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Im Licht Pompejis

21.11.2022

Flammenspektakel, Schattenkino: Archäologin Ruth Bielfeldt erforscht, wie im Römischen Reich mit Licht Gemeinschaft, aber auch soziale Macht inszeniert wurde.

Prof. Dr. Bielfeldt vor antiken Lampen

Prof. Dr. Ruth Bielfeldt

in den Räumen der Ausstellung „Neues Licht aus Pompeji“ in den Staatlichen Antikensammlungen München. | © LMU / v.zign

Was mitnehmen, wenn das Zuhause im Inferno versinkt, ein Vulkan ausbricht über der Stadt, in der man lebt? Am 24. Oktober im Jahr 79 nach Christus entschied sich ein Pärchen in der Hast für nur zwei Dinge: einen Schlüssel und eine Bronzelampe, die die Form eines afrikanischen Kopfes hatte. Sie hatten nicht einmal Geld dabei. Die beiden kamen nicht weit, ihre Überreste wurden fast 2000 Jahre später auf einer Straße vor den Toren Pompejis gefunden.

Es ist wie ein Sinnbild, dass das Paar auf seiner Flucht eine kleine Lampe mitnahm. Denn Licht, so wird klar, wenn Ruth Bielfeldt von ihrer Forschung erzählt, war für die Menschen im Römischen Reich weit mehr als ein Mittel, um einen Weg durch die Dunkelheit zu finden oder die Nacht zum Tag zu machen. „In der römischen Gesellschaft wurde Licht bildhaft gestaltet, um Wahrnehmung zu inspirieren, aber auch um soziale Atmosphären zu beeinflussen. Auch mit Flammenlicht kann man gezielt orchestrieren zu dem, was gesehen werden soll“, sagt die Professorin für Klassische Archäologie der LMU.

Anderer Umgang mit Tag und Nacht

In römischen Häusern gab es im ersten Jahrhundert nach Christus unterschiedlichste Lichtinstrumente aus Terrakotta und Bronze – von hohen Kandelabern bis zu handlichen Tischlampen in verschiedenen Formen, die mit Öl brannten. Sie kamen nicht nur nach Einbruch der Dunkelheit zum Einsatz. Wer versucht, sich in die damalige Zeit hineinzuversetzen, erfährt den „Bruch zu unserem heutigen Umgang mit Licht“, sagt Ruth Bielfeldt. „Zeit und Zeitempfinden waren ganz anders strukturiert; das Leben im römischen Haus arbeitete anders mit Tag und Nacht.“

Das zeigt sich an der Architektur: Das römische Haus schottet sich vom Sonnenlicht ab, es gibt kaum Fenster. Dafür strahlt in das Atrium Licht von oben, einer Lichtdusche gleich. „Es gab im Haus unterschiedliche Beleuchtungsdynamiken je nach Sonnenstand. Manche Räume warten mit extremen Lichtkontrasten auf, mit denen das menschliche Auge nicht leicht fertig wird.“ Einige der Räume liegen den ganzen Tag im Halbdunkel oder Dunkel und brauchen auch tagsüber Lampen.

Ruth Bielfeldt untersucht im Rahmen des Forschungsprojekts „Neues Licht aus Pompeji“ die Kultur der Beleuchtung in der antiken Stadt. Mit ihrem Team hat sie unbekannte Lampen und Bronzelampen aus den Depots des Archäologischen Nationalmuseums Neapel erforscht, ein nahezu vergessenes Material. Ein Jahr lang kamen die Objekte zur Untersuchung und Restaurierung nach München. Mithilfe von naturwissenschaftlichen Methoden wurden verschiedene Materialien, vor allem Bronze, und ihre Licht- und Schatteneffekte analysiert und digital simuliert, um die Wechselwirkung von Licht, Raum und menschlichem Auge zu erfassen. Einige Originale wurden sogar nach wissenschaftlichen Kriterien reproduziert. Parallel arbeitete das Team am Verständnis der römischen Lichtkulturen und analysierte Schlüsseltexte der Zeit, die Licht explizit oder auch nur beiläufig thematisieren. „Es geht darum, zu verstehen, wie man was in der Antike gesehen hat“, sagt Ruth Bielfeldt.

Römische Festkultur als Inbegriff sozialen Lebens

Für die LMU-Archäologin sind die Lampen „Schlüsselobjekte“, um die Antike zu verstehen. Mit dem Ansatz einer „Archäologie der Sinne“ untersucht Ruth Bielfeldt die Sinneseindrücke von Menschen antiker Gesellschaften, um soziale Rituale besser erfassen zu können. So erweitern nun die neuen Erkenntnisse zum Einsatz von Licht zum Beispiel die Perspektive auf die römische Festkunst: „Die Festkultur und ihre zentralen Rituale können wir durch das Licht besser verstehen. Licht gestaltet die Sinnlichkeit von gemeinschaftlichem Leben. Und es gestaltet Machtverhältnisse, die mithilfe des Lichts sinnlich und körperlich ausgelebt wurden.“

Ihre Forschung zeigt, wie stark das Erleben von Licht kulturell geprägt ist. „Als heutige Beobachter sind wir schnell dabei, unsere eigenen Sinneserfahrungen auf die damalige Zeit zu projizieren. Bei uns ist Licht bei einem festlichen Essen zum Beispiel mit Gemütlichkeit und Intimität assoziiert. Aber die römische Cena hatte nichts mit Gemütlichkeit zu tun.“

Man lag bei der Cena, dem Gastmahl, scheinbar locker beieinander, aber wer wo lag und was dabei zu sehen war, war reglementiert. „Das soziale Leben verdichtete sich im Gastmahl, im Fest. Alles Networking lief über die Cena. Ursprünglich eine Sache der Elite unter sich, entwickelte es sich zu einer Kommunikationsform der Eliten mit dem Kaiserhaus oder auch mit sozial Abhängigen.“ Mehrmals pro Woche wurde in pompejanischen Familien zu Gastmählern geladen, für die es in ihren Häusern verschiedene Räume gab. Licht ist aktiver Gestalter der Cena. Es erzeugt Hierarchien, aber zugleich auch visuelles Chaos: Schattenspiele, Traumbilder, ein „Sehen im Rausch“.

