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Familie im Film: Wenn Weihnachten aus dem Ruder läuft

06.12.2024

Interview mit Religionswissenschaftlerin Luise Merkert über Weihnachtsschnulzen und die Lust am Horror.

Eine Familie mit Kindern sitzt am Boden und sieht auf einen Bildschirm mit weihnachtlichem Sterne-Motiv.

Religiöse Narrative finden sich in vielen Filmen, gerade zur Weihnachtszeit. | © IMAGO / Depositphotos/konstantin yuganov

Am Lehrstuhl für Religionswissenschaft und Religionsgeschichte der Evangelisch-Theologischen Fakultät wird unter der Leitung von Professorin Daria Pezzoli-Olgiati die Darstellung von Familie im Film erforscht. Luise Merkert, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt, interessiert sich in ihrer Forschung insbesondere auch für religiöse Verweise in Horrorfilmen, die es selbst zur Weihnachtszeit gibt.

Jedes Jahr erscheint eine große Zahl rührseliger Weihnachtsfilme, jedes Jahr fließen beim Zugucken Tränen. Warum eigentlich?

Luise Merkert: Die Vorweihnachtszeit ist generell stressig. Das Jahr geht zu Ende, es ist eine Menge passiert. Darum freut man sich auf eine besinnliche Zeit. Weihnachtsfilme sprechen genau diese Sehnsucht in uns an: den Wunsch nach Nähe und Geborgenheit in der Familie.

In Werbeclips, die zum Beispiel von Supermarktketten zur Weihnachtszeit produziert werden, wird nicht selten moralisiert: Kümmere dich um deine Kinder, nicht um deinen Abwasch; besuch deinen vereinsamten Vater…

Absolut! Die Filme kommunizieren Werte und Normen, die von der Gesellschaft geteilt werden. Familie soll für uns ja etwas mit Geborgenheit zu tun haben, mit Zuflucht. Werbefilme vermitteln allerdings ein idealisiertes Bild von Familie. In Wirklichkeit ist alles weniger harmonisch.

Am Lehrstuhl für Religionswissenschaft und Religionsgeschichte der Evangelisch-Theologischen Fakultät wird die Darstellung von Familie im Film erforscht. Ist Weihnachten im Film überhaupt noch religiös geprägt?

Vieles hat sich verändert, auch die Art, Weihnachten in der Familie zu feiern. Aber Weihnachten ist und bleibt ein religiöses Fest. Der Film übernimmt die religiösen Verweise, passt sie an und bringt sie in unseren modernen Kontext ein.

Ihr persönlicher Forschungsschwerpunkt gilt dem Horrorfilm …

Ich frage, wie Familien in zeitgenössischen Horrorfilmen dargestellt werden und welche Rolle religiöse Motive dabei spielen. Religion hat ja eine Ebene des Transzendenten, des Unkontrollierbaren. Das kann Angst machen. Der Horrorfilm wiederum inszeniert Geschehnisse, die wir nicht beeinflussen oder kontrollieren können. So erzeugt er Schrecken. In diesem Kontext kann Religion sowohl Ressource als auch Bedrohung sein.

Fließen vor allem Rituale der katholischen Religion in Horrorfilme ein?

Das kommt darauf an. Einige Filme sind stark katholisch geprägt, weitere rekurrieren auf andere religiöse Traditionen. Horror ist ein Genre, das weltweit existiert und häufig religiöse Themen aufgreift.

Wie ist es in anderen Genres? Gibt es in romantischen Komödien oder Science-Fiction-Filmen ähnliche religi
öse Bezüge?

Definitiv. In romantischen Filmen, vor allem in amerikanischen Produktionen, spielen Heirat und religiös legitimierte Werte oft eine große Rolle. Auch die Science-Fiction greift religiöse Themen auf, wie Wiederauferstehung oder die Suche nach Erkenntnis.

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Und welche Rolle spielt die Familie dabei?

