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Exzellenzcluster MCQST: Das große Versprechen der kleinsten Einheiten

27.09.2018

Sichere Kommunikation, neuartige Informationsverarbeitung, hochempfindliche Sensoren: Der neue Forschungsverbund schafft Grundlagen für die „Quantentechnologien 2.0“.

Es ist eine überaus seltsame Welt, die Welt der Quanten. Mit den Vorstellungen der klassischen Physik jedenfalls lässt sie sich nicht mehr verstehen. Physikalische Größen wie Energie oder Drehimpuls in Objekten wie Atomen oder Elektronen können darin nur bestimmte Werte oder Energiezustände annehmen, sind also gequantelt. Licht und Energie werden nicht kontinuierlich abgegeben, sondern in Form kleiner Pakete. Quanten sind also in der Regel kleinste Energieeinheiten. Schon im 20. Jahrhundert veränderten diese neuen Ideen unser Verständnis der mikroskopischen Welt, es war eine erste Revolution, die zu Anwendungen wie dem Transistor oder dem GPS-System führte und die Basis für die moderne Informationstechnologie war.

Jetzt steht der nächste Schritt an, und wieder sieht es nach einer Revolution aus. Die Forscherinnen und Forscher des neuen Münchner Zentrums für Quantenwissenschaften und –technologie (MCQST) wollen dabei zu den Schrittmachern gehören. Sie werden in den kommenden Jahren daran arbeiten, die Prinzipien der Quanteninformation besser zu verstehen und quantenmechanische Effekte nutzbar zu machen. „Die Frage der Anwendung reizt uns“, sagt Immanuel Bloch von der LMU, neben Rudolf Gross von der Technischen Universität München (TUM) und Ignacio Cirac vom Max-Planck-Institut für Quantenoptik (MPQ) einer der drei Sprecher des neuen Clusters. „Wir wollen Quantentechnologien 2.0 entwickeln.“

Prof. Dr. Immanuel Bloch

© Jan Greune / LMU

Der neue Cluster ist in sieben Forschungseinheiten unterteilt, die das gesamte Feld von der absoluten Grundlagenforschung bis zur Anwendung abdecken. Die beteiligten Forscherinnen und Forscher wollen also etwa neuartige Sensoren und Kommunikationsstrukturen und Quantensimulatoren entwickeln und sogar erste einfache Quantencomputer realisieren – und zudem Bereiche wie Kosmologie oder Hochenergiephysik erfassen, die bislang noch nicht mit der Quantentheorie verknüpft sind. „Wir wollen auf allen Ebenen Naturphänomene besser verstehen“, sagt Bloch. Die Einheiten sind eng miteinander verwoben. „Wir haben in München eine enorme Breite und Kompetenz sowohl im theoretischen als auch im experimentellen Bereich. Das gibt es kaum an einem anderen Ort in Europa, vielleicht sogar an keinem auf der ganzen Welt“.

Basis für neue Anwendungen ist die Weiterentwicklung der Quanteninformationstheorie (QIT). Den Quantenphysikern ist es mittlerweile gelungen, die Natur verstärkt in der Sprache der Quanteninformation zu beschreiben. „Aus der Informationsverarbeitung und der Quantenmechanik hat sich eine neue universelle Sprache herausgebildet, mit der wir die Natur von Schwarzen Löchern oder Festkörpersystemen genauso beschreiben können wie Quantencomputer und Quantenkommunikation“, sagt Bloch. Auf dieser Basis wollen die Forscher neue Theorien und Algorithmen entwickeln, um mit Quanten besser rechnen zu können. Theoretiker wie Co-Sprecher Ignacio Cirac entwerfen neue Konzepte, sie entwickeln die Software für Quantencomputer und Protokolle für die Quantenkommunikation. Sie sollen auch mathematisch prüfen, wie sicher und leistungsfähig solche Protokolle sind. „Nicht nur das, die Theorie hinter diesen Computern und Kommunikationssystemen eröffnet uns eine neue Perspektive in andere Wissenschaftsbereiche wie Hochenergiephysik, Kosmologie oder Chemie“, sagt Cirac.

