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Ein Stück weit die Welt verbessern

08.04.2024

Engagement von jungen Menschen ist enorm wichtig. Dies besonders in gesellschaftlich herausfordernden Zeiten. Das neue Münchner Unimagazin, das in wenigen Tagen erscheint, zeigt vielfältige Möglichkeiten, um selbst im Kosmos Universität aktiv zu werden.

Die Beweggründe, sich zu engagieren, sind vielfältig. Nicht wenige Studierende kommen zum Beispiel aus einer Arbeiterfamilie und mussten sich ihr Studium erst erkämpfen. Daher versuchen sie jetzt, Schülerinnen und Schüler aus Nichtakademikerhaushalten dabei zu unterstützen, ihren Weg an die Uni zu finden. Andere waren als junger Mensch schwer krank und wollen sich durch ihr Engagement für kranke Kinder für die Hilfe bedanken und dadurch der Gesellschaft etwas zurückgeben. Auch viele Geflüchtete sind sozial engagiert und helfen den Studierenden in ihrer Heimat mit Zugang zu Wissen oder ihren Landsleuten in Deutschland etwa mit Rechtshilfe beziehungsweise Übersetzungen. Andere setzen sich ehrenamtlich für wohnungslose Menschen ein, geben kostenlos Nachhilfe in Flüchtlingsunterkünften oder kümmern sich neben dem Studium um ihre Großeltern. Wir stellen Studierende vor, die sich in studentischen Hochschulgruppen engagieren oder als EU-Botschafter tätig sind.

„Ein konstitutiver Bestandteil des Menschen“

Prof. Oliver Jahraus

LMU-Vizepräsident Professor Oliver Jahraus | © LMU/Jan Greune

Professor Oliver Jahraus, Vizepräsident für den Bereich Studium und Lehre an der LMU, über die Bedeutung studentischen Engagements, dessen Möglichkeiten und Grenzen.

Herr Professor Jahraus, für studentisches Engagement gibt es zahlreiche Möglichkeiten – im sozial-gesellschaftlichen, im kulturellen oder politischen Bereich. Welche Rolle spielt das Engagement neben den Seminaren und Vorlesungen und Prüfungen für das Studium?

Professor Oliver Jahraus: Engagement ist in der akademischen Ausbildung fundamental, weil es ein konstitutiver Bestandteil des Menschen ist, wie wir ihn uns mit einer wissenschaftlichen Ausbildung vorstellen – getrieben von wissenschaftlicher Neugier und Qualität, aber gleichzeitig mit dem Bewusstsein, dass Wissenschaft nicht im luftleeren Raum, sondern in einem gesellschaftlichen und sozialen Kontext stattfindet, für den man auch und gerade in und mit der Wissenschaft Verantwortung übernimmt.

Das zeigt sich zum Beispiel auch an den Bewilligungskriterien für Stipendien. Ganz gleich, ob in Stipendienprogrammen von Stiftungen des Bundes, von Kirchen, politischen Parteien, der Wirtschaft oder der Gewerkschaften: Gesellschaftliches oder soziales Engagement von jungen Leuten ist immer ein Kriterium, das erfüllt sein muss, um gefördert zu werden. Man unterstützt so nicht nur ein bestimmtes wissenschaftliches Projekt, sondern immer den Menschen, der sich auf das intellektuelle Abenteuer einer akademischen Ausbildung eingelassen hat und der Teil seiner Gesellschaft ist.

Auch beim Deutschlandstipendium, das an der LMU im vergangenen Jahr so oft wie nie zuvor vergeben wurde, ist das Engagement ein wichtiges Kriterium. Welche Rolle spielt das Stipendium vor diesem Hintergrund?

Oliver Jahraus: Zunächst würden wir uns wünschen, dass noch viel mehr Studierende gefördert werden. Dennoch freuen wir uns sehr, weil durch den Anstieg die Sichtbarkeit und die Signalwirkung, die mit dem Stipendium und dem Programm einhergehen, natürlich auch wachsen.