Die Cena war zu einem guten Teil Theater. Es ging ums Sehen. Die Show bezog sich auch aufs Essen, das für Augen und Magen präsentiert wurde, ein „antikes Foodposting“. „Die Speisen kamen von überall her – man verleibte sich gewissermaßen das gesamte Römische Reich ein. Auch die Sklaven waren Konsumgut. Sie kamen aus dem ganzen Reich und wurden in ihrer Schönheit und körperlichen Verfügbarkeit präsentiert.“

Die Bronzelampen selbst produzieren „Lichtbilder des Sozialen“. „Es gibt figürliche Lampen, die Sklaven und damit indirekt oder direkt auch die Praxis der Sklaverei beleuchten. Soziale Instrumentalisierung ist auch ein Thema der statuarischen Lampenständer. Skulpturen im griechischen Stil werden in Pompeji mit Tabletts und Lampen ausgestattet und als stumme Diener vereinnahmt. So entsteht eine Spannung zwischen den echten Sklaven und ihren Gegenbildern aus Bronze.“

Bilychnis mit Silen, Replik, Projekt „Neues Licht aus Pompeji

Bilychnis mit Silen, Replik der Werkstatt Chiurazzi, Lichtexperiment 2022, Institut für Klassische Archäologie, München. Abbildung 28.1. aus dem Katalog der Ausstellung

© Institut für Klassische Archäologie, Projekt Neues Licht aus Pompeji/Johannes Eber

Untergegangene Beispielstadt

Pompeji, das mit dem Ausbruch des Vesuvs untergegangen ist, eröffnet Archäologinnen und Archäologen einmalige Einsichten in die römische Gesellschaft. Die wohlhabende Kleinstadt erlaubt einen Blick in die römische Mittelklasse, wie Ruth Bielfeldt erklärt. „Im ersten Jahrhundert vor Christus gab es dank der vielen Freigelassenen eine starke soziale Dynamik. Dies lässt sich auch in Pompeji nachzeichnen.“

Auch der Umgang mit dem Konsum von Licht änderte sich, so der Mitarbeiter am Projekt, Johannes Eber. „Lampen aus Bronze wurden in der Forschung bislang als Luxusware erklärt.“ Die Funde in Pompeji sprechen dagegen. Sie zeigen, dass alle Bewohnerinnen und Bewohner Zugang zu Licht hatten, nicht nur in Form von Terrakotta. „In Pompeji besaß jedes Haus mindestens einen Bronzeständer und in nahezu jedem Haus wurden Bronzelampen gefunden, die schönsten sogar in Garküchen und Werkstätten.“

Eine andere Art des Sehens

Im Rahmen des Projekts hat das Team um Ruth Bielfeldt antike Texte über die Wahrnehmung ausgewertet. „Die Antike hatte eine ganz andere Vorstellung vom Sehen. Kein rezeptives passives, sondern den Augen wurden emittierende Fähigkeiten zugeschrieben. Es gab eine Theorie, dass aus den Augen selbst Strahlen treten und die Dinge abtasten oder scannen. Aber auch die Dinge konnten beim Sehen als aktiv gedacht werden. Etwa indem sie von sich Partikel und Bilder absondern. Es passierte etwas beim Sehen.“ Die Analyse der Bronzelampen bestätigt das optische Wissen, das in die Lampen mit ihren Reflektoren und multiplen Schattenbildern eingegangen ist.

Die Forschungsergebnisse zeigt das Team um Ruth Bielfeldt nun in einer Ausstellung, die in Kooperation mit den Staatlichen Antikensammlungen in München entstand. Es ist der Archäologin ein Anliegen, den Besucherinnen und Besuchern zu zeigen, wie Menschen in der Antike gesehen haben. Dafür gibt es das „Virtuelle Triklinium“, ein interaktives, virtuelles Szenario eines Gelageraums in Pompeji, bei dem man Licht sehen und Lichtinstrumente berühren kann. Und zuletzt wartet der von Ruth Bielfeldt und dem Lichtplaner Stefan Maier konzipierte „Hygge-Raum“ auf Besucher. An diesem Ort des Sehens und des Gesprächs sind verschiedene historische Lichtszenarien zu erleben.

„Die historischen Wissenschaften werfen Licht auf Aspekte, die heute noch genauso virulent sind wie damals, für die wir in unserer unübersichtlichen Gegenwart kein Auge haben. Schönes und Problematisches“, sagt Ruth Bielfeldt. „Der Blick zurück in die Vergangenheit bleibt ein Schlüssel zum Heute. Und was heißt das überhaupt – vergangen?“

Ausstellung

Neues Licht aus Pompeji: Forschungsausstellung „Neues Licht aus Pompeji“ in den Staatlichen Antikensammlungen.

Die Ausstellung präsentiert 180 bekannte und gänzlich unbekannte Originale aus den Vesuvstädten. Ein Highlight ist das in Zusammenarbeit mit dem Leibniz-Rechenzentrum realisierte „Virtuelle Triklinium“.

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