Im Zentrum der QIT steht das Konzept der sogenannten Verschränkung, das für die meisten Phänomene und Anwendungen der Quantenphysik verantwortlich ist. Zwei Atome, Elektronen oder Photonen sind verschränkt, wenn man den Zustand beider Teilchen nur gemeinsam beschreiben kann und nicht einzeln, also zum Beispiel der Spin eines Teilchens vom Spin des anderen abhängt. Verschränkte Teilchen sind nicht mehr unabhängig voneinander, sondern sind selbst über große Distanzen korreliert. „Das ist für Quantenphysiker eine riesige Ressource hinsichtlich möglicher Anwendungen“, sagt Bloch. Zwei miteinander verschränkte Teilchen verdoppeln etwa die Messgenauigkeit in Systemen, umso mehr Teilchen verschränkt sind, umso sensitiver ist das Gesamtsystem.

Gleichzeitig ist das Prinzip der Verschränkung sehr schwer zu verstehen. Verschränkung kann überaus komplexe Formen annehmen. Diese für mehr als zwei Teilchen zu charakterisieren, zu klassifizieren und zu verstehen, sei eine riesige Herausforderung. „Je mehr Teilchen beteiligt sind, umso schwieriger sind solche verschränkten Systeme auch zu bauen und zu kontrollieren“, sagt Bloch.

Die Forscher wollen gezielt die Rolle von Verschränkung in Festkörpern studieren, um etwa neue Materiezustände kennenzulernen. Die QIT könnte sogar für die Beschreibung von Effekten in Festkörpern und in der Kosmologie überaus nützlich sein. „Wir kennen eigentlich alle Kräfte und quantenmechanischen Grundregeln, nach denen die Teilchen miteinander wechselwirken, wir wissen aber nicht, welches Sozialverhalten die Quantenteilchen haben, wenn sie zusammenkommen.“ Mit Sozialverhalten meint der Physiker messbare Eigenschaften wie Magnetismus oder Supraleitfähigkeit.

Ein Baukasten von Modellsystemen

Gleichzeitig haben die Quantenphysiker die Hoffnung, dass man, wenn man das Prinzip der Verschränkung besser verstanden hat, auch einzelne Quantensysteme besser kontrollieren, nutzen und vielleicht sogar gezielt erzeugen kann, etwa maßgeschneiderte Supraleiter- oder Halbleiter-Quantensysteme. So könnte man künstliche Materie aus Quantenbausteinen aufbauen. Größere und kontrollierbare Quantensysteme bis hin zu Quantensimulatoren oder gar Quantencomputern könnten so entstehen. „Das Anwendungspotenzial der Quantentechnologien ist riesig und heute nur in Ansätzen absehbar“, sagt Gross. Letztlich führt eine Kette von Erkenntnissen von der Grundlagenforschung bis zur möglichen Anwendung. Am Ende wollen die Forscher der beteiligten Institute von LMU und TUM, des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik und des Walther-Meißner-Instituts dann auch sensible Sensoren, extrem genaue Messgeräte oder neue Schnittstellen für abhörsichere Kommunikationskanäle bauen. Auch Grundlagenforscher wie Immanuel Bloch sind an Anwendungen interessiert: „Wir wollen in unseren Quantensimulatoren Probleme lösen, die man bisher nicht auf klassischen Rechnern lösen kann.“

