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Die US-Wahl und ihre Folgen für Europa

25.09.2024

Am 5. November wird in den USA gewählt – worauf müssen sich Deutschland und die EU einstellen? Interview mit LMU-Politologe Tim Heinkelmann-Wild.

Blick auf die TV-Debatte zwischen Trump und Harris durch ein Smartphone

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS / Morry Gash

Der Politologe Tim Heinkelmann-Wild forscht am Geschwister-Scholl-Institut der LMU unter anderem zur Rolle internationaler Organisationen in einem veränderten globalen Machtgefüge. Im Gespräch erklärt er, wie sich die US-Präsidentschaftskandidaten Kamala Harris und Donald Trump außenpolitisch positionieren – und auf welche Szenarien sich Europa jeweils vorbereiten sollte.

Wie stehen die demokratische und die republikanische Partei traditionell zu Deutschland und Europa?

Tim Heinkelmann-Wild: Vor dem Zweiten Weltkrieg haben sich die USA eher isolationistisch verhalten, und zwar übereinstimmend in beiden Lagern. Nach 1945 gab es eine Verschiebung hin zu einem „internationalistischen Konsens“ in beiden Parteien, wenn auch in unterschiedlichen Nuancen. Die USA engagierten sich für eine gemeinsame Zusammenarbeit mit den Alliierten in Asien und Europa und investierten viel in diese Partnerschaften und die sogenannte Liberale Internationale Ordnung. Über die Zeit ist dann eine allmähliche Erosion dieses Konsenses zu beobachten, zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Vietnamkrieg, und auch Alleingänge wie beim „Krieg gegen den Terror“ von George W. Bush Jr. Aber eine so starke parteipolitische Polarisierung, wie wir das bei innenpolitischen Themen sehen, gab es bisher weniger. Es galt das Credo: „Politics stops at the water’s edge.“

Was sich unter Trump verändert hat

Wie haben sich die US-Außenpolitik und der Blick auf Deutschland und die EU in Donald Trumps erster Amtszeit verändert?

Unter Trump kam es zum bislang klarsten Bruch mit dem „internationalistischen Konsens“. Man kann die Liberale Internationale Ordnung verstehen als Kombination von liberalen Politiken und deren Verfolgung im Rahmen multilateraler Institutionen. Unter Trump zogen sich die USA teilweise aus dieser Ordnung zurück. Das hat sich gezeigt durch seine brachiale Rhetorik, aber auch durch illiberale Politiken, wie etwa den Protektionismus, der sich im Handelskrieg mit China, aber auch in Zöllen gegenüber der EU äußerte. Aus dem Unilateralismus eines George W. Bush Jr. wurde Isolationismus.

Trumps Regierung beendete Beitragszahlungen für oder gleich die Mitgliedschaft in internationalen Verträgen und Organisationen. Beispiele dafür sind das Pariser Klimaabkommen, der Iran-Deal, der UN-Menschenrechtsrat und sogar aus der Weltgesundheitsorganisation wollte Trump während der Corona-Pandemie austreten. Insgesamt war das ein großer Schock für viele Institutionen und die westlichen Partner der USA.

Vieles, was Trump veranlasst und politisch vorangetrieben hat, lässt sich als Abkehr von der US-Hegemonie in der internationalen Ordnung werten.

Warum wollte ein US-Präsident die US-Hegemonie aufgeben?

In mancher Hinsicht stellte die US-Außenpolitik unter Trump die Forschung vor ein großes Rätsel. Denn die USA profitieren wie kaum ein anderes Land von der Liberalen Internationalen Ordnung. Aber es gibt Erklärungsansätze. Trump wird oft als irrational beschrieben, seine Entscheidungen als idiosynkratisch. Freilich passt die Kritik an multilateralen Institutionen und die Beendigung der US-Unterstützung für diese gut in ein populistisches Narrativ: Man nimmt sich die Kontrolle zurück, man gibt das Geld nicht nach außen, sondern investiert nur ins eigene Land.

Die Art und Weise, wie internationale Organisationen kritisiert oder geschwächt wurden, folgte dann aber durchaus strategischen Überlegungen: Wo man schnelle Zugeständnisse erwarten konnte, begrenzte man die Kritik. Wenn es Möglichkeiten der Blockade gibt, bleibt man in der Institution und blockiert sie, um Zugeständnisse zu erpressen. Wenn man keinen Vorteil mehr sieht, tritt man aus. Passend zu Trumps Business-Mentalität wurden so mehr Vorteile für die USA herausgehandelt.

