Deutschlandstipendium: Vom Bürgerkriegsland zum LMU-Studienbotschafter
07.12.2020
Das Deutschlandstipendium fördert Studierende mit hervorragenden Leistungen, aber auch Menschen, die sich sozial engagieren oder Hürden in ihrem Lebenslauf überwinden. Einer von ihnen: Thomas Breslauer.
Es klingt wie in einer Netflix-Serie: Als Thomas Breslauer in Kolumbien aufwuchs, war das Land völlig am Boden. Nicht nur wegen der Drogenkartelle in seiner Heimatstadt Medellín, die Politiker bestachen und viele Menschen ermordeten, sondern auch wegen des Bürgerkriegs. „Das Militär hatte die Stadt gesperrt, keiner durfte sie verlassen“, erzählt Thomas. Die Inflationsrate lag bei 3000 Prozent. Als ein Arbeitskollege seines Vaters entführt wurde, um Lösegeld zu erpressen, reichte es der Familie. 1998 flüchtete sie nach Deutschland. Thomas landete im erzkatholischen Altötting. „Das war schon ein Kulturschock“, sagt der heute 24-Jährige und lacht. Doch die Familie wurde sehr herzlich aufgenommen und hat schnell Freunde gefunden. „Wir haben ein Haus gebaut, ein Leben aufgebaut und waren gut integriert.“ Auf neue Herausforderungen traf Thomas erst in der Schule.
Wenn seine Klassenkameraden in der Grundschule beim Diktat um die zehn Fehler hatten, hatte Thomas 40. Wie sich herausstelle, litt er unter Legasthenie. „Es fühlte sich wie eine Art Behinderung an“, erinnert er sich. Die Krankheit ist angeboren und lässt sich nicht heilen. Doch Thomas ließ sich nicht unterkriegen. Dank der Unterstützung seiner Familie, vielen Übungen in der Schule und einem Lehrer, der seine Leidenschaft für Geschichte richtig förderte, wurde er zum Klassenbesten in Geschichte. „Ich fand das Fach schon als Kind richtig spannend“, sagt er und grinst. Entsprechend wählte er es auch beim Abitur – und wurde trotz seiner Lese- und Rechtschreibstörung Jahrgangsbester. Obwohl sie im offiziell zusteht, verzichtet Thomas bei seinem Geschichtsstudium an der LMU auf mehr Zeit bei Klausuren und Hausarbeiten. „Ich möchte beweisen, dass ich es auch so kann.“
Thomas ist dankbar für die Chance, an der LMU studieren zu können. „Es ist so ein Glück, dass auch solche Studierende aufgenommen und unterstützt werden – und dass ich es wahrnehmen kann“, sagt er. In Kolumbien erhielten solche Chancen nur Menschen aus den oberen sozialen Schichten. Ein Vorbild will Thomas nicht sein. Aber er möchte Menschen, die nicht hier geboren sind oder andere Schwächen haben, zeigen, dass auch sie es schaffen können. Daher engagiert er sich ehrenamtlich beim Diversity Management der Zentralen Studienberatung der LMU. Dort besucht er mit Schülerinnen und Schülern, die ebenfalls besondere Hürden in ihrem Lebenslauf meistern müssen, Vorlesungen, erklärt ihnen, wie das Studium aufgebaut ist und weiht sie in das Campusleben ein. Im April 2020 wurde er auch offiziell zum LMU-Studienbotschafter ernannt. Das heißt, er soll an Schulen die LMU vorstellen und versuchen, mit seiner Biografie mögliche Vorbehalte gegen ein Studium zu entkräften. Die Coronakrise machte diesen Plan jedoch vorerst zunichte.
Die Zeit dazu verschafft Thomas das Deutschlandstipendium. Es ist zwar nicht so, dass er wenig Nebenjobs hätte. Seit vier Jahren arbeitet er als Werkstudent in einem Hotel, zusätzlich in einer Marketingfirma und als studentische Hilfskraft am Institut für Zeitgeschichte. „Aber durch die finanzielle Förderung muss ich zumindest ein bisschen weniger arbeiten“, erzählt er. Gerettet hat ihn das Deutschlandstipendium auch während des Corona-Lockdowns im Frühjahr, als sein Hotel schließen musste und er gar kein Geld verdienen konnte. Dennoch läuft Thomas die Zeit davon. Er versucht daher, sein Bachelor-Studium in unter sechs Semestern abzuschließen. Nach dem Studium will der Deutschlandstipendiat promovieren. Und dann? Entweder eine diplomatische Laufbahn einschlagen, erklärt er. Oder eine wissenschaftlich-akademische Karriere. „Das wäre natürlich der schwerste Weg“, sagt er nachdenklich. Und ergänzt sofort: „Aber was soll‘s: Challenge accepted.“
Jetzt Förderer werden! Das Deutschlandstipendium an der LMU lebt von der Unterstützung von Unternehmen, Stiftungen oder Privatpersonen. Ihre steuerlich absetzbare Spende in Höhe von 150 Euro pro Monat wird von der Bundesregierung verdoppelt und kommt ohne Abzüge bei den Stipendiatinnen und Stipendiaten an. So können sich junge Menschen auch in Krisenzeiten wie diese ohne Geldsorgen um die Zukunftsfragen unserer Gesellschaft kümmern.