Familie ist ein universelles Thema, das nicht nur in Weihnachtsfilmen, sondern in fast allen Genres auftaucht. In „Star Wars“, „Interstellar“ oder „Arrival“ etwa. Auch in Horrorfilmen geht es oft um die Frage, was Familie eigentlich ausmacht. Klassische Rollenbilder werden hinterfragt oder umgedreht. Die eigentlich fürsorgliche, beschützende Mutter wird zur Bedrohung. Unschuldige Kinder verwandeln sich in etwas Böses. Das wirft interessante Fragen auf: Was passiert, wenn diese sicheren Rollen aufgebrochen werden? Welche Ängste entstehen?

Wie wirkt denn die Darstellung von Religion und Familie im
Film auf die Gesellschaft zurück?

Ich denke, dass Filme Religion gewissermaßen tradieren. Sie greifen religiöse Narrative auf, adaptieren sie und vermitteln sie weiter. Gerade populäre Filme, die von Millionen Menschen gesehen werden, haben eine große Reichweite, um religiöse Symbole, Ideen oder Geschichten zu verbreiten.

Die Kirchen haben keinen Einfluss mehr auf den Stoff …

In der Anfangszeit des Films war der Einfluss sehr groß. Damals wurden religiöse Filme gern in Kirchen gezeigt. Kirchliche Akteure haben auch bei der Regulierung von Filmen mitgewirkt, etwa bei dem sogenannten Production Code in den USA, der mitbestimmte, was in Filmen gezeigt werden durfte und was nicht. Moralische und religiöse Werte flossen in diesen Code ein und beschränkten die Darstellung von Homosexualität oder Gewalt. Heutzutage ist der direkte Einfluss der Kirchen auf Filme zwar deutlich geringer, aber Religion bleibt ein wichtiges Thema. So sorgen unter anderem Musikvideos, die religiöse Narrative aufgreifen, wie beispielsweise Lady Gagas „Judas“, in streng religiösen Kreisen für Kritik und Empörung. Religiöse Institutionen und Christ-Influencer verbreiten ihre religiösen Werte aktiv in Filmen, die über Social Media gepostet werden. Der Einfluss hat sich verschoben, ist aber immer noch präsent.

Luise Merkert

Luise Merkert

sucht in ihrer Forschung unter anderem nach religiösen Motiven in Horrorfilmen. | © N. Klekotko

Was ist für Sie daran aus Forschungssicht interessant?

Als Religionswissenschaftlerin finde ich spannend, wie Religion sich verändert, aber weiterhin relevant bleibt. Filme und Medien tragen dazu bei, religiöse Themen zu diskutieren, weiterzureichen und neu zu interpretieren. Filme sind ein faszinierendes Medium, um die Wechselwirkung zwischen Gesellschaft und Religion zu untersuchen.

Können Sie einen Weihnachtsfilm empfehlen, in dem das Thema Religion und Familie besonders präsent ist?

Wenn man sich vom Familienstress ein bisschen ablenken will, könnte man sich „The Lodge“ anschauen, einen Horrorfilm des österreichischen Regie-Duos Veronika Franz und Severin Fiala aus dem Jahr 2019. Weihnachten läuft darin derart aus dem Ruder, dass man ganz froh ist, sich mit der eigenen Verwandtschaft lediglich darüber zu streiten, wer nach dem Essen den Tisch abräumt.

Wer es lieber kitschig mag, könnte „Conjuring 2“ angucken – ein Horrorfilm mit einem überraschend schmalzigen Happy End, inklusive Tanz vor dem Weihnachtsbaum.

Zur Person:

Luise Merkert ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Lehrstuhl für Religionswissenschaft und Religionsgeschichte an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der LMU. Ihre Dissertation schreibt sie über das Thema „Familie und religiöse Symbolsysteme im zeitgenössischen Horrorfilm“. Zusammen mit Professorin Daria Pezzoli-Olgiati ist sie außerdem im bayerischen Forschungsverbund ForFamily tätig.

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