Das Besondere im Hinblick auf das Engagement ist, dass in diesem Stipendium zwei Formen des Engagements aus unterschiedlichen Bereichen zusammenkommen. Grundidee des Stipendiums ist, talentierte und engagierte junge Menschen zu unterstützen. Es soll zugleich aber auch die Zivilgesellschaft dazu bringen, selbst fördernd tätig zu werden: Menschen, Stiftungen, Institutionen, Unternehmen und viele andere mehr engagieren sich freiwillig – und der Staat verdoppelt das finanzielle Engagement der Förderinnen und Förderer.

Genau so – in dieser Wechselseitigkeit: fördern und gefördert werden – funktionieren Gesellschaften und genau deshalb ist das Stipendium in Zeiten der Krisen auch ein Zeichen gegen ein gesellschaftliches Auseinanderdriften.

Wie ist Engagement als Kriterium für ein Stipendium definiert? Zählt bei der Bewerbung nur die Tätigkeit im institutionellen Kontext, also etwa für Vereine, Hochschulgruppen oder Organisationen?

Oliver Jahraus: Es ist nicht so, dass nur das Ehrenamt im Verein oder einer Organisation zählt. Denn wenn man genauer nachschaut, kommt oft Erstaunliches zum Vorschein – wenn Studierende etwa alten Menschen helfen oder Familienmitglieder unterstützen. Auch das ist soziales Engagement, auch wenn es vielleicht nicht immer offen zutage tritt und offiziell bestätigt werden kann.

Entscheidend ist vor allem, dass man einen Blick über das hinaus zeigt, womit man sich gerade im Studium beschäftigt, dass man sich für die Welt, in der man lebt, interessiert und an der Gesellschaft, deren Teil man ist, aktiv teilnimmt.

Studium im 21. Jahrhundert heißt: hoher Workload, Notwendigkeit zu arbeiten, um steigende Kosten in Metropolen wie München zu kompensieren. Da bleibt nicht viel Zeit, sich zu engagieren.

Oliver Jahraus: Das stimmt – das Studium selbst ist schon eine große Herausforderung. Und dann wird auch noch erwartet, dass man sich darüber hinaus aktiv einbringt. Doch das ist nur die eine Seite. Ich denke, dass es – auf der anderen Seite – eine Frage der Einstellung ist, ob man das Engagement als Joch, als zusätzliche Verpflichtung begreift oder vielmehr als Möglichkeit, sich selbst zu verwirklichen und weiterzuentwickeln.

Ich habe Einblick in viele Biografien von Studierenden – und wenn ich sehe, was diese jungen Menschen alles machen, fällt es mir schwer, mich über meinen vollen Terminkalender zu beklagen. Hier finde ich Engagement in vielfältigster Form!

Die LMU unterstützt Studierende, die sich engagieren auf unterschiedliche Weise. Gibt es auch Grenzen? Etwa bei politischem Engagement, das sich vielleicht auch mal in Aktionen an der Uni, in Hörsaalbesetzungen widerspiegelt?

Oliver Jahraus: Hier muss man zunächst zwei Aspekte auseinanderhalten: Wissenschaft ist ein eigenständiges System in der Gesellschaft. Aber sie ist nicht autonom von der Gesellschaft, zwar von ihr abgetrennt, aber doch darauf bezogen. Das heißt auch, dass wir an der Universität alles machen, über alles reden können, aber nur auf der Grundlage, auf der wir alle zusammenkommen: auf Grundlage der Wissenschaft und des wissenschaftlichen Diskurses. Wir können uns in diesem Zusammenhang natürlich auch über politische Themen auseinandersetzen, aber eben nur aus wissenschaftlicher Perspektive. Gegen die Wissenschaft zu agieren, kann ich nicht als soziales Engagement verstehen.

MUM: Wie können denn im wissenschaftlichen Diskurs gesellschaftliche Themen adressiert werden?

Oliver Jahraus: Wir betreiben Wissenschaft letztlich immer für die Gesellschaft. Damit ist nicht nur gemeint, dass herausragende wissenschaftliche Entdeckungen gemacht werden und deren Ergebnis der Allgemeinheit zugutekommt, sondern dass Wissenschaft die Gesellschaft, die ja auch in ganz wesentlicher Form eine Wissensgesellschaft ist, mit formt und definiert. Dazu braucht Wissenschaft Freiheit, Freiheit basiert auf Engagement. Förderwerke und Universitäten zielen auf die Verbindung von wissenschaftlicher Arbeit und sozialem Engagement gerade beim wissenschaftlichen Nachwuchs.

