Förderprogramm Ukraine digital: Kompetenz am Krankenbett
22.12.2022
Das Institut für Didaktik und Ausbildungsforschung in der Medizin der LMU unterstützt Dozierende aus der Ukraine dabei, in der medizinischen Lehre auf digitales Lernen zu setzen.
22.12.2022
Das Institut für Didaktik und Ausbildungsforschung in der Medizin der LMU unterstützt Dozierende aus der Ukraine dabei, in der medizinischen Lehre auf digitales Lernen zu setzen.
Eine gute Ärztin oder ein guter Arzt wird man nicht ohne fundiertes Wissen. Entscheidend sind dann darauf aufbauend Erfahrungen in der Behandlung von Patientinnen und Patienten und Fähigkeiten am Krankenbett. Mit seinem Programm „Ukraine digital: Studienerfolg in Krisenzeiten sichern“ will der Deutsche Akademische Austauschdienst dazu beitragen, dass ukrainische Studierende auch unter den erschwerten Bedingungen, die der Krieg bedeutet, auf hohem Niveau lernen können. In der Medizin ist das besonders wichtig. Denn letztlich hängt die Patientensicherheit direkt von der Qualität der Lehre ab.
Das DAAD-Projekt, das mit 250.000 Euro gefördert wurde, wurde vom Institut für Didaktik und Ausbildungsforschung in der Medizin (DAM) der LMU in Kooperation mit der Charité Berlin durchgeführt. Projektleiter ist Professor Dr. Martin Fischer, der zusammen mit seiner Kollegin Karolin Dospil und seinem Kollegen Matthias Witti und einem Team aus LMU-Lehrenden im November diesen Jahres nach monatelanger, komplizierter Vorbereitung 25 Dozierende aus 14 verschiedenen ukrainischen Hochschulfakultäten zu einem einwöchigen Seminar auf Frauenchiemsee und am LMU Klinikum empfing. Anschließend reisten die Gäste zu einer Seminarwoche an der Berliner Charité weiter.
Ziel war es, die Dozierenden dabei zu unterstützen, fallbasierte Lehrformate zur Vermittlung klinischer Entscheidungsfindungskompetenzen in ihre Curricula zu integrieren und so zu einer besseren Qualität der Lehre und der Patientenversorgung beizutragen. Denn der Krieg in der Ukraine zwingt viele Fakultäten, auf digitale Lehre umzustellen. Zugleich werden in den Krankenhäusern des Landes vor allem Kriegsverletzungen behandelt – keine idealen Bedingungen, um die Medizin in ihrer Breite kennenzulernen und systematisch Diagnostik bei Patientenkontakten zu trainieren.
Für gute Lehre in der Medizin genügt es nicht, Vorlesungen zu digitalisieren. Es müssen Lehrformate zum Einsatz kommen, anhand derer die Entscheidungsfindung am Krankenbett vorbereitet und geübt werden kann.Martin Fischer
„Relativ einfach ist es in der Regel, kognitive Formate digital durchzuführen“, so Martin Fischer. „Für gute Lehre in der Medizin genügt es aber nicht, Vorlesungen zu digitalisieren. Es müssen Lehrformate zum Einsatz kommen, anhand derer die Entscheidungsfindung am Krankenbett vorbereitet und geübt werden kann.“
An der LMU sind solche Formate bereits seit mehreren Jahren fester Bestandteil der medizinischen Lehre. Denn seit vor circa 20 Jahren begonnen wurde, das Medizinstudium in Deutschland in Richtung einer stärkeren Handlungsorientierung zu reformieren, basiert die Lehre auf der Vermittlung von Wissen und Handlungskompetenzen.
Ein wichtiger Fokus liegt dabei auch auf der Kommunikation mit den Patientinnen und Patienten sowie ihren Angehörigen und mit Kolleginnen und Kollegen in interprofessionellen Teams. Weil es nicht ausreichend sein kann, dass die Studierenden, so Fischer, „top darin sind, Kreuzchen im Examen an die richtige Stelle zu setzen, aber im Umgang mit Patienten unsicher sind.“
Gern genutzt wird von Studierenden nicht nur die Möglichkeit, in Rollenspielen mit Schauspielerinnen und Schauspielern das eigene Gesprächsverhalten zu schulen und kompetentes Feedback zu erhalten. Es steht auch eine Vielzahl virtueller Patientenfälle zur Verfügung, die am Computer interaktiv und multimedial durchgearbeitet werden können.In solchen Falldiskussionen schlüpfen die Studierenden etwa in die Rolle einer Hausärztin, die einen 42-jährigen Patienten mit Brustschmerzen vor sich hat. Oder in die eines Assistenzarztes in der Notaufnahme eines städtischen Krankenhauses, der diagnostizieren soll, warum eine Achtzigjährige mehrmals in Ohnmacht gefallen ist. Anhand von Fragen, Fotos und Filmen dokumentieren die Studierenden ihre Befunde, stellen Differenzialdiagnosen auf, legen Untersuchungen fest, erwägen Therapiemöglichkeiten. Und stärken so ihre Kompetenz, klinische Entscheidungen zu fällen.
Die Pandemie hat die Entwicklung dieses Formats noch weiter angeschoben. Ausgehend vom Nationalen Kompetenz-basierten Lernzielkatalog Medizin (NKLM) wurden zahlreiche neue virtuelle Patientenfälle erstellt und mit allen deutschen Fakultäten geteilt.
Jetzt hat Dospil im Rahmen des DAAD-Projektes achtzig virtuelle Patientenfälle ins Ukrainische übersetzen lassen, die den Seminarteilnehmerinnen für ihre Lehre zur Verfügung stehen.
Die Reaktionen auf das Projekt waren „extrem positiv bis enthusiastisch“, so Martin Fischer. „Die Beteiligten wollen auf jeden Fall weitermachen und neue Lehrformate dauerhaft an ihren Universitäten etablieren.“ Ein entsprechender Folgeantrag wurde bereits bewilligt, der Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen aus der Ukraine soll auch künftig über die gegenwärtige Krisensituation hinaus weitergehen.
„Es ist eine Möglichkeit, sich ganz konkret kollegial einzubringen und Menschen in der Ukraine zu helfen“, so Martin Fischer, „und dazu beizutragen, die Lehre in der Ukraine nicht nur nachhaltig aufrechtzuerhalten, sondern auch zu modernisieren. Das ist bei allem Elend, das der Krieg bedeutet, eine Riesenchance.“