News

Die Vermessung der Ungleichheit

07.10.2024

„Wir werden relevant sein“: Soziologe Fabian Pfeffer über das Munich International Stone Center for Inequality Research (ISI) an der LMU, das in dieser Woche offiziell eröffnet wird.

Auch hierzulande häufen die wohlhabendsten Menschen Dutzende von Milliarden an, weite Teile der Gesellschaft dagegen kommen finanziell auf keinen grünen Zweig: Die Vermögen der Bürger sind auch in Deutschland höchst ungleich verteilt. Und die Ungleichheit nimmt weiter zu. Fabian Pfeffer untersucht die Strukturen und gesellschaftlichen Mechanismen, die solche Schieflagen ermöglichen. Der Wissenschaftler ist nicht nur seit etwa einem Jahr der Inhaber des Lehrstuhls für Soziale Ungleichheit und Soziale Strukturen an der LMU, sondern auch Gründungsdirektor eines neuen Instituts für Ungleichheitsforschung, dem Munich International Stone Center for Inequality Research (ISI). In dieser Woche ist die offizielle Eröffnung der neuen Einrichtung, unter anderem mit einem Vortrag des bekannten französischen Ökonomen Thomas Piketty. Gefördert wird das ISI von der James M. & Cathleen D. Stone Foundation als eines von einem knappen Dutzend Instituten mit ähnlicher Ausrichtung in den USA und Europa. Im Interview skizziert Soziologe Fabian Pfeffer den Fahrplan für den Aufbau und die Arbeit des neuen Institutes.

Prof. Dr. Fabian Pfeffer

„Wir möchten die Vermögensungleichheit möglichst genau quantitativ beschreiben, untersuchen, welche Mechanismen ihr zugrunde liegen und wie sie sich auf kommende Generationen auswirkt. Gleichzeitig wollen wir auch neue Modelle für ein gerechtere Gesellschaft wissenschaftlich unter die Lupe nehmen." So skizziert Fabian Pfeffer das Programm des neuen Instituts.

© LMU / Florian Generotzky

Welche Aufgaben hat das neue Institut?

Fabian Pfeffer: Unser Forschungszentrum hat sich der Grundlagenforschung zu sozialer Ungleichheit verschrieben, einen besonderen Fokus richten wir dabei auf die Verteilung von Vermögen. Von Ländern wie Deutschland und mehr noch von skandinavischen wie Schweden denkt man gerne, sie seien weniger stark durch soziale Ungleichheit gespalten als die USA. Das mag für die Einkommen noch hinkommen, doch bei den Vermögen ist die Schere kaum weniger weit geöffnet als in den Vereinigten Staaten, wo ich die Zustände schon lange untersuche. In unserer Forschung möchten wir diese Ungleichheit möglichst genau quantitativ beschreiben, untersuchen, welche Mechanismen ihr zugrunde liegen und wie sie sich auf kommende Generationen auswirkt. Gleichzeitig wollen wir auch neue Modelle für eine gerechtere Gesellschaft wissenschaftlich unter die Lupe nehmen.

Wie wird das Institut arbeiten?

Pfeffer: Das Institut ist stark auf den internationalen Austausch ausgerichtet, es soll ein Knotenpunkt der internationalen Ungleichheitsforschung werden. Wir werden Gastwissenschaftler an das Zentrum holen, Kooperationsprojekte auflegen und Austauschprogramme mit einem starken Fokus auf Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern aufbauen. Geplant sind Mentorenprogramme, die über ein Jahr laufen. Wir wollen Nachwuchskräfte, die sich mit Ungleichheit auseinandersetzen, mit den Koryphäen aus der ganzen Welt zusammenbringen. Vorrangig für unsere Forschung werden auch Arbeiten zur Datenlage sein. In Deutschland gibt es das Handicap, dass es seit den späten 1990er-Jahren keine Vermögenssteuer gibt und demzufolge auch entsprechende Steuerdaten mit direkten Vermögensinformationen fehlen. Man kann aber auch Einkommensteuerdaten dazu benutzen, Rückschlüsse auf Vermögen zu ziehen. Das ist kompliziert und bedeutet sehr viel Arbeit. Hier hat sich das Zentrum vorgenommen, den Aufbau der Dateninfrastruktur voranzutreiben.

Sie untersuchen also, was ist, – aber auch, was werden könnte?

