich gegen sie tun? Demenzexperte Christian Haass zieht Bilanz.

Als Sie Ihre Labors noch im alten Klinikviertel hatten, konnten Sie direkt in die Räume schauen, die einmal das Labor von Alois Alzheimer waren. Welche Geschichte verbindet Alzheimer mit München? Haass: Alzheimer hat die Pathologie der Krankheit, die später nach ihm benannt wurde, erstmals in München beschrieben – an dem berühmten Fall der Auguste Deter. Er bekam damals von seinem früheren Chef aus Frankfurt das Gehirn der Verstorbenen geschickt und hat es in seinem hiesigen Labor untersucht.

Was hat er gefunden? Alzheimer ist sehr akribisch vorgegangen. Er hat sofort gesehen, dass viele der Nervenzellen falsch geformt waren – und dies im Übrigen in faszinierend genauen und detailreichen Zeichnungen festgehalten. Er hat die Tangles, die Fibrillen, und er hat die Plaques gesehen – all die Anzeichen im Gehirn, die Pathologen auch heute mit der Demenz in Verbindung bringen.

Seit Alzheimers Tod sind 100 Jahre vergangen. Zunächst war es eine anekdotische Beobachtung. Aber welche Bedeutung hat die Krankheit, die er entdeckt und beschrieben hat, für die Gesellschaft heute? Alzheimer hätte sich darüber gewundert, wie viele Patienten es heute gibt, allein in Deutschland sind es mittlerweile mehr als eine Million. Es ist die mit Abstand häufigste Form der Demenz. Dass die Krankheit so häufig ist, liegt schlicht daran, dass wir heute eine viel höhere Lebenserwartung haben als noch vor 100 Jahren. Je älter die Menschen im Schnitt werden, desto höher ist das Risiko, dass sie an Alzheimer erkranken.

In den letzten 15, 20 Jahren hat die Alzheimerforschung deutlich an Fahrt aufgenommen. Wie viele Labors arbeiten wohl weltweit an der Suche nach einer Therapiemöglichkeit? Hunderte mit Sicherheit, und auch die Pharmaindustrie unterhält ganze Abteilungen. Die Zahl der Publikationen ist so groß, dass man mit dem Lesen gar nicht mehr nachkommt. Man muss sehr stark danach auswählen, was man für gut und wichtig hält. Als ich 1990 anfing, an Alzheimer zu arbeiten, konnte ich noch sämtliche Literatur an einem Vormittag kopieren, am nächsten Tag hatte ich sie gelesen. Mehr gab es damals nicht.

Dennoch: Ein Mittel, das wirklich hilft, ist nicht auf dem Markt. Noch vor zwei Jahren war die Pharmabranche einigermaßen kleinlaut, gleich mehrere große Studien brachten ernüchternde Ergebnisse. Auf wichtigen Tagungen in diesem Jahr allerdings verbreitete sie wieder Hoffnung. Was ist geschehen? In den Medikamententests damals ging es beispielsweise um Substanzen, die die sogenannte Gamma-Sekretase hemmen. Das ist eine der Scheren, die das giftige Amyloid, dessen Produktion am Anfang der Krankheit steht, aus einem größeren Vorläuferprotein herausschneiden. Die Tests jedenfalls brachten verheerende Ergebnisse. Die Patienten litten unter katastrophalen, mitunter lebensgefährlichen Nebenwirkungen. Kein Wunder, die Nebenwirkungen waren damals schon ohne Ausnahme vorhersagbar. Das hängt mit der physiologischen Funktion der Gamma-Sekretasen zusammen, diese Enzyme kommen auch bei jedem gesunden Menschen im Gehirn vor. Die werden da gebraucht, man kann sie nicht einfach kaputtmachen, ohne dass dies Folgen hat.