Alle Fächer können hier einen Beitrag leisten – auch die Geisteswissenschaften, in denen ich selbst forsche. Der Beitrag der Geisteswissenschaften ist vielleicht nicht so offensichtlich wie ein bahnbrechendes wissenschaftliches Ergebnis in den Naturwissenschaften. Aber auch die Geisteswissenschaften tragen gleichsam subkutan dazu bei, dass die Gesellschaft auf ihre kulturellen Ressourcen zugreifen kann, um das Selbstverständnis einer freien Gesellschaft zu entwickeln. Gerade deswegen ist es so wichtig, im wissenschaftlichen Kontext soziales Engagement zu fordern und zu fördern.

In der neuen Ausgabe des Münchner Unimagazins, MUM, das kommende Woche erscheint, stellen wir Studierende vor, die sich in der Studierendenvertretung der LMU, in Fachschaften, studentischen Hochschulgruppen oder als EU-Botschafter engagieren oder sich im kulturellen Umfeld, in Musik, Theater oder den Medien einbringen – für sich und für andere.
MUM gibt es auch als E-Paper. Wir benachrichtigen Sie gern, wenn das neue E-Paper online ist.

Jede Meinung zählt

Im Verein „Youmocracy“ engagieren sich Studierende der LMU für eine respektvolle Gesprächskultur. Denn: Die Demokratie profitiert von Meinungsvielfalt – wenn Kontroversen fair ausgefochten werden.

Öffentliche Debatten haben sich verändert: Der Ton ist rauer, die Auseinandersetzung aggressiver geworden. Toleranz und Respekt verlieren an Durchsetzungskraft. Nicht zuletzt bedrohen Fake News die Gesprächskultur. Das sind keine guten Nachrichten für die Demokratie. Der 2020 von Florentin Siegert gegründete Verein Youmocracy hält dagegen: Sein Ziel ist es, den argumentativen Austausch an deutschen Universitäten zu fördern.

„Wir wollen möglichst oft und regelmäßig eine gute Diskussionskultur in die Gesellschaft reintragen“, erklärt Paula Hofmann von der Münchner Regionalgruppe. Ihr Team, das sich aus Studierenden der LMU zusammensetzt, hat bereits viele spannende Foren organisiert: Kurz nach der Bundestagswahl diskutierte man über die Wahlentscheidungen junger Wählender. Es gab Veranstaltungen zur Rolle der Großmächte und zum Aufstieg Chinas, zur sozialen Ungleichheit und über die Frage, ob ein soziales Pflichtjahr für alle eingeführt werden soll. Man diskutierte über Elon Musks Medienmacht, die Klimawandelproteste und Künstliche Intelligenz.

Diskussion in der Fish Bowl

Ins neue Jahr startete die Studierendeninitiative zur Stärkung der Demokratie mit einer Diskussion über die Frage, wie demokratische Parteien auf den allgemeinen Rechtsruck reagieren sollen. Über fünfzig Gäste kamen ins Kulturzentrum am Hasenbergl – für den Verein die erste Veranstaltung dieser Größe. Auch ein neues Format wagten die Veranstalter: Die sogenannte „Fish Bowl“-Diskussion. Wer etwas zum Gespräch beitragen wollte, setzte sich einfach für einen kurzen Beitrag zu den Vertretern der Jungen Union, der Grünen Jugend, der Jungen Liberalen, des Verbands Jüdischer Studenten und des Vereins „München ist bunt“ auf die Bühne. Das Konzept ging auf: Tatsächlich war das Interesse daran, sich am Gespräch zu beteiligen, so groß, dass sich immer wieder lange Warteschlangen bildeten.

Erfahrene Diskutanten setzten sich auf die freien Stühle, aber auch manche, die der Moderatorin Paula Hofmann zuflüsterten, dass sie noch nie etwas auf einer Bühne gesagt hätten.

