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„Die Rolle des Journalismus hat sich stark verändert“

25.11.2024

Das Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung blickt auf 100 Jahre Forschung zurück. Heute werden auch Algorithmen und Fake News untersucht.

Porträt von Prof. Dr. Constanze Rossmann & Prof. Dr. Thomas Hanitzsch

Constanze Rossmann und Thomas Hanitzsch | © LMU / Stephan Höck

1924 als Institut für Zeitungswissenschaft gegründet, feiert das Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung (IfKW) der LMU sein 100. Jubiläum. Direktorin Professorin Constanze Rossmann und Journalismusforscher Professor Thomas Hanitzsch sprechen über den Einfluss des technologischen Wandels auf ihr Fach, die Zukunft des Journalismus und die gesellschaftliche Bedeutung moderner Medienforschung.

Die Eröffnung des Instituts wurde seinerzeit auf Papier kommuniziert, sein 100. Jubiläum nun vor allem im Internet. Wie hat der Medienwandel Kommunikationsprozesse verändert?

Thomas Hanitzsch:
Viele Veränderungen, die wir beobachten, verlaufen im Gleichklang mit dem technologischen Wandel und sind ein Kernthema unseres Faches. Mit der Digitalisierung haben sich Kommunikationsprozesse dramatisch gewandelt. Kommunikation ist heute mehrkanalig; jene, die einst primär Adressatinnen und Adressaten von Inhalten waren, haben jetzt selbst viele Möglichkeiten, sich an öffentlicher Kommunikation zu beteiligen. Zudem hat sich die frühere Trennung von interpersonaler und öffentlicher, also über Massenmedien vermittelter, Kommunikation aufgelöst. Denn heute gelangt interpersonale Kommunikation durch die digitalen Medien immer stärker in die Öffentlichkeit – denken Sie an persönliche Inhalte auf Social Media. Das macht sie nun zu einem wichtigen Forschungsgegenstand.

Digitalisierung und Journalismus

Wie werden diese Veränderungen von Medienforschenden bewertet?

Hanitzsch: Anfangs wurden die neuen Partizipationsmöglichkeiten im Internet von uns Forschenden mit viel Optimismus begleitet. Man hoffte, dass das Internet die Kommunikationslandschaft und auch die politische Kommunikation demokratisieren könnte, indem es Menschen, die in den Medien keine Stimme hatten, die Möglichkeit zur Teilhabe bietet. Doch seit spätestens einem Jahrzehnt ist diese anfängliche Euphorie einer Ernüchterung gewichen.

Wir sehen zunehmend die „dunkle Seite“ der Digitalisierung. Denn mittlerweile dienen soziale Medien verstärkt als Plattform für Hass und Desinformation. Mit der rasanten Entwicklung von Künstlicher Intelligenz kommen neue Herausforderungen hinzu: Statt Demokratisierung dominieren nun oft destruktive Inhalte. Diese Dynamik prägt die heutige Gesellschaft tief und fordert unsere Disziplin heraus.

KI im journalistischen Alltag

Welche Rolle spielt der Journalist in diesem Szenario?

Hanitzsch: Seine Rolle hat sich stark verändert. Zum einen ermöglichen es soziale Medien, an Journalistinnen und Journalisten quasi „vorbei“ zu kommunizieren, d.h. die journalistischen Intermediäre zu umgehen. Vor der Digitalisierung wurde Journalismus von der Kommunikationswissenschaft die Rolle des „Gatekeepers“ zugeschrieben: Es waren vor allem die Journalistinnen und Journalisten, die entschieden, welche Informationen in die Öffentlichkeit gelangten. Heute kann prinzipiell jede und jeder Inhalte im Netz veröffentlichen und weiterverbreiten.

In deutschen Redaktionen haben sich KI-Tools rasant etabliert, die Journalistinnen und Journalisten bei Recherchen und beim Erstellen von Beiträgen unterstützen. Das kann einen enormen Zeitvorteil bedeuten. Problematisch ist aber, dass KI häufig Stereotype und andere bekannte Schwächen der Berichterstattung reproduzieren kann. Daher sind Journalistinnen und Journalisten weiterhin unerlässlich: Sie setzen Schwerpunkte, identifizieren relevante Themen und ordnen Informationen für das Publikum ein. Diese Kernaufgaben wird die KI auch langfristig nicht übernehmen können.

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Welche Herausforderungen entstehen dabei für Journalistinnen und Journalisten?

Constanze Rossmann: Sie sind noch mehr als bisher gefordert, die Echtheit von Informationen und Quellen zu überprüfen, insbesondere wenn mit KI-generierten Inhalten gearbeitet wird. Denn diese erzeugt manchmal falsche Informationen, greift stereotype Verzerrungen auf oder erfindet ganze Quellen. So kam es zum Beispiel schon vor, dass KI eine Umfrage zu einem politischen Thema frei erfand. Das ist zwar ein extremes Beispiel, zeigt aber die potenziellen Fehlerquellen.