Und wie steht es mit den Studien zu einer Impfung gegen Alzheimer? Das Prinzip der Impfung ist folgendes: Man gibt einen Antikörper ins Blut, der gegen das Amyloid gerichtet ist. Der gelangt ins Gehirn, erkennt das Amyloid und markiert es für die Immunabwehr, die es dann zerlegt. Neue Untersuchungen bestätigen, dass dieser Weg aussichtsreich ist. Aus vorangegangenen Studien haben die Kliniker viel gelernt. Wir wussten gar nicht, dass die Krankheit so früh angelegt wird. Mittlerweile geht man davon aus, dass dies 20 bis 30 Jahre, bevor die ersten Symptome auftreten, geschieht. Ohne die Medikamententests wäre niemand darauf gekommen. In mehreren Studien sind nun auch Patienten eingeschlossen, die erst eine milde Symptomatik zeigen. Mit denen hat man die Immuntherapie noch einmal ausprobiert. Mit ersten Erfolgen: Drei voneinander unabhängige Studien zeigen eine Stabilisierung der Gedächtnisleistung – und zwar abhängig von der Menge der Antikörper, die die Patienten bekommen. Man sollte sicher nicht zu große Hoffnungen wecken, aber diese Ansätze verfolgen definitiv die richtige Spur. Und ganz nebenbei ist es eine eindrucksvolle Bestätigung dafür, dass das Amyloid eine entscheidende Rolle bei der Krankheitsentstehung spielt.

Aber es bleiben ein paar praktische Fragen: Für wen wäre eine Impfung gedacht – und wann? Und wie findet man die Leute, die davon profitieren könnten? Das sind in der Tat große Probleme. An sich sollte – wie früher gegen Polio – jeder geimpft werden, zumindest von einem gewissen Risikoalter an. Dazu müssen natürlich Nebenwirkungen, die bei einer Langzeitbehandlung auftreten könnten, ausgeschlossen werden. Behandeln oder gar verhindern ließe sich die Krankheit am besten, wenn noch kein Gedächtnisschwund auftritt. Doch um den Zeitpunkt dafür festzustellen, bräuchte man verlässliche Biomarker. Bislang funktionieren die aber alles andere als perfekt.

Wie entsteht die Krankheit überhaupt? Sie startet definitiv mit der Bildung des Amyloids, aus dem Vorläuferprotein geschnitten von zwei Scheren, der Beta- und der Gamma-Sekretase. Das ist ein ganz normaler physiologischer Vorgang, der bei jedem stattfindet. Das Amyloid aggregiert mit sich selbst, bildet große Fibrillen, die später die Plaques bilden. Und offenbar schafft es das Gehirn in jungen Jahren, das Zeug abzuräumen. Aber je älter man wird, umso schwieriger wird das.

Und was sind nun die giftigen Komponenten? Das Amyloid, die Zwischenprodukte, die Plaques? Die Frage sorgt unter Wissenschaftlern für Kontroversen. Ich glaube: alle Komponenten miteinander. Aber das allein reicht nicht. Die Amyloidfibrillen sorgen obendrein für ein Zerstören der sogenannten Tau-Proteine. Diese Transportbahnen innerhalb der Zelle zerreißen und verklumpen ebenfalls. Dieser Vorgang blockiert den gesamten Transport in den Nervenzellen. Und als erstes, so lässt sich beobachten, gehen die Nervenzellen mit den längsten Fortsätzen unter. Mittlerweile bin ich überzeugt, dass das Amyloid nur einen frühen Anstoß geben muss, um diese Lawine in Gang zu setzen, an deren Ende das Zellsterben steht. Auch deswegen dürfte es besonders wichtig sein, eine Behandlung zu finden, die früh einsetzt, wenn man gegen das Amyloid vorgehen will.