„Für die Besucher ist das eine ideale Möglichkeit, sich auszuprobieren“, sagt Paula Hofmann. „Sie sollen sich empowered fühlen und die Erfahrung machen, dass ihre Meinung für die Demokratie wichtig ist.“

Schon seit drei Jahren leitet die 22-jährige Politikstudentin die Gesprächsforen von Youmocracy, seit diesem Jahr zusammen mit ihren Kommilitonen Thomas Weber, Linus Spörl und Vinzenz Knöll. Während ihrer Ausbildung zur Demokratiebotschafterin hat sie in Rollenspielen erprobt, wie man am besten mit den gängigen Diskussionstypen umgeht: dem „Plauderer“, dem „Störer“ und dem „Stillen“.

Auf dem Bild sind die vier Mitglieder des Teams von Youmocracy München zu sehen. Sie halten ein Schild mit der Aufschrift Youmocracy ins Bild.

Das Münchner Team des studentischen Vereins Youmocracy, der sich für eine faire und respektvolle Gesprächskultur einsetzt.

© Youmocracy/Linus Spörl

Grundsätzliche Bereitschaft zum Konsens

Ein gutes Training muss sein, denn die Ansprüche des Vereins an die Diskussionskultur sind hoch. Nicht von ungefähr sitzen im Beirat zwei ehemalige Bundestagspräsidenten: Wolfgang Thierse (SPD) und Norbert Lammert (CDU).

Fairness und Respekt werden von den Diskussionsteilnehmern und -teilnehmerinnen verlangt, Offenheit, Vorurteilsfreiheit und Toleranz gegenüber jeder politischen Couleur, so steht es in den Statuten, Meinungsvielfalt: ja. Aber auch eine grundsätzliche Bereitschaft zum Konsens. „Als Moderatorin braucht man Empathie und Fingerspitzengefühl“, so Paula Hofmann. Schwierig findet sie, anderen „reinzugrätschen“, wenn sie zu lange reden. Knifflig sei es auch, Dynamik und Fluss im Gespräch zu halten. Und natürlich ist es für einen politisch denkenden Menschen gar nicht so einfach, die eigene Meinung zurückzuhalten. „Man lernt das nur mit viel Selbstdisziplin und Übung“, sagt sie.

Ihre gute Vorbereitung machte sich auch diesmal bezahlt. Denn irgendwann drohte die Diskussion zu verrutschen, Argumente zum Krieg im Gazastreifen flogen durch die Luft. Die Stimmung: geladen.

Sie hatte damit gerechnet, angespannt war sie trotzdem, erzählt Paula später. „Es war eine Gratwanderung: Ich wollte den Meinungen Raum geben und den Leuten erlauben, sich gehört zu fühlen und Dampf abzulassen.“ Aber: „Israel war nicht Thema des Abends.“ Mit diesem pragmatischen Argument brachte sie die Diskussion zurück auf Kurs.

Zwei Tage zuvor hatte sich an anderer Stelle gezeigt, dass die Nerven gerade blank liegen. Der Verband Jüdischer Studenten hatte sich kurzfristig gegen das EineWeltHaus als Veranstaltungsort entschieden. Paula Hofmann sah sich gezwungen, das Unmögliche möglich zu machen und in Windeseile mit dem Kulturzentrum am Hasenbergl einen neuen Ort zu finden – mit Erfolg.

Fünf Stunden Ehrenamt pro Woche

Ihr Ehrenamt kostet sie normalerweise rund fünf Stunden pro Woche. Meetings leiten, Pressearbeit machen, die Veranstaltungen vor und nachbereiten: „Das macht voll Spaß, es gibt einem viel zurück.“ Ihre Erfahrung: „Wichtig ist, dass man das priorisiert. Lässt man es nebenbei laufen, wird es nicht groß. Allein schafft man es auch nicht. Ich bin ein großer Fan davon, etwas gemeinsam zu tun und Kräfte zu bündeln. Wir brauchen Leute, die nicht nur reden, sondern machen.“ Auch künftig hat die Münchner Gruppe eine Menge vor. Zwei große und mehrere kleine Veranstaltungen im Jahr stehen auf der To-Do- Liste. Die nächste Veranstaltung ist der Demokratietag am 25. Mai. Die Veranstalter erwarten hundert Teilnehmende – mindestens!

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