Hier bleibt der Mensch in der Verantwortung, denn Journalistinnen und Journalisten sind für die Fehler in ihrer Berichterstattung verantwortlich. Ihre Aufgabe wird es daher zunehmend sein, zu prüfen, was richtig ist. Auch rechtlich und ethisch stehen sie vor neuen Fragen, etwa wenn es um Urheberrechte geht: KI bedient sich häufig bestehender Inhalte und erzeugt daraus Neues, was zu rechtlichen Konflikten führt.

Welche Herausforderungen stellen sich andererseits den Rezipientinnen und Rezipienten?

Hanitzsch: Die Forschung zeigt, dass Leserinnen und Leser KI-generierte Texte kaum noch von journalistisch erstellten Beiträgen unterscheiden können. Zugleich verändert der Einsatz von Algorithmen im Internet die Art, wie Menschen Informationen wahrnehmen: Algorithmen steuern, welche Inhalte angezeigt werden, und schaffen dadurch personalisierte Informationsblasen, die ein verzerrtes Weltbild fördern können.

Krisen, Klima und Wissenschaft kommunizieren

Wie hat sich angesichts dieser Entwicklungen der Auftrag des Instituts gerade in der Ausbildung künftiger Medienprofis verändert?

Rossmann: In seinen Grundsätzen hat er sich nicht verändert: Wir bilden Menschen aus, die das bestehende Mediensystem und basale Kommunikations-, Rezeptions- und Wirkungsprozesse verstehen und sich in mediennahen Berufen zurechtfinden sollen. Aber natürlich gehen wir dabei immer wieder flexibel auf Änderungen der Medienlandschaft ein und schaffen in unseren Lehrplänen gezielt Raum für aktuelle Themen. In unseren Forschungsseminaren etwa führen die Studierenden eigenständig Studien zu aktuellen Themen wie Social Media, Künstliche Intelligenz oder Fake News durch. Und in unseren „Berufspraxis-Modulen“ bieten wir neben Journalismus, Öffentlichkeitsarbeit oder Werbung auch den Bereich Digitale Medien an.

Viele klassische Modelle der Kommunikationswissenschaft stammen aus einer Zeit vor der Digitalisierung. Sind sie heute noch relevant?

Hanitzsch: Ja, denn viele grundlegende Prozesse der Informationsverarbeitung und Medienwirkungen haben sich nicht verändert. Die schon genannte Gatekeeping-Theorie wurde angepasst. Ein anderes Beispiel aus den Siebzigerjahren ist die Schweigespirale, die besagt, dass Menschen ihre Meinung eher zurückhalten, wenn sie glauben, mit ihrer Ansicht eine Minderheit zu bilden. Diese Theorie ist nach wie vor bewährt, gerade auch in der Online-Kommunikation und in sozialen Medien.

Rossmann: Auch die Kultivierungshypothese zählt zu den Theorien, die in einer ganz anderen Zeit Anfang der 1970er-Jahre begründet wurde, aber immer noch relevant ist. Sie ging ursprünglich davon aus, dass das Fernsehen als zentrale sekundäre Sozialisationsinstanz die Realitätswahrnehmung und Einstellungen der Vielsehenden beeinflusst. Diese muss andere Nutzungsgewohnheiten wie die Nutzung von Serien und Filmen auf Streamingportalen und andere Sozialisationsinstanzen wie Social Media berücksichtigen, gilt aber grundsätzlich weiterhin. Damit sind die Theorien flexibel genug, um sich an eine veränderte Medienlandschaft anzupassen.

Am IfKW gibt es heute Forschungsbereiche wie „Computational Journalism“, der klassische journalistische Methoden mit digitalen verbindet, aber auch Gesundheits-, Wissenschafts- oder etwa Krisenkommunikation. Hat sich das Fach diversifiziert?

Rossmann: Die Themenvielfalt hat sich sicher enorm erweitert. Gesundheits- und Krisenkommunikation, meine Forschungsschwerpunkte, haben durch die Pandemie nochmals an Bedeutung gewonnen. Klima- und Wissenschaftskommunikation sind weitere wichtige Felder. Zusätzlich haben wir am Institut Expertinnen und Experten, die zu Online-Radikalisierung, Wissenschaftsfeindlichkeit oder digitaler Medienkompetenz forschen.

Hanitzsch: Die thematische Diversifizierung ist auch darauf zurückzuführen, dass das Institut in den letzten 20 Jahren enorm gewachsen ist. Damals waren wir ein rund 30- bis 35-köpfiges Team – heute zählen wir über 80 Kolleginnen und Kollegen, die sich mit einer breiten Vielfalt an Themen befassen. Diese Vielfalt ist sowohl für die Forschung als auch für die Lehre von großem Wert, da wir den Studierenden dadurch eine größere Bandbreite an Themen anbieten können, die sie nach ihren Interessen vertiefen können.

