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Durchblick im Dickicht der Prinzipien

29.07.2021

Was bedeutet globale Gerechtigkeit? Welchen Normen sollten wir folgen? Laura Valentinis Forschungsfragen liegen an der Schnittstelle zwischen politischer Philosophie und Moralphilosophie.

Neuberufen an der LMU: Philosophieprofessorin Laura Valentini

Laura Valentini scheut nicht zurück vor großen Fragen. Die politische Philosophin setzt sich seit Beginn ihrer akademischen Karriere mit dem Thema der globalen Gerechtigkeit auseinander. „Ich interessiere mich dafür, welche Verpflichtungen die Privilegierten dieser Welt gegenüber den weniger Privilegierten haben und worauf diese Verpflichtungen gründen – auf Prinzipien der Gerechtigkeit oder auf Wohltätigkeit“, sagt Laura Valentini.

Die Antwort auf diese vermeintlich theoretische Überlegung hat weitreichende Auswirkungen: „Es macht einen Unterschied, wie wir der Welt gegenübertreten: Ob als großzügige Spender oder als Schuldner, die den Menschen in ärmeren Ländern etwas geben, was diesen eigentlich längst zusteht.“ Denn wäre die globale Verteilung von Ressourcen eine Frage der Gerechtigkeit und die reiche Welt käme den daraus entstehenden Verpflichtungen nicht nach, dann wäre es so, als würde sie an gestohlenen Gütern festhalten.

Zur Hilfe verpflichtet

Laura Valentini hat über diese Frage im Jahr 2011 ein Buch bei Oxford University Press veröffentlicht: Justice in a Globalized World: A Normative Framework. Sie möchte damit eine Orientierung geben, wenn es darum geht, über Fragen der globalen Gerechtigkeit nachzudenken.

„Es ist klar, dass etwas getan werden muss“, sagt die Philosophin. Aber wie viel getan werden muss und wie hoch die Opfer der Privilegierten sein müssen, das scheint wenig eindeutig. Laura Valentini kommt in ihrem Buch zu dem Schluss, dass es auf globaler Ebene Verpflichtungen aufgrund von Gerechtigkeitsprinzipien gibt. Diese seien zwar etwas schwächer als gegenüber dem nahen Umfeld, aber dennoch wird im Gespräch mit der Philosophin deutlich: Mit reiner Großzügigkeit gegenüber den Ärmeren ist es auch auf globaler Ebene nicht getan.

Laura Valentini ist seit Januar 2021 Inhaberin des Lehrstuhls für Philosophie und politische Theorie an der LMU, den bis 2020 Julian Nida-Rümelin innehatte. In den vergangenen Jahren hat Valentini in Großbritannien geforscht und gelehrt, zuletzt als Professorin für „Philosophy, Politics and Economics“ am King‘s College London. Dorthin hat es die gebürtige Italienerin bereits nach ihrem Politikstudium an der Universität Pavia gezogen, zunächst an das University College London, wo sie ihren PhD in Political Philosophy erwarb. Anschließend war sie Postdoctoral Research Associate an der Princeton University und Junior Research Fellow in Politics an der University of Oxford (von 2008 bis 2011). Als Lecturer ging sie zurück an das University College London, wo sie bis 2016 als Honorary Senior Research Associate blieb. Von 2013 bis 2020 war sie Associate Professor of Political Science an der London School of Economics and Political Science, bevor sie ans King’s College berufen wurde.

Für ihre Arbeiten wurde der Philosophin im Jahr 2015 der Philip Leverhulme Prize in Politics and International Relation verliehen, der herausragende und international anerkannte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auszeichnet.

Von der Theorie zur realen Welt und umgekehrt

Neben Fragen der globalen Gerechtigkeit beschäftigt sich Laura Valentini mit Methoden der politischen Philosophie und der Frage, wie idealisiert eine politische Theorie sein sollte, wie sehr sie also von der realen Welt abstrahieren darf. Ist sie zu idealistisch, könnte sie zu abgehoben geraten. Ist sie dagegen zu realistisch, läuft sie Gefahr, gleichsam am Status quo zu kleben und ihn so zu legitimieren. „Als Philosophin denke ich, dass die Kosten, den Status quo zu rechtfertigen, höher sind als die einer zu idealisierten Theorie. Denn letztere Kosten kommen nur dann zum Tragen, wenn man sich nicht der Komplexität der Welt bewusst ist und versäumt, die realen Verhältnisse zu berücksichtigen, bevor man eine Theorie in die Praxis überführt.

An der LMU ist Laura Valentini momentan dabei, ihr Team am Lehrstuhl aufzubauen. „Ich schätze die Möglichkeiten sehr, die die LMU bietet“, sagt die neuberufene LMU-Professorin. „Die LMU ist eine der besten Universitäten Deutschlands, wenn nicht die beste. Sie wirkt sehr lebendig und hat viele internationale Kollaborationen. An der Fakultät für Philosophie gibt es großartige Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich bereits im Austausch bin.“ Sie freue sich über die Freiheit, ihre Forschungsvision voranbringen zu können.

Thematisch wird sie sich verstärkt Normen und ihrem moralischen Status widmen: Wann sind Normen moralisch verpflichtend? Und unter welchen Umständen ist es berechtigt, sie zu hinterfragen? „Es ist nicht nur von theoretischem Interesse, diese Fragen zu beantworten. Normen bilden das Rückgrat unseres sozialen Lebens. So gut wie alle unsere Beziehungen werden durch Normen geregelt. Und wir alle prüfen uns gegenseitig laufend, ob wir uns an sie halten“, sagt Laura Valentini. Von empörten Reaktionen bei Normverletzungen weiß jede und jeder zu erzählen, etwa wenn Vordrängler beim Schlangestehen zurückgepfiffen werden oder gegen die Maskenpflicht in Coronazeiten verstoßen wird.

Aufgrund der Pandemie erlebt Laura Valentini ihren neuen Lebensmittelpunkt München bislang überwiegend im Remote-Modus via Zoom. Fakultätssitzungen oder Gespräche mit Studierenden – „die sehr motiviert wirken“ –, alles findet online statt. „Der Start war so gut, wie er sein kann mitten in einer Pandemie.“ Nun freut sich Laura Valentini darauf, die LMU zu erleben, „wenn sie in vollem Schwung ist.“

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