Joe Bidens Vermächtnis

Hat Joe Biden nach Trumps Amtszeit diese Tendenzen wieder umgekehrt – oder doch vieles fortgesetzt?

Joe Biden ist ein Vertreter des internationalistischen Denkens, ein Transatlantiker; gleich zu Beginn seiner Präsidentschaft gab er das Versprechen ab: „America is back.“ Die EU und andere westliche Partner haben große Hoffnungen in dieses Versprechen gesetzt. Tatsächlich sind die USA unter Biden in einigen Bereichen wieder zurückgekommen. Beispiele sind das Pariser Klimaschutzabkommen, UN-Organisationen wie die UNESCO, der UN-Menschenrechtsrat oder die Weltgesundheitsorganisation.

Anderes hat Biden hingegen nie zurückgenommen, die Aufkündigung des Iran-Deals, des Trans-Pacific Partnership Agreement oder des Vertrags über den offenen Himmel wären hier Beispiele. Und auch die Lücken in der Klimafinanzierung wurden unter Biden nicht vollständig gefüllt.

Wir sehen sogar neue protektionistische Politiken unter Biden, etwa im Bereich des Handels, die klar gegen WTO-Regeln verstoßen, wie der Inflation Reduction Act. Auch wurden unter Biden keine neuen multilateralen Abkommen oder Organisationen initiiert. Vielmehr haben sich die USA auf die Europäer und das westliche Bündnis fokussiert und vieles bilateral mit ausgewählten Partnern gestaltet.

Was Harris und Trump anders machen würden

Worauf müssten sich Deutschland und die Europäer unter einer Präsidentin Harris einstellen? Was würde sie anders machen als Biden, was anders als Trump?

Kamala Harris ist sicherlich von ihrer Generation her nicht so stark im amerikanischen Internationalismus sozialisiert wie Biden, hat aber als Vizepräsidentin Bidens Politik mitgetragen und würde wohl in weiten Teilen den bisherigen Kurs fortsetzen.

Wenn man konkrete inhaltliche Politiken mit Trump vergleicht, sieht man, dass sie sich in vielem weniger stark unterscheiden, als man denken könnte. Die Haltung gegenüber China ist ähnlich, beide fordern mehr Engagement von der EU und beide bringen Zölle ins Spiel, allerdings in unterschiedlichem Umfang.

Große Unterschiede gibt es in Bezug auf die NATO und den Ukraine-Konflikt: Trump kritisiert die NATO sehr stark, droht den Partnern mit dem Verlassen des Bündnisses und will den Ukraine-Krieg sofort beenden, zu welchem Preis auch immer. Harris steht zur NATO, fordert aber auch mehr Engagement von Europa. Auch bei Themen wie Frauenrechten oder Migration, die auch international eine Rolle spielen, positioniert sich Harris, anders als Trump, eher liberal.

Was wäre von einer zweiten Amtszeit Trumps zu erwarten?

Wenn man sich den wissenschaftlichen und öffentlichen Diskurs anschaut, bisherige Statements und Pläne wie das „Project 2025“, dann zeichnet sich ab, dass es nicht nur eine Fortsetzung der isolationistischen, illiberalen Politik unter Trump 2.0 gäbe, sondern dass die bisherigen Tendenzen sogar noch gesteigert werden würden. Nicht nur die NATO oder die WTO, sondern auch andere internationale Organisationen, die quasi das Bollwerk der US-Hegemonie in der internationalen Ordnung darstellen, stehen in der Kritik, wie der Internationale Währungsfonds und die Weltbank.

Langfristige Trends

Wie sollten sich Deutschland und die EU auf diese beiden unterschiedlichen Szenarien nach der US-Wahl jeweils vorbereiten?

Dass sich die USA aus internationalen Organisationen und Abkommen zurückziehen oder zumindest weniger stark engagieren werden, ist wohl unter beiden Kandidaten zu erwarten. Meine Forschung dazu zeigt: Trump ist zwar der Präsident, der die meisten Rückzüge aus internationalen Verträgen und Organisationen veranlasst hat. Allerdings war der Einsatz der USA für die Liberale Internationale Ordnung schon immer selektiv. Unter Präsidenten wie Clinton, Bush Jr. und Reagan gab es ebenfalls sehr viele Fälle des US-Rückzugs aus multilateralen Institutionen. Das soll Trump nicht verharmlosen; die brachiale Rhetorik und die Illiberalität waren besonders.