Wird die Medienforschung manchmal von ihrem rasant voranschreitenden Objekt überholt?

Hanitzsch: Das ist tatsächlich eine Sorge, die viele von uns heute am Anfang eines Forschungsprojekts – besonders bei längeren Arbeiten wie Promotionen – begleitet. Die Medienlandschaft verändert sich so schnell, dass eine Technologie, die am Anfang eines Projekts noch hochaktuell ist, bei dessen Abschluss möglicherweise schon durch eine neue ersetzt wurde oder an Relevanz verloren hat.

Aber auch wenn sich Medienformate verändern oder verschwinden, bleibt die Forschung wertvoll, da es uns in der Kommunikationswissenschaft weniger um das Medium selbst geht, sondern um die grundlegenden kommunikativen Prozesse dahinter. Die gewonnenen Erkenntnisse zur Informationsverarbeitung, zu Medienwirkungen und zu den Produktionsmechanismen sind oft übertragbar und lassen sich auf neue Technologien anwenden. Solche Studien liefern wichtige Einblicke, weil sie die Dynamiken und potenziellen Herausforderungen bei der Einführung neuer Technologien und Medien aufzeigen.

Rossmann: Eine laufende Doktorarbeit untersucht etwa, wie Krebspatientinnen und -patienten online Informationen über ihre Erkrankung und die Behandlung einholen und diese in die Gespräche mit ihrem Arzt oder ihrer Ärztin einbringen. Ein spannender Aspekt ist, wie Letztere auf dieses veränderte Informationsverhalten reagieren und wie sich dadurch die Arzt-Patient-Kommunikation wandelt. Die konkret genutzten Onlinemedien können sich im Laufe der Doktorarbeit verändern, aber es geht meist weniger um die genutzten Medien selbst, sondern um das grundlegende Verständnis des Kommunikationsverhaltens und der daraus entstehenden Dynamiken zwischen Patienten oder Patientinnen und ihren Ärztinnen und Ärzten.

Welche Themen werden in der Kommunikationswissenschaft künftig noch wichtiger werden?

Rossmann: Neben dem Medienwandel beeinflusst auch der gesellschaftliche Wandel das Fach: Gesundheits- und Klimathemen etwa bringen uns dazu, stärker über die Kommunikation wissenschaftlicher Themen nachzudenken. Auch die verstärkte Verbreitung von Desinformation und Verschwörungstheorien, etwa im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine, werden uns in den kommenden Jahren stark beschäftigen, ebenso wie der Einfluss von Algorithmen auf politische Kommunikation und Meinungsbildung.

Hanitzsch: Interessant ist auch, dass sich die Kommunikationswissenschaft von einer „Nehmer-“ zu einer „Geberdisziplin“ entwickelt: Historisch hat sich unser Fach konzeptionell oft bei anderen Disziplinen wie der Psychologie oder Soziologie bedient. Mittlerweile fließen unsere Theorien und Erkenntnisse zunehmend in andere Fächer ein. Die Bedeutung der Kommunikationswissenschaft innerhalb der Sozial- und Geisteswissenschaften nimmt in dem Maße zu, wie Medien- und Kommunikationsprozesse immer zentraler für die Gesellschaft werden.

Zur Person

IfKW-Direktorin Professorin Constanze Rossmann forscht und lehrt insbesondere zu Gesundheitskommunikation, Risiko- und Krisenkommunikation sowie digitalen Medien im Gesundheitswesen.

Professor Thomas Hanitzsch legt am IfKW einen Schwerpunkt auf globale Journalismus-Kulturen, Entwicklungen im deutschen Journalismus sowie auf Methoden der vergleichenden Kommunikationsforschung.

Das IfKW

Von der Zeitungswissenschaft zur Medienforschung


Bayerische Verlegerverbände hatten in den 1920er-Jahren die Gründung eines Instituts zur Beobachtung der Presse und zur Ausbildung im Journalismus angeregt; Karl d'Ester wurde 1924 erster Professor für Zeitungswissenschaft und Vorstand des gleichnamigen Instituts für Zeitungswissenschaft an der Universität München. In den 1930er-Jahren erhielt das Institut das Promotionsrecht; ab 1963 ermöglichte es auch den Magisterabschluss. In den 1970er-Jahren zu „Institut für Kommunikationswissenschaft (Zeitungswissenschaft)“ umbenannt, startete es einen Modellversuch für eine Journalistenausbildung.

Ab den 1980er-Jahren erweiterte es sich stetig und zog mehrmals um. Es integrierte Angebote für die Lehre, wie das Praxisreferat und die Mitarbeit am Ausbildungskanal Bayern und änderte 2004 seinen Namen zum heutigen IfKW. Seitdem hat sich das Institut kontinuierlich weiterentwickelt – mit neuen Professuren, Studiengängen und einem Fokus auf Medienwandel und politische Kommunikation.

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