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Geocampus: Innovative Labore, neue Synergien

23.09.2024

Im Interview sprechen die Forscher Donald Dingwell und Yan Lavallée über die Bedeutung des LMU-Neubaus und die globalen Herausforderungen in den Geowissenschaften.

Am 24. September erfolgt der Spatenstich für den neuen Geocampus in der Schillerstraße. Dort wird zukünftig die geowissenschaftliche Forschung in den fünf Lehr- und Forschungseinheiten Geologie, Paläontologie und Geobiologie, Mineralogie und Petrologie, Kristallographie sowie Geophysik unter einem Dach vereint. Auch die geowissenschaftlichen Staatssammlungen für Mineralogie sowie für Paläontologie und Geologie ziehen in das neue Gebäude.

Von innovativen Laboren bis zu neuen Synergien – der Geocampus wird die interdisziplinäre Forschung und Lehre näher zusammenbringen und will Wissenschaft für die Öffentlichkeit zugänglich machen. Im Interview sprechen Professor Donald Dingwell, Direktor des Departments für Geo- und Umweltwissenschaften, und Professor Yan Lavallée, Inhaber des Lehrstuhls für Magmatische Petrologie und Vulkanologie, über die Bedeutung des neuen Gebäudes und die Herausforderungen, denen sich die geowissenschaftliche Forschung in Zukunft stellen muss.

Eine Fahrradfahrerin fährt am Neubau für Geo- und Umweltwissenschaften vorüber

Rendering des neuen Gebäudes in der Schillerstraße

© Visualisierung: Gerber Architekten

In dem neuen Gebäude werden verschiedene Lehr und Forschungseinheiten und die geowissenschaftlichen Staatssammlungen zusammengeführt. Welche Vorteile hat es, zukünftig alles unter einem Dach zu haben?

Dingwell: Unsere holistische Betrachtung der Erde wird gestärkt. Wir waren zwar immer eine Einheit und haben zur selben Fakultät und zum selben Department gehört. Aber die Situation, dass wir in zwei oder eigentlich drei verschiedenen Gebäuden untergebracht waren, hat Herausforderungen mit sich gebracht, die sonst gar nicht da gewesen wären.

Lavallée: Die Geowissenschaften sind von den Forschungsthemen her breit aufgestellt und wir müssen zusammenarbeiten, um bessere Lösungen zu finden. Wenn wir nicht zusammen in einem Gebäude sind, ist das schwieriger. Jetzt bekommen wir die Chance, neue Synergien zu entwickeln und unsere verschiedenen Herangehensweisen kennenzulernen. Was für mich auch wichtig ist: In dem neuen Gebäude gibt es auch mehr Raum für die Studierenden, die so unsere Forschung besser miterleben können. Hier in unserem alten Gebäude gibt es keinen Platz, an dem sie sich mit uns aufhalten können.

Es sind ja recht unterschiedliche Fachrichtungen, die zusammengefasst werden. Was ist das Verbindende?

Dingwell: Die Erforschung der Erde. Das Erdsystem ist enorm komplex, das merkt jeder, der auf diesem Planeten wohnt. Zusätzlich zu den Komplexitäten, mit denen wir schon immer zu tun hatten, ist jetzt der Klimawandel noch dazugekommen. Das heißt, „we are chasing a moving target“, wie man im Englischen sagt. Wir müssen das Erdsystem verstehen, aber es verändert sich, während wir es untersuchen. Das bedeutet, für uns ist eine neue Dimension dazugekommen. Das ist, was uns verbindet. Wir sind ein problembezogenes Fach, für das wir unterschiedliche Expertisen brauchen. Bei uns forschen Kolleginnen und Kollegen aus Biologie, Physik, Chemie und Mathematik, die aber alle vom selben Ziel inspiriert sind.

Eine der wichtigsten Fragen bei unserer heutigen synthetischen Betrachtung von Problemstellungen ist immer, wo hört der Beitrag von einem Gebiet auf und wo fängt der von einem zweiten Gebiet an? Vulkanische Systeme etwa entstehen chemisch durch thermodynamische Prozesse. Aber bei einem Ausbruch schaltet sich die Chemie dann aus. Es ist einfach nicht genügend Zeit vorhanden, dann ist es reine Physik, was geschieht. Man muss von beiden Disziplinen etwas verstehen, um beurteilen zu können, wie die Disziplinen Hand in Hand gehen.

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Spatenstich für das neue Gebäude für Geo- und Umweltwissenschaften

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Wie wichtig ist das neue Gebäude für die geowissenschaftliche Forschung?

Dingwell: Extrem. Es wird ein Leuchtturm für Süddeutschland sein. So ist es auch konzipiert. Mit dem synthetischen Denken, das wir hier versuchen zu etablieren, wollen wir auch andere Institute inspirieren. Wir wollen, dass die Leute über München sprechen und sagen, „da muss ich mal hin“. Wir wollen ein Magnet sein für Wissenschaftler und Studierende.