Pfeffer: Ja, wir erforschen auch das, was man mit „realen Utopien“ umschreiben kann. Diese Arbeit profitiert übrigens ebenfalls sehr von unserem internationalen Zuschnitt und nicht zuletzt auch dem weltumspannenden Netzwerk der Stone-Zentren, weil es den Blick der vergleichenden Sozialforschung noch einmal weitet. Wir wollen uns also auch mal einen Moment freimachen vom real Existierenden, um eine Vorstellung von möglicherweise realisierbaren, aber utopisch klingenden Alternativen zu entwickeln. Eine solche Imagination ist harte Arbeit und die daraus entstehenden alternativen gesellschaftlichen Modelle müssen wir danach unseren normalen wissenschaftlichen Methoden aussetzen, um ihre Umsetzbarkeit einzuschätzen. Ein US-Ökonom etwa hat in den 1990er-Jahren zu berechnen begonnen, wieviel an Reparationen man denn an die Abkömmlinge versklavter schwarzer Menschen in den USA zahlen müsste. Ein einsamer Rufer, in seiner Zunft begegnete man ihm nur mit Kopfschütteln, bis 20 Jahre später so einige Präsidentschaftskandidatinnen und -kandidaten einer großen Partei bei ihm anklopften und mehr wissen wollten. Auch das bedingungslose Grundeinkommen galt ja als verrückte Idee, bis ein paar Ökonomen das mal durchgerechnet haben.

Ein Thema auch für das Zentrum?

Pfeffer: Ich denke, solche Fragestellungen sind gar nicht so weit entfernt von dem, was wir mit langem Atem unterstützen könnten. Die Förderung durch die Stiftung erlaubt und erlegt es mir in gewisser Weise auch auf, Dinge anzugehen, die mit DFG-Mitteln möglicherweise schwerer umzusetzen wären, da sie außerhalb der typischen Förderrichtlinien liegen.

Ein Beispiel?

Pfeffer: Ein Projekt, das unsere Forschung begleiten soll, passt sehr gut dazu: Wir wollen neue Wege in der Wissenschaftskommunikation suchen. Anders als in der Quantenphysik etwa ist unsere Forschung ja gut vermittelbar. Ich möchte ein kurzes Videoformat weiterentwickeln, von dem wir in den USA bereits acht Pilotfolgen produziert haben: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erzählen in vier Minuten von ihren wesentlichen Ergebnissen. So gesehen keine brandneue Idee, auf die Machart kommt es an. Auch dafür möchte ich die führenden Ungleichheitsforscher aus aller Welt nach München holen.

Was ist so speziell an der Machart?

Pfeffer: Die Inspiration dafür kam von einem Format aus den USA. Der große öffentliche Radiosender in den Vereinigten Staaten, NPR (National Public Radio), bringt die Tiny Desk Concerts auf YouTube, eine kleine Konzertserie, aufgenommen in der Musikredaktion, zwischen Schreibtischen und vollgestopften Regalen. Da setzt sich dann Alicia Keys hin und singt drei Songs. Das ist ganz intim, große Kunst unplugged. Dieses Format hat mich immer fasziniert. Wie würde das in den Wissenschaften aussehen? Unser Problem ist vielleicht, dass wir nicht so viele Alicia Keys in der Wissenschaft haben, die das alles so scheinbar locker machen. Aber unsere Pilotfolgen haben gezeigt, dass die Grundidee auch hier funktionieren kann, persönlich, zugänglich, in kleinem Rahmen.

Soll das Institut denn eigene Räume bekommen?

Pfeffer: Ja, ich möchte ein Zentrum aufbauen, das eventuell auch aus den Universitätsmauern ausbricht. Ich könnte mir ein altes Ladenlokal vorstellen, mit einem Schaufenster zur Straße, was eine gewisse Öffentlichkeit schafft. Hier um die Ecke in der Georgenstraße gibt es diese tolle Tankstelle aus den 1950er-Jahren. So etwas wäre ideal.

Es gibt ein knappes Dutzend ähnlicher Zentren in den USA und Europa, die allesamt die Stone Stiftung finanziert. Einige, so wie das, das Sie in Michigan gegründet und geleitet haben, arbeiten bereits seit ein paar Jahren, andere sind wie das in München in Gründung. Gibt es eine gemeinsame Struktur?

Pfeffer: Ich gehe davon aus, dass die Zentren langfristig ein internationales Netzwerk bilden und auf vielfältige Weise zusammenarbeiten. Wir planen derzeit gemeinsam ein Promotionsnetzwerk im europäischen Raum. Eine klare Aufgabenteilung zwischen den Zentren gibt es nicht.

Was könnte die LMU als Standort einbringen?

