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Digitale Lehre: Zum Melden bitte leuchten!

18.11.2024

Zuhause einer Vorlesung folgen und gleichzeitig im Hörsaal präsent sein: Das geht beim Projekt „Fernstudent“ mithilfe eines Avatars.

Bildschirm mit einer junge Frau, die lächelnd in eine Kamera blickt und winkt

Der minimalistische Roboter wird in den Hörsaal gerollt. Er zeigt Studierende, die von zuhause aus einer Vorlesung zusehen. | © LMU

Es ist ein ungewöhnlicher Kommilitone, der seit Kurzem in den Vorlesungssälen der LMU Platz nimmt: Eine HD-Kamera dient ihm als Auge, ein Richtmikrofon als Ohr, und wenn er sich melden will, leuchtet ein LED-Ring. Der minimalistische Roboter, der zudem sein Gesicht wechseln kann und in den Hörsaal gerollt wird, ist Teil eines Kooperationsprojekts von Informatik- und Psychologie-Forschenden der LMU – und soll helfen, den hybriden Unterricht zu verbessern.

„Die Corona-Pandemie hat den Fernunterricht populär gemacht“, erklärt LMU-Informatiker Dr. Daniel Ullrich, der insbesondere zur Mensch-Roboter-Interaktion forscht. „Hybrider Unterricht, also die Mischung aus Präsenz- und Online-Lehre, bietet viele Vorteile – zum Beispiel für Studierende, die krank oder verreist sind, oder für solche mit familiären Verpflichtungen.“ Doch in üblichen Online-Formaten mangele es an direktem Kontakt und nonverbaler Kommunikation mit den Fernstudierenden. Der Austausch via Textchat sei zudem nicht nur unpersönlich, sondern erhöhe auch die mentale Belastung für Lehrende, da diese gleichzeitig Präsenz- und Online-Studierende im Blick behalten müssen.

Ullrichs Kollege Professor Andreas Butz, Inhaber des Lehrstuhls für Mensch-Maschine-Interaktion an der LMU, kennt das Problem: „Als Dozent gerät man in einen Konflikt, weil man nie beiden Gruppen gleichermaßen gerecht werden kann.“ Gemeinsam suchten die Informatiker nach einer technologischen Lösung – und kamen auf die Idee, einen physikalischen Vertreter für die Online-Studierenden in den Hörsaal zu setzen. So versuchten sie, das Prinzip von „Telepräsenzrobotern“, die in Unternehmen bereits an Konferenztischen sitzen, auf die Uni-Lehre zu übertragen. Der Avatar repräsentiert dabei alle Studierenden, die online an der Vorlesung teilnehmen.

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1:56 | 18.11.2024

Studierende entwickeln Avatar mit

Auch die Professorin für Wirtschaftspsychologie und Mensch-Technik-Interaktion, Sarah Diefenbach, ist an dem Projekt beteiligt. „Aus psychologischer Sicht spielt für eine gute Unterrichtsatmosphäre auch das Gefühl der sozialen Eingebundenheit eine wichtige Rolle“, so die Forscherin, die schon zuvor beim Thema Robotik mit den Informatikern zusammengearbeitet hatte. „Wenn die Remote-Studierenden im physischen Unterrichtsraum präsenter sind, kann das auch ihre Motivation zu Wortmeldungen erhöhen.“

In Daniel Ullrichs Praktikum „Experience Design“ entwickelten Studierende zunächst Konzepte, wie der Avatar aussehen könnte. Die anschließend in den Studiengängen Psychologie und Medieninformatik präsentierten Designs reichten „von minimalistisch bis stark humanoid“, erinnert sich Ullrich. „Eine erste Idee war ein anthropomorpher Roboter, also mit menschenähnlichem Körper, der neben den anderen Studierenden im Vorlesungssaal sitzen und zum Melden seinen Arm heben sollte“, so der Forscher. „Aber die vielen mechanischen Komponenten dieses Konzepts machen es in der Praxis fehleranfällig.“ Zudem empfanden viele Studierende die Vorstellung einer humanoiden Form des Avatars als störend. „Wenn eine animierte Figur oder ein Roboter sehr nah am Menschlichen ist,“ so Ullrich, „bewegt man sich manchmal im Bereich des Unheimlichen, dem sogenannten ‚Uncanny Valley‘, in dem ein fast menschliches Aussehen paradoxerweise als negativ empfunden wird.“

Der Avatar, der schließlich als „finaler Prototyp“ gebaut wurde, ist dagegen geradlinig, transparent und etwa von der Größe eines sitzenden Studierenden. In seinen quaderförmigen Körper aus Acrylglas ist vorne ein Notebook-Display eingelassen, das nur jeweils die Kommilitonin oder den Kommilitonen zeigt, der sich gerade aus der Ferne zu Wort meldet. „Damit greifen wir auf gut etablierte Konzepte aus der Zoom-Kommunikation zurück.“Das dezente Aufleuchten des Roboters in verschiedenen Farben illustriert seinen Status: rot beispielsweise für Fehlermeldungen, grün für aktives Sprechen.

