Die Gegenwart im Blick: Eine Professur mit Fokus auf den Buchmarkt
26.03.2024
Seit März 2023 forscht Erika Thomalla am Zentrum für Buchwissenschaft der LMU über literarische Produktion und Kollaboration sowie digitale Buchkultur.
26.03.2024
Seit März 2023 forscht Erika Thomalla am Zentrum für Buchwissenschaft der LMU über literarische Produktion und Kollaboration sowie digitale Buchkultur.
Als „Münchner Kindl“ hatte Erika Thomalla das Glück, nach Stationen in Weimar und Berlin sowie Gastaufenthalten in den USA in ihre Heimatstadt zurückzukehren. Ihre neue Position am Zentrum für Buchwissenschaft machte ihre Rückkehr besonders spannend: „Es gibt zwar enge Bezüge zur Germanistik, aber einen Fokus auf alles, was den Literaturbetrieb und die literarische Praxis betrifft – also auch Buchhandel und Verlagswesen.“ Zu Beginn war die Fokussierung des 2018 gegründeten Zentrums eher historisch angelegt. „Meine Professur wurde geschaffen, um auch die Gegenwart und die digitale Buchkultur stärker in Forschung und Lehre einzubringen“, erklärt Thomalla.
Die in Medienwissenschaft, Gesang, Musiktheater und Germanistik ausgebildete Professorin genießt es, in ihren Seminaren forschungsorientiert und aktualitätsbezogen zu arbeiten, nah dran zu sein am literarischen Geschehen. Im Sommersemester nimmt sie mit Studierenden die Funktion, Geschichte und Gegenwart von Literaturpreisen unter die Lupe. In einem anderen Seminar entwickeln Studierende einen Podcast über den Literaturbetrieb. In den vorigen Semestern werteten sie Bestsellerlisten aus und beschäftigten sich mit Selfpublishing – „ein noch relativ unerforschtes Phänomen“, so Thomalla, „das im Buchmarkt aber immer wichtiger wird“.
Aktuelle Tendenzen wie diese im Blick zu behalten und praxisnah sowie kollaborativ zu arbeiten – auch mit Expertinnen und Experten aus der Buchbranche – ist für sie entscheidend. „In Deutschland gibt es sehr wenige universitäre Standorte für Buchwissenschaft“, sagt Erika Thomalla. „München zeichnet sich durch seinen hohen Praxisanteil aus. Wir kooperieren mit vielen Münchener Verlagen, bei denen Studierende praktische Erfahrung sammeln können. Dieser enge Praxisbezug ist im universitären Bereich selten.“
Was in ihren Forschungsprojekten nie fehlen darf, sind die Rahmenbedingungen literarischer Produktion. So promovierte sie über die Geschichte der Herausgeberschaft: Wie wurde Literatur im 18. und 19. Jahrhundert genutzt, um bestimmte kulturpolitische Themen durchzusetzen? „Da spielt natürlich auch die Verlags- und Buchhandelsgeschichte eine große Rolle. Diese Perspektiven auf die Literatur haben mich schon immer interessiert: Bücher nicht nur als ästhetische Produkte wahrzunehmen, die abgekoppelt sind von sozialen, ökonomischen oder politischen Bedingungen, sondern sie immer im Kontext zu betrachten.“
Im DFG-Netzwerk „Praktiken der literarischen Kollaboration“, das Thomalla seit 2022 leitet, geht es um Formen der gemeinschaftlichen literarischen Produktion von Akteuren wie Lektoren, Herausgebern, Agenten oder Freunden – „Figuren, die in der Literaturwissenschaft normalerweise nicht im Fokus stehen“. Neben der Beschäftigung mit den ökonomischen Produktionsbedingungen von Literatur und den gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen wie Zensur hat Erika Thomalla auch über zeitgenössische Phänomene wie „Social Reading“ geschrieben – eine Lektürepraxis, bei der Menschen gemeinsam in den sozialen Medien Literatur rezipieren.
Aktuell konzentriert sich die Buchwissenschaftlerin auf ihre Habilitation über literarischen Journalismus in Zeitgeistmagazinen der späten 1970er- bis in die 2000er-Jahre, von Spex und Tempo bis zum SZ Magazin: „Es ist der Versuch, eine Geschichte der Gegenwartsliteratur aus Perspektive der Pop- und Szenezeitschrift zu schreiben“. Sie selbst ist nebenbei immer auch publizistisch tätig gewesen. Am Medium der Zeitung mag sie, dass man sehr schnell Texte produzieren und sie auch werten kann. „In der Wissenschaft versucht man –aus guten Gründen – eher Objektivität und Distanz zu wahren. Ich finde es schön, dass man Texte in der Zeitung auch nach ästhetischen Kriterien beurteilen kann“, sagt Thomalla. „Außerdem macht das schnelle Schreiben wahnsinnig viel Spaß – und nützt der wissenschaftlichen Schreibpraxis. Sobald man ein größeres Publikum zu adressieren versucht, bemüht man sich um Einfachheit, Klarheit, Verständlichkeit – das schadet auch im akademischen Kontext nicht.“
Studierenden rät sie daher zu jeder Form von Schreib- und Lesepraxis, die man in den Alltag einbetten kann: Zeitung lesen, Briefe schreiben, Tagebuch führen. Was zum Teil abhandengekommen sei, „ist eine Schreibpraxis, die über SMS, Tweets und Posts hinausgeht, bei der man gezwungen ist, längere Gedanken am Stück zu formulieren.“ Deswegen sei jede Form des alltäglichen Lesens und Schreibens hilfreich. Ein weiterer Rat für Studierende ist, ihre Texte anderen zum Lesen zu geben, zum Beispiel Freunden oder Eltern. Sie müssen nicht vom Fach sein. Ganz im Gegenteil: Es sei eine gute Übung, die Materie einer Leserschaft verständlich zu machen, die sich nicht auskennt.
Einen Tipp hat die Dozentin noch parat: „Was verhilft zu einem guten, klaren Stil? Eine Technik, die ich selbst nutze, ist das Vorlesen. Sobald man versucht, einen Text laut zu sprechen, merkt man sofort, wo es klemmt.“ Schon mal probiert?