Bloch arbeitet intensiv zu Fragen der Quantensimulation. Hier geht es darum, mit Hilfe von gut kontrollierbaren Quanten-Modellsystemen aus ultrakalten Atomen das Verhalten physikalischer Systeme zu studieren, etwa die Bewegung von Elektronen in Metallen, das Entstehen von Supraleitung oder gar das Verhalten von Schwarzen Löchern und die Entstehung von Quantenfluktuationen im frühen Universum. „Das Universum ist letztlich ein Quantensystem“, sagt Bloch. Hier will er etwa zusammen mit dem LMU-Kosmologen Viatcheslav Mukhanov Theorien zur Frühphase des Universums überprüfen. Mukhanov will wissen, wie damals die klassischen Strukturen im Kosmos entstanden sind. Die Theoretiker liefern für die Simulationen grundlegende Beschreibungen ihrer jeweiligen Systeme, die Experimentatoren versuchen, diese Eigenschaften im Modell nachzubilden. „Wir entwickeln eine Art Baukasten an Modellsystemen, um uns möglichst viele Experimente ausdenken zu können“, sagt Bloch. „Wir sehen bisher nur die Spitze des Eisbergs.“

Mithilfe von quantenoptischen Experimenten ist es sogar möglich, in Felder wie Hochenergiephysik vorzudringen, die bisher noch nicht mit der Quantenmechanik verknüpft sind. Auf diesem Forschungsgebiet ist auch beispielsweise Monika Aidelsburger von der LMU tätig. Die Nachwuchsforscherin leitet gemeinsam mit Ulrich Schollwöck die Forschungseinheit „Explorative Research Directions“. Sie will mithilfe von ultrakalten Atomen in optischen Gittern Phänomene im Bereich der Hochenergiephysik simulieren und daraus neue theoretische Modelle entwickeln. Der MCQST wendet sich auch gezielt an jüngere Wissenschaftler, die erste eigene Ideen umsetzen können. So sollen etwa die sogenannten START-Fellowships talentierten Postdocs die ersten Schritte hin zu eigenen Gruppen erleichtern. Wieviel Potential alle Beteiligten im gesamten Forschungsfeld sehen, zeigt sich auch im geplanten neuen Master-Studiengang „Quantum Science and Technology“, der künftig von LMU und TUM gemeinsam angeboten werden soll, „eine einmalige und vielversprechende Chance für eine breite Ausbildung“, so Aidelsburger. „Das ist sowohl für die Wissenschaft als auch für die Industrie wichtig.“

Forschungsgebiete mit hoher Dynamik

Viele der Forschungsgebiete haben eine hohe Dynamik, etwa die Datensicherheit bei verschlüsselter Kommunikation. Hier wollen die Forscher sowohl Technologien wie Quantenrepeater entwickeln, die eine Vernetzung einzelner Quantenspeicher erst möglich machen, als auch eine sichere Datenleitung zwischen der LMU und dem MPQ als Teststrecke etablieren, mit Schnittstellen für klassische Informationstechnologien; auch Verbindungen zu Satelliten sind denkbar.

Quantensensoren sollen mithilfe spezieller synthetischer Atome kleinste Veränderungen von Zuständen messen können, etwa Gehirnströme, Veränderungen in Magnetfeldern oder die Konzentration von Gasen. Im Bereich Quanten-Materie denken Forscher über neue Materialien wie zweidimensionale Supraleiter nach.

Der größte Traum der Forscher ist es, irgendwann aus Quantensystemen einen voll programmierbaren Quantencomputer zu bauen. „Hierzu müssen aber noch viele Hürden übersprungen werden“, sagt Gross. Ein Problem ist etwa die Fehlerkorrektur, ein weiteres die Skalierbarkeit in Quantensystemen. „Es ist nicht so, dass Millionen Bauteile funktionieren, wenn zwei es tun. Es ist kein Ingenieurprojekt, bei dem man seine Ziele nach Plan erreichen kann.“ Hier betont Bloch auch, wie wichtig die parallele Vermittlung neuester Erkenntnisse und Fragestellungen sei: „Auch deshalb ist das Deutsche Museum wichtiger Partner im Cluster. Wir wollen das Potential und die Probleme der spannendsten Fragen bei Quantentechnologien darstellen.“ Eine große Dauer-Ausstellung im Museum sei geplant, ebenso Veranstaltungen für die Öffentlichkeit, um ein besseres Verständnis zu fördern. „Man kann zugleich enthusiastisch sein und erklären, welch gewaltige Herausforderungen vor uns liegen“, sagt Bloch.

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