Geeignet bei PowerPoint-Vorträgen

Zur Kommunikation in Echtzeit nutzen Dozierende und Studierende eine Videokonferenzsoftware und steuern über eine React-App – eine webbasierte Benutzeroberfläche – die Sensoren und Aktoren des Avatars. So kann Letzterer durch das Aufleuchten eines LED-Rings anzeigen, wenn jemand aus der Ferngruppe eine Frage hat. Mit dem Ziel, dass Fernstudierende sich bei Wortmeldungen vor Ort im Hörsaal den Kommilitonen zuwenden können, experimentierten die Forscher zwischenzeitlich mit einer 360-Grad-Kamera. „Aber dabei hatten viele Präsenzteilnehmende Bedenken wegen ihrer Privatsphäre“, so Ullrich. „Sie wollten nicht gefilmt werden und setzten sich im Hörsaal in die hintersten Reihen.“

Damit er selbst überall gut zu hören ist, wird der Avatar meist in der zweiten oder dritten Reihe platziert; seine Lautstärke bei Fragen oder Kommentaren passt sich dabei automatisch der Geräuschkulisse im Vorlesungssaal an. Ein Richtmikrofon mit automatischem Pegel sorgt indes dafür, dass auch Dozierende mit leiser Stimme gut an den heimischen Schreibtischen vernommen werden können. „Ein kleiner Nachteil ist, dass man bei absoluter Stille im Hörsaal auch ein Papierrascheln hört.“

Im Rahmen einer Masterarbeit in Informatik wird der Fernstudent derzeit noch in weiteren Veranstaltungen getestet, etwa in der Veterinärmedizin, der Pädagogik und der Kunstgeschichte. „Wie sich zeigt, funktioniert er in klassischen Vorlesungen, etwa mit Tafelanschrieb oder PowerPoint-Präsentationen, besonders gut“, so Ullrich. „Soll aber etwa ein Artefakt oder ein praktisches Beispiel gezeigt werden, kommt das System an seine Grenzen.“ Auch für große, diskussionsfreudige Studierendengruppen sei es nicht immer geeignet. „In einer Psychologie-Vorlesung mit 130 Teilnehmenden zum Beispiel war die Hälfte remote zugeschaltet“, erklärt Ullrich. „Wenn diese miteinander debattierten, wurde es auf dem Bildschirm sehr unübersichtlich.“

Gesichter statt schwarzer Kacheln

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Noch sei der Fernstudent ein „unpolierter Prototyp“, so der Informatiker Butz, den es weiterzuentwickeln gelte. Gearbeitet wird etwa noch an einer besseren Erkennbarkeit von Folien, Artefakten oder Experimenten, insbesondere bei geteiltem Bildschirm. Auch ganz praktische Aspekte für die Umsetzung im Unialltag gelte es noch zu optimieren: „Bis man den ‚Fernstudenten‘ zum Beispiel faltbar im Koffer transportieren, im Vorlesungssaal aufklappen und mit nur einem Knopfdruck anschalten kann, fehlen noch einige Entwicklungsschritte“, so Butz.

Doch mit dem Avatar sei es gelungen, einen neuen und persönlicheren Kommunikationskanal zu Fernstudierenden zu schaffen – ein Ansatz, den die Universität bei ihrem „Tag der guten Lehre“ mit einem „LMU Lehrinnovationspreis“ würdigte. „Viele Dozierende hatten den Eindruck, dank des Avatars besser mit den Fernstudierenden Verbindung aufnehmen zu können“, erklärt Ullrich. „Und auch ich selbst war überrascht, wie natürlich dieser Austausch im Vorlesungssaal funktioniert.“ Das liege vielleicht auch daran, dass die Studierenden ein Gesicht bekämen – und nicht wie in herkömmlichen Formaten nur als anonyme „schwarze Kacheln“ zu sehen seien.

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