Wenn man sich aber fragt, wie die EU und Deutschland sich in ihrem Verhältnis zu den USA in Zukunft aufstellen sollten, ist es wichtig, auf Gemeinsamkeiten und langfristige Trends hinter den einzelnen Kandidatinnen und Kandidaten zu schauen. Die Unterstützung der USA für multilaterale Institutionen war stets ambivalent und drei Trends machen das auch in Zukunft wahrscheinlich: Erstens gab es noch nie so viele und so einflussreiche internationale Institutionen, welche den Spielraum selbst der USA eingrenzen und so zu Zielscheiben werden. Zweitens nimmt die innenpolitische Polarisierung in den USA auch über internationale Politik immer weiter zu, was außenpolitische Kompromisse im Kongress erschwert. Schließlich verlieren die USA und der Westen relativ zu aufsteigenden Mächten wie China und Indien an Einfluss und sind mit revisionistischen und illiberalen Staaten wie Russland konfrontiert.

Zentrale Imperative für Europa

Europa wird sich demnach unabhängiger machen müssen. Wie kann das gelingen?

Meine Forschung zeigt, dass für die Resilienz der Liberalen Internationalen Ordnung und der sie stützenden multilateralen Institutionen insbesondere alternative Anführerinnen und Anführer zentral sind. Das können Regierungen aus dem westlichen Lager oder die EU sein, aber auch die Sekretariate von internationalen Organisationen. Sie können Koalitionen von Unterstützenden organisieren, um gemeinsam auf den Rückzug der USA zu reagieren und Probleme in Zukunft auch ohne die USA zu lösen.

Es gibt ein paar zentrale Imperative für die Europäer, wenn sie die Liberale Internationale Ordnung bewahren wollen. Erstens sollten sich Europäische Regierungen weiter für multilaterale Institutionen einsetzen und sich an ihre Regeln halten, um ihren guten Ruf als Unterstützerinnen liberaler Prinzipien zu bewahren. Das hilft ihrer „Soft Power“, mit der sie Partner für ihre Koalitionen gewinnen können. Zweitens sollte die EU ihre eigenen Fähigkeiten von Rüstung bis Finanzwirtschaft bündeln und ausbauen. Denn nur gemeinsam haben die Europäer genug sogenannte „Hard Power“, um auf der internationalen Bühne bei Problemen von Umwelt- bis Sicherheitspolitik einen Unterschied zu machen. Hier gilt es auch, sich eigene Abhängigkeiten bewusst zu machen und diese abzubauen. So scheiterte der Europäische Versuch, den Iran-Deal zu retten, an der Dominanz des US-Dollars im internationalen Finanzsystem. Drittens sind die Sekretariate von internationalen Organisationen die stärksten Kämpferinnen für ihr eigenes Überleben und verkörpern die Werte ihrer Institution. Daher sollten sie zum Beispiel durch höhere finanzielle Beiträge gestärkt und ihre Unabhängigkeit von einzelnen Mitgliedstaaten erhöht werden.

Welche Rolle spielt die Außenpolitik denn derzeit überhaupt im US-Wahlkampf?

Auch wenn die Kriege und die globalen Konflikte durchaus angesprochen und kontrovers diskutiert werden, entscheiden sich Wahlen in den USA eher über innenpolitische Themen. Egal aber, wie die Entscheidung am 5. November ausfällt, Europa muss sich in Zukunft auf die erneute Abkehr der USA von der Liberalen Internationalen Ordnung einstellen.

Zur Person:

Tim Heinkelmann-Wild trägt eine Brille und lächelt in die Kamera

© David Fisher/Oxford University

Der Politologe Dr. des. Tim Heinkelmann-Wild ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Internationale Beziehungen (Prof. Berthold Rittberger) sowie am Lehrstuhl für Global Governance und Public Policy (Prof. Bernhard Zangl) am Geschwister-Scholl-Institut der LMU.

Er forscht unter anderem zur Rolle internationaler Organisationen in einem veränderten globalen Machtgefüge. In seiner Doktorarbeit hat er den US-Rückzug aus internationalen Institutionen und dessen Auswirkungen auf die internationale Ordnung untersucht.

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