Sie selbst haben vor Kurzem ein weiteres Eiweiß entdeckt, das aus dem gleichen Vorläuferprotein wie das gängige Amyloid herausgeschnitten wird. Offenbar war das bislang keinem so recht aufgefallen. Wie kann das gehen? Gute Frage; der neu entdeckte Stoffwechselweg ist dermaßen häufig, deutlich häufiger als der, der zum bekannten Beta-Amyloid führt. Den ersten Hinweis darauf, dass da noch etwas Zweites ist, habe ich schon 1991 gefunden, dann aber nicht weiterverfolgt, weil auch mein damaliger Chef sagte, ich solle allein am Processing des Beta-Amyloids arbeiten. Doch dann entdeckte es Dr. Michael Willem, einer meiner Mitarbeiter, sozusagen wieder.

Und: Was hat es mit diesem neuen alten Amyloid-Aeta auf sich? Es reguliert die Aktivität und Plastizität von Neuronen. Amyloid-Beta, das in Teilen aus den gleichen Aminosäureketten besteht, fördert Hyperaktivität und richtet praktisch Chaos im Gehirn an. Amyloid-Aeta macht das genaue Gegenteil: Es legt die Neuronen lahm, was genau so schlimm ist. Und das ganz große Problem ist: Die Konzentration von Amyloid-Aeta steigt deutlich, wenn man die Beta-Sekretase inhibiert. Die Beta-Sekretase mit Inhibitoren lahmzulegen, ist aber genau einer der Ansätze, die derzeit in klinischen Studien verfolgt werden. Daher sollte man sich diesen Zusammenhang in den Medikamententests tunlichst anschauen. Ganz zu schweigen davon, dass die Beta-Sekretase im Gehirn neben dem Vorläuferprotein mindestens noch 30, 40 andere Substrate hat. Von den meisten wissen wir gar nicht, was sie machen. Deren Umsetzung wird mit Sicherheit ebenfalls inhibiert, und das hat womöglich katastrophale Folgen.

Längst erforschen Sie nicht mehr nur die Mechanismen der Alzheimer-Demenz allein. In der neuen Forschungsstrategie ist der Blickwinkel deutlich weiter. Warum? Es gibt eine ganze Reihe von neurodegenerativen Erkrankungen. Und die Frage ist, ob es nicht Mechanismen gibt, die in gleicher Weise bei verschiedenen dieser Leiden auftreten und die wir dann vielleicht gemeinsam behandeln können. Ein Beispiel: Bei allen neurodegenerativen Erkrankungen treten entzündliche Prozesse auf. Vor zweieinhalb Jahren hat man nun ein bestimmtes Gen gefunden, in dem Mutationen auftreten, die eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Alzheimer, aber auch anderer neurodegenerativer Erkrankungen wie Parkinson, Frontotemporaler Demenz (FTD), FTD-like Syndrome und Amyotropher Lateralsklerose (ALS) spielen. Dieses Gen wird bezeichnenderweise ausschließlich in Mikroglia, den Fresszellen im Gehirn, exprimiert, die auch bei Entzündungsprozessen eine wichtige Rolle spielen. Wir haben herausgefunden, dass diese Mutation tatsächlich die Fressaktivität der Mikroglia beeinflusst, das heißt, die Immunzellen können weniger Plaques und tote Zellen beseitigen. Die müssen aber weg, weil sie sonst Entzündungen hervorrufen. Das dürfte der gemeinsame Mechanismus sein – in den sich womöglich modulierend eingreifen ließe, um die Aktivität des Gens zu erhöhen. Was zusätzlich für eine solche Strategie spräche: Das Gen gibt es nur in der Mikroglia des Gehirns und sonst nirgendwo. Ein Eingriff richtete sich präzise nur darauf, den Metabolismus von Nervenzellen zöge er nicht in Mitleidenschaft.Interview: Martin Thurau

Prof. Dr. Christian Haass ist Inhaber des Lehrstuhls für Stoffwechselbiochemie, Biomedizinisches Centrum der LMU, Sprecher des Münchner Ablegers des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) und ebenfalls Sprecher des Exzellenzclusters SyNergy (Munich Cluster für Systems Neurology). Im Jahr 2012 verlieh im der ERC einen Advanced Grant.

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