Deutsche Konjunktur: „Massive Eintrübung durch den Krieg“
22.04.2022
Die LMU-Ökonomin und Wirtschaftsweise Monika Schnitzer über die Auswirkungen des Konflikts in der Ukraine auf die deutsche Wirtschaft.
22.04.2022
Die LMU-Ökonomin und Wirtschaftsweise Monika Schnitzer über die Auswirkungen des Konflikts in der Ukraine auf die deutsche Wirtschaft.
Professorin Monika Schnitzer hat den Lehrstuhl für Komparative Wirtschaftsforschung an der Volkswirtschaftlichen Fakultät der LMU inne. Sie gehört dem unabhängigen Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung an, dessen Mitglieder auch als „Wirtschaftsweise” bekannt sind und gerade ihr Konjunktur-Update veröffentlicht haben.
Frau Prof. Schnitzer, wie fällt die erste Konjunktur-Prognose des Sachverständigenrats seit dem Krieg in der Ukraine aus?
Monika Schnitzer: Wir prognostizieren für dieses Jahr ein Wachstum der deutschen Wirtschaft von 1,8 Prozent, was verglichen mit unserer Prognose von 4,6 Prozent in unserem Jahresgutachten im November eine massive Revision nach unten bedeutet. Gründe sind zunächst die – seinerzeit noch nicht berücksichtigte – Omikron-Welle im Winter, die zusammen mit den hohen Energiepreisen die wirtschaftliche Entwicklung deutlich belastet hat. Eigentlich hatte man erwartet, dass die Wirtschaft jetzt endlich wieder durchstartet – was aber massiv eingetrübt wird durch den Angriffskrieg auf die Ukraine.
Wohl erst im dritten Quartal des Jahres werden wir wieder beim Vor-Pandemie-Niveau von Ende 2019 angelangen – aber auch das nur unter der Annahme, dass es zwar hohe Energiepreise, aber keinen Lieferstopp gibt.
Inwiefern unterscheiden sich die wirtschaftlichen Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine von denen von Covid-19?
Während der Pandemie führten Schließungen und Lieferschwierigkeiten zwar zu einem ökonomischen Einbruch, die Wirtschaftsstruktur selbst änderte sich aber nicht grundsätzlich. Man wusste: Sobald die Auflagen fallen, erholt sich auch die Wirtschaft. Und ein vorübergehender Chipmangel, wie es ihn infolge der Coronapandemie gab und zum Teil noch gibt, beeinträchtigt die Automobilproduktion, aber stellt nicht den Wirtschaftszweig an sich infrage.
Bei einem Lieferstopp von Gas, Öl und Kohle wäre das völlig anders, weil jetzt mit deutlichen Auswirkungen auf die Industriestruktur zu rechnen wäre.
Gas wird nicht nur von der Hälfte der Haushalte zum Heizen eingesetzt, es ist beispielsweise auch ein Vorprodukt für die chemische Industrie, und diese ist wiederum Zulieferer fast aller anderen Industrien. Ein Lieferstopp würde sich also auf die gesamte Wirtschaft auswirken.Monika Schnitzer
Wie würde sich ein russischer Energie-Lieferstopp auf die deutsche Wirtschaft auswirken?
Er würde die Rezession noch deutlich verschärfen, aber wie stark, das ist extrem schwer zu prognostizieren. Denn es gibt kein vergleichbares früheres Ereignis von dieser Dimension, das man den gängigen Prognose-Modellen zugrunde legen könnte.
Stattdessen gibt es eine Reihe von Studien, die Teilaspekte solcher Krisen abbilden – wie den Wegfall von Gaslieferungen oder die konjunkturellen Auswirkungen hoher Energiepreise, auch unter Berücksichtigung der Finanzmärkte. Um den Gesamteffekt abzuschätzen, müsste man diese Teileffekte im Grunde aufaddieren. Dabei könnte man auf einen Einbruch des Bruttoinlandsprodukts von fünf Prozent kommen, aber wohlgemerkt bei sehr hoher Unsicherheit.
Es könnte also auch noch weitaus schlimmer kommen. Denn Gas wird nicht nur von der Hälfte der Haushalte zum Heizen eingesetzt, es ist beispielsweise auch ein Vorprodukt für die chemische Industrie, und diese ist wiederum Zulieferer fast aller anderen Industrien. Ein Lieferstopp würde sich also auf die gesamte Wirtschaft auswirken.
Und viele Produktionsprozesse kann man auch nicht so einfach herunter- und wieder hochfahren: Eine Schmelzwanne in der Glaskeramik-Herstellung läuft etwa 20 Jahre im Dauerbetrieb. Wird sie gestoppt, ist sie kaputt, das Kapital vernichtet.