Lavallée: Unser derzeitiges Gebäude ist vor 50 Jahren geplant worden, deshalb gibt es gebäudebedingte Einschränkungen. Die Geowissenschaften haben sich weiterentwickelt, und wir brauchen neue Bedingungen. Im neuen Gebäude werden wir Labore haben, in denen wir das Potenzial unserer Messgeräte besser ausschöpfen können. Das war auch eine Herausforderung für die Planungen des neuen Gebäudes.

Gibt es architektonische Besonderheiten in dem Gebäude?

Dingwell: Die Fassade wird aus Maintal-Sandstein sein. Das ist ein heller Sandstein, der nicht einfach monoton ist, sondern eine gewisse Struktur hat. Schon durch seine Optik erzeugt er ein Gespür dafür, dass er über geologische Zeiträume abgelagert wurde.

Außerdem hat die Fassade zur Straßenseite einen Bereich, in den wir einen Querschnitt durch alle Naturgesteine Bayerns einsetzen. Das kann man nicht übersehen, die Idee war, dass die Menschen um die Ecke kommen und schon aus 150 Metern Entfernung sehen, „da sind die Geologen“. Besonders ist auch das Atrium in der Mitte mit viel Glas, das Geoforum, von dem aus die Labore einsehbar sein werden. Das Gebäude soll Neugierde wecken und die Öffentlichkeit einladen.

Das neue Gebäude bietet sicher auch neue Möglichkeiten. Gibt es besondere Einrichtungen, beispielsweise spezielle Labore, um die Forschung optimal zu unterstützen?

Lavallée: Wir haben viele bestimmte Voraussetzungen, die erfüllt werden müssen. Manchmal betrifft es die Statik, beispielsweise wenn wir Erdbeben simulieren, gibt es Oszillationen, die das Gebäude aushalten muss. Andere Messgeräte brauchen einen besonders stabilen Boden. Aber es gibt auch Anforderungen an die Klimabedingungen oder die Luftqualität. Und auch die Dimensionen der Räume sind wichtig.

Dingwell: Die Planungen für das neue Gebäude haben ja vor zehn Jahren begonnen, da wussten wir natürlich noch nicht genau, wer einziehen wird. Aber wir haben ein Labor geplant, das über drei Stockwerke in die Höhe geht, und eines, das 10 bis 15 Meter lang ist. Ich wusste, es wird Fragen geben, die nur mit diesen Dimensionen zu beantworten sind. Wir haben hier schon ein Gerät, das vier Meter hoch ist, und dann werden wir noch größere haben.

Was untersuchen Sie in diesem Labor?

Lavallée: Den Ausbruch von Vulkanen. Wir untersuchen den Auswurf von Gesteinen und Asche in die Luft. So können wir den Einfluss von Asche auf das Klima untersuchen.

Und für den langen Raum planen wir ein neues Instrument, eine Magma-Kanone. Damit wollen wir Lavaproben mit einer Geschwindigkeit von 100 bis 200 Meter pro Sekunde auf Gebäudematerialien schleudern und die Effekte untersuchen. Bisher gibt es keine Bauvorschriften für Gebäude in vulkanischen Gebieten, das gibt es nur für Erdbeben. Unsere Untersuchungen könnten dazu beitragen, sicherere Gebäude zu bauen. Ein anderes Thema, das uns interessiert, sind die Folgen von Meteoriteneinschlägen auf Monden.

Prof. Yan Lavallée | © privat

Welches sind die drängenden Zukunftsfragen für die geowissenschaftliche Forschung?

Lavallée: Das ist eine schwierige Frage, denn die Liste ist so lang. Es beginnt bei Fragen zur Entstehung des Lebens bis zu: Wie funktionieren Erdbeben, wie funktioniert die Plattentektonik, wie funktionieren die Konvektionen im Erdmantel oder auch Phänomene des Massentransfers oder die Bildung von Kristallen oder Lithium in der Erde.

Geothermie etwa wird zukünftig immer wichtiger werden. Ich war in Island und habe dort mit Vertretern der Geothermie-Industrie diskutiert. Hydrothermales Wasser wird zum Heizen und zur Stromerzeugung genutzt. Nun geht es auch um die Frage, wie und wann Geothermie in Island für die Lebensmittelindustrie genutzt werden kann. Durch die Nutzung von Geothermie für die Landwirtschaft könnten möglicherweise Flächen eingespart und der Ausstoß von Kohlenstoffen verringert werden.