Pfeffer: Die LMU ist eine weltführende Universität mit breiter Expertise in Soziologie, Ökonomie, Politikwissenschaften und benachbarten Disziplinen. Es gibt relevante Max-Planck-Institute und andere außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, die auf unseren Themenfeldern arbeiten. Mit dem ifo Institut zum Beispiel möchte ich auch kooperieren, etwa bei der Dateninfrastruktur. Auch die anderen Stone-Zentren sind an exzellenten Universitäten angegliedert, ob das jetzt Harvard, Berkeley oder Paris ist. Ich denke, München spielt in dieser Liga mit.

Geht es nur um Grundlagenforschung? Oder auch um Politikberatung?

Pfeffer: Das Institut ist der Grundlagenforschung verpflichtet. Das heißt aber nicht, dass wir Forschung fernab der Anwendung machen. Wir werden relevant sein, aber auch in dem Sinne, dass wir eben andere, teilweise auch radikal andere Modelle mitbetrachten und empirisch ergründen, unabhängig von der politischen Umsetzbarkeit des Tages. Das ist das Wichtige, das uns wahrscheinlich von der klassischen Politikberatung unterscheidet. Was relevant und umsetzbar ist, kann sich auch schnell ändern. Und dann sollten wir bereit sein.

Wie sieht denn der Fahrplan für die kommenden Jahre aus?

Pfeffer: So viel ich über Visionen spreche, so zurückhaltend bin ich bei der Vorhersage, wie dieses Zentrum in fünf Jahren auszusehen hat. Ich habe mir Forschungsinstitute auch hier an der LMU angeschaut, die extrem prominent und erfolgreich sind, die über zehn, zwanzig Jahre auf 100 Mitarbeitende angewachsen sind. Das kann ein Modell sein, aber das ISI könnte auch klein und fein werden. Die Förderung durch den Stifter ist auf lange Sicht angelegt. Das Institut soll organisch wachsen. Mein Bestreben wäre, dass man in zehn Jahren sagen kann, die wichtigen Vermögensforscherinnen und Ungleichheitsforscher der letzten Jahre sind alle mal bei uns gewesen, ob nun als Mitarbeitende, in einem Programm, auf einer Konferenz oder zu Besuch.

Welche wissenschaftlichen Projekte planen Sie gerade?

Pfeffer: Derzeit läuft ein Forschungsantrag zum Zusammenhang von wachsender Vermögensungleichheit und der Abnahme von sozialem Vertrauen und sozialer Integration. Wie also wirkt sich die Vermögensungleichheit auf das Überleben unserer Demokratien aus? Daran wird ein Team von ausgezeichneten Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern unter anderem von der Oxford University, der University of North Carolina in Chapel Hill, der Pontificia Universidad Catolica in Chile und vom Max-Planck-Institut in Köln arbeiten, die wir hier in München zusammenbringen wollen. Wir haben eine Postdoktorandin am Lehrstuhl, Laila Schmitt, die untersucht, wie Vermögensungleichheit überhaupt von den Menschen wahrgenommen wird. Und ich habe in den USA weiterhin ein großes Datenprojekt am Laufen, das sich amerikanische Steuerdaten vornimmt, um daraus Aussagen zum Vermögen abzuleiten und dann tatsächlich die Vermögensbestände aller Amerikaner abzudecken. Damit entsteht eine Infrastruktur, die es möglich macht, Daten nach Ortschaften und Stadtteilen zu aggregieren und dafür das jeweilige Vermögenslevel, die Vermögensungleichheit und sogar die intergenerationale Vermögensmobilität zu zeigen. Etwas Ähnliches für Deutschland zu machen, könnte eines unserer zentralen Strukturprojekte werden.

Prof. Dr. Fabian Pfeffer

„Mein Bestreben wäre, dass man in zehn Jahren sagen kann, die wichtigen Vermögensforscherinnen und Ungleichheitsforscher der letzten Jahre sind alle mal bei uns gewesen, ob nun als Mitarbeitende, in einem Programm, auf einer Konferenz oder zu Besuch“, sagt Fabian Pfeffer.

© LMU / Florian Generotzky

Professor Dr. Fabian Pfeffer ist Inhaber des Lehrstuhls für Soziale Ungleichheit und Soziale Strukturen an der LMU und Gründungsdirektor des Munich International Stone Center for Inequality Research (ISI). Pfeffer studierte Soziologie an der Universität zu Köln und an der University of Wisconsin-Madison (USA), wo er auch seinen Ph.D. machte. Danach lehrte und forschte er am Institute for Social Research und am Department of Sociology der University of Michigan in Ann Arbor (USA), zuletzt als Associate Chair. Dort baute er auch das Stone Center for Inequality Dynamics auf, bevor im Jahr 2023 an die LMU kam.

Wonach suchen Sie?