Ein Ereignis, das einem mit Blick auf einen möglichen Lieferstopp in den Sinn kommen könnte, ist die Ölkrise Anfang der Siebzigerjahre, als die OPEC-Staaten aufgrund der westlichen Unterstützung Israels im Jom-Kippur-Krieg ihre Ölfördermenge reduzierten. Die Älteren unter uns erinnern sich noch an den „autofreien Sonntag”, den es deswegen damals gab. Die Fördermenge wurde nach wenigen Wochen wieder angehoben, die hohen Ölpreise blieben, weshalb man in der Folge unter anderem verstärkt auf Kernkraft setzte.
Im Nachhinein betrachtet hat man sich auf fahrlässige Weise abhängig gemacht. Deutschland ist bei den Gas- und Kohleimporten etwa zur Hälfte, bei Öl zu einem Drittel auf Russland angewiesen.Monika Schnitzer
Welche Fehler hat Deutschland aus wirtschaftlicher Sicht in den vergangenen Jahren gegenüber Russland gemacht?
Im Nachhinein betrachtet hat man sich auf fahrlässige Weise abhängig gemacht. Deutschland ist bei den Gas- und Kohleimporten etwa zur Hälfte, bei Öl zu einem Drittel auf Russland angewiesen.
Die Abhängigkeit beim Gas ist deshalb so problematisch, weil es über Pipelines geliefert wird. Für Alternativen wie Flüssiggas (LNG) gibt es bisher nicht die notwendige Infrastruktur, um das Gas dahin zu bringen, wo es gebraucht wird.
Russisches Gas war einerseits attraktiv, weil es günstig war. Andererseits glaubte man auch, im Sinne von „Wandel durch Handel” militärische Konflikte durch Handelsverflechtungen zu vermeiden. Denn Russland ist ja ebenfalls wirtschaftlich von uns abhängig. Ein Großteil seines Budgets wird mit Einnahmen aus seinen Energieexporten finanziert. Aber dieses Kalkül ist nicht aufgegangen.
Putin nimmt in Kauf, dass der Krieg die eigene Wirtschaft stark belastet und so für sein eigenes Volk sehr teuer ist. Schon seit Jahren hat Russland seine Industrie darauf ausgerichtet, unabhängig zu sein: Für die Energieerzeugung werden alte Dampfturbinen genutzt statt moderner, effizienterer Alternativen aus dem Ausland. So ist Russland im Konfliktfall unabhängiger und durch Sanktionen weniger angreifbar.
Wie bewerten Sie den Ruf nach einem Embargo?
Ich kann als Ökonomin etwas zu den wirtschaftlichen Folgen eines solchen Embargos sagen und das ist schon schwierig genug. Im Falle eines sofortigen Embargos müssen wir wohl mit einer schweren Rezession rechnen.
Ich bin aber keine Expertin für die Frage, ob ein Embargo Putin zum Einlenken bewegen würde. Angesichts der Tatsache, dass sich Putin sehr autark gemacht zu haben scheint, habe ich da freilich wenig Zuversicht. Die Risiken eines solchen Embargos für uns und die Chancen auf eine schnellere Beendigung des Kriegs in der Ukraine gegeneinander abzuwägen und eine Entscheidung zu fällen, das ist Aufgabe der Politik.
Die Bundesrepublik muss sich diversifizieren, unabhängiger machen von einzelnen Ländern und Unternehmen, von denen bisher Rohstoffe und Vorprodukte bezogen werden.Monika Schnitzer
Wie sollte Deutschland jetzt wirtschaftlich agieren?
Die Bundesrepublik muss sich diversifizieren, unabhängiger machen von einzelnen Ländern und Unternehmen, von denen bisher Rohstoffe und Vorprodukte bezogen werden – nicht nur mit Blick auf eine mögliche Erpressbarkeit.
So bezieht zum Beispiel die deutsche Automobilindustrie rund die Hälfte ihrer Kabelbäume aus der Ukraine. Aktuell fällt diese Quelle aus, deshalb stehen in Wolfsburg gerade die Bänder still.
Es gibt aber auch bestimmte Güter, bei denen zusätzlich Sicherheitsbedenken angebracht sind. Vor bestimmten Software-Produkten, wie etwa Virenschutzprogrammen des russischen Unternehmens Kaspersky, wird jetzt von offizieller Stelle gewarnt. Früher habe ich das Risiko geringer eingeschätzt, inzwischen würde ich sagen: Es geht nicht nur um die technische Qualität und den Preis, sondern auch um die Nationalität des Unternehmens – und ob dessen Regierung das Produkt nicht als Einfallstor für Cyber-Attacken missbrauchen könnte.
befasst sich an der LMU mit mikroökonomischen Analysen der Wissensgesellschaft, insbesondere von Innovations-, Wettbewerbs- und Internationalisierungsstrategien von Unternehmen.
Die Trägerin des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland studierte Volkswirtschaftslehre an den Universitäten Köln und Bonn sowie an der London School of Economics. Sie wurde an der Universität Bonn promoviert, wo sie sich auch habilitierte.
Monika Schnitzer war Gastprofessorin an der Stanford University, der Yale University, der University of California at Berkeley sowie der Harvard University.