Da Magma deutlich mehr Energie birgt als herkömmliche geothermische Energiequellen, könnte zudem die direkte Nutzung von Magma statt von Flüssigkeiten zur Gewinnung geothermischer Energie eine wichtige Energiequelle für die Zukunft erschließen. Um einen sicheren Zugang zu Magma zu erhalten, müssen innovative neue Lösungen für das Magma-Engineering entwickelt werden. Ich bin an einem Projekt in Island beteiligt, dem Krafla Magma Testbed. In diesem Rahmen soll in Island das weltweit erste Magma-Observatorium gebaut werden. Dort kann Magma beprobt und erforscht werden, um das Wissen auf diesem Gebiet voranzubringen. Um besser leben zu können, müssen wir die Erde besser benutzen.

Zu den angewandten Aspekten der Geowissenschaften gehört auch die Frage nach Ressourcen.

Dingwell: Wir untersuchen Ressourcen und Risiken im breitesten Sinn. Wir wissen, wir brauchen neue Technologien und Ressourcen und der globale Bedarf an neuen Ressourcen steigt. Lithium ist ein Paradebeispiel, und auch hier kann Geothermie eine Rolle spielen. Es gibt geothermische Quellen, die reich an Lithium sind, und man versucht bereits, Lithium daraus abzuscheiden.
Aber nicht nur die Anwendungen, die weiß Gott genügend sind, interessieren uns, sondern auch grundsätzliche Fragen zur Erdgeschichte und den Naturwissenschaften im Allgemeinen.

Können Sie Beispiele nennen?

Dingwell: Unsere Disziplin beginnt nun damit, Exoplaneten zu untersuchen. Diese wurden erst vor 30 Jahren entdeckt. Wir wissen schon einiges über den Mond, und mit den Exoplaneten haben wir jetzt Tausende neue Vergleichsobjekte. Wir werden nicht dorthin reisen, aber wir können sehr viele fundamentale Fragen stellen, und jedes Mal kommen die Antworten zurück auf die Erde und bringen uns dazu, zu bedenken, ob wir wirklich verstehen, wie die Erde funktioniert. Das hat mit dem Mondprogramm fantastisch funktioniert und es wird noch einmal passieren mit den Exoplaneten.

Ein anderes wichtiges Thema sind Verunreinigungen, etwa durch feinkörniges Material in der Atmosphäre. Turbinen haben große Probleme, wenn Staub eindringt. Das klassische Beispiel ist natürlich Vulkanasche in der Flugzeugturbine. Daran arbeiten wir auch direkt, obwohl wir keine Turbinenexperten sind. Wir sind Geologen, aber wir kennen den Ursprung des Problems, wir können genau sagen, welches Material eingedrungen ist und was damit passiert ist. Wir finden uns immer wieder neu aufgestellt als Partner in neuen Forschungsgebieten.

Planen Sie neue Forschungsrichtungen oder Projekte, die durch das neue Gebäude vielleicht auch erst möglich werden?

Dingwell: Wie natürlich in jedem Fach spielen auch in unserem Department dabei Neuberufungen eine Rolle. Wir haben einige neue Berufungen auf der W2-Ebene. In der Sedimentologie konnten wir nun mit Aaron Bufe eine neue Professur besetzen. Die Kristallografin Elena Sturm ist Expertin für Transmissions-Elektronenmikroskopie und kann interdisziplinär zu vielen interessanten Forschungsfragen beitragen und vieles erklären, was wir nur vermuten.

In der Mineralogie untersucht Daniel Weidendorfer exotische Chemismen von magmatischen Systemen, zum Beispiel von carbonatischen Magmen. Weltweit spuckt derzeit nur der Ol Doinyo Lengai in Ostafrika solch eine carbonatreiche Lava, aber wir wissen, dass diese Magmen im Lauf der Erdgeschichte immer wieder vorkommen. Das ist ein Teil des Kohlenstoff-Kreislaufs in der Tiefe der Erde, den man bisher überhaupt nicht quantifiziert hat. Das heißt, wir leisten mit dieser Forschung einen Beitrag zur globalen Kalkulation von Kohlenstoff-Kreisläufen.

Prof. Donald Dingwell

Prof. Donald Dingwell | © LMU

Das Gebäude soll auch ein Forum sein, das Geowissenschaften hautnah erlebbar macht. Warum ist es wichtig für Sie, die geowissenschaftliche Forschung für ein breiteres Publikum zugänglich zu machen?

Dingwell: Wir wollen die ganze Gesellschaft ansprechen und Interesse für die Geowissenschaften wecken. Die Menschen sollen fasziniert sein und angezogen werden. Unser Geoforum, also das Atrium in der Mitte und die anschließenden Sammlungsräume, soll dabei das Zentrum sein. Es soll so offen wie möglich sein. Es wird dort Ausstellungen, Workshops, Führungen und Vorträge geben.

Die Menschen sollen bei uns auch hinter die Kulissen der Forschung blicken können. Deswegen sind die Labore einsehbar und grenzen alle nach innen an eine Glasfront an. Die Welt ist ziemlich kompliziert heutzutage, und wir müssen uns mehr zeigen.

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