In die Enge getrieben
07.04.2015
07.04.2015
Seite 2/2: Makrophagen können sich überfressen
Die Monozyten differenzieren sich unter dem Einfluss von Zytokinen wie Interleukin oder Interferon zu Makrophagen, also Fresszellen, aus. Sie können dann beispielsweise abgestorbene Zellen oder Fette aus dem Blut aufnehmen. Sie können sich aber auch an den Blutfetten überfressen und dabei selbst zugrunde gehen. Dann sammeln sich in den Plaques immer mehr abgestorbene und nicht mehr funktionsfähige Zellen an, auch vollgestopfte Makrophagen. Eine verhängnisvolle Reaktionskaskade läuft an, die Entzündung wird allmählich chronisch, die Plaques senden immer weitere Hilferufe in Form von Signalstoffen aus, die Immunantwort entgleist.
In dieser nächsten Phase der Erkrankung locken Signalstoffe weitere Immunzellen an, die sogenannten dendritischen Zellen. „Hier ruft das Endothel in einer nächsten Welle um Hilfe“, sagt Weber. Diese Zellen können einen sehr gezielten Angriff starten. Sie richten dabei andere Abwehrzellen des Immunsystems – sogenannte T-Zellen – auf ein bestimmtes Ziel aus, indem sie ihnen Eiweißbruchstücke des Zielmoleküls präsentieren. So entstehen spezifische Antikörper. „Ihre Funktion im atherosklerotischen Geschehen war bisher unklar“, sagt Weber.
Im Fokus seiner Forschung steht hier ein weiteres Signalprotein. Dieses Chemokin CCL17 wird von bestimmten dendritischen Zellen gebildet und ist für die Aktivierung von T-Zellen und deren Aufrechterhaltung entscheidend. Dies kann eine Rückbildung oder Auflösung der Entzündung behindern. „Das entzündete oder tote Material kann so nie ganz abgeräumt werden“, sagt Weber. Die Plaques verseifen, es bilden sich Cholesterinkristalle, die wiederum Alarmzeichen absenden können. Das zelluläre Drama nimmt unaufhaltsam seinen Lauf.
Die Entzündung wird zum Dauerzustand Doch manchmal gibt es Hoffnung. Weber und seine Kollegen konnten nachweisen, dass dendritische Zellen mithilfe des Signalmoleküls CCL17 einen Selbstregulierungsmechanismus des Immunsystems unterdrücken, der die Immunreaktion abschwächt oder begrenzt – die Entzündung wird zum Dauerzustand. Für Weber ist genau dieser Mechanismus ein Anknüpfungspunkt für ein mögliches Medikament. „Mit einem Antikörper gegen CCL17 ließ sich im Tiermodell das Fortschreiten der Atherosklerose verhindern“, sagt Weber.
Ohne Intervention jedenfalls droht das Immunsystem allmählich komplett außer Kontrolle zu geraten. Um den nekrotischen Kern voll von abgestorbenem Zellmüll herum häufen sich weitere eingewanderte oder sich teilende Makrophagen und T-Zellen an. Eine Reaktion des Organismus, die eigentlich lebensnotwendig ist, um Schadstoffe schnell zu eliminieren, die natürliche Barrieren wie Haut oder Schleimhäute durchdrungen haben, wendet sich ins Gegenteil: Die chronische Entzündung wird zur großen Gefahr für den eigenen Körper. Für Ärzte wie Christian Weber geht es also darum, diese pathologischen Reaktionsmuster und Umbauprozesse an einer Stelle zu durchbrechen, am besten möglichst früh, etwa indem man Rezeptoren blockiert oder die Signalproteine, die Chemokine, hemmt und so fatale Signalketten unterbricht. Immerhin konnte Weber dafür einen weiteren Ansatzpunkt finden. Ihm gelang erstmals der Nachweis, dass ein Komplex zweier kleiner Chemokine aus Blutplättchen das Einwandern von Immunzellen aus dem Blut in das entzündete Gewebe steuert und so die Atherosklerose fördert.
„Wie eine Sprache“ In seinem mit rund 2,5 Millionen Euro geförderten Projekt „Atheroprotect“ des Europäischen Forschungsrats (ERC) will Christian Weber künftig die biologische Bedeutung solcher Interaktionen zwischen Chemokinen weiter analysieren und deren Rolle bei der Feinabstimmung der Entzündungsprozesse untersuchen. „Chemokine sind unsere Haustiere, sie instruieren den gesamten Zellverkehr und locken Zellpopulationen an“, sagt Weber. „Die Interaktion von Chemokinen ist eigentlich mein Lieblingsthema. Sie ist wie eine Sprache, ein Satz aus einzelnen Wörtern, die nur gemeinsam einen Sinn ergeben.“ Man könne aber auch an eine lange Telefonnummer denken, die aus Ländercode, Stadtvorwahl und der Nummer des Anschlusses besteht. Kann man gezielt sozusagen die Anwahl unterbrechen, lässt sich ein Entzündungsprozess möglicherweise stoppen. Weber will Strategien und Stoffe entwickeln, mit denen die Signalmoleküle selektiv gehemmt oder wieder aktiviert werden können.
Seit mehreren Jahren verfolgt der Münchner Mediziner einen weiteren vielversprechenden Therapieansatz. Zusammen mit seinem Mitarbeiter Andreas Schober konnte er zeigen, dass sogenannte micro-RNAStränge im Endothel, die aber auch über Mikropartikel im Blut transportiert werden können, eine wichtige Rolle in der Frühphase von Atherosklerose spielen. „micro-RNAs tragen wesentlich dazu bei, die Genaktivität zu regulieren“, sagt Weber. Dabei handelt es sich um sehr kurze Abschnitte aus RNA, einer Nukleinsäure, die dem Erbmaterial DNA nahe verwandt ist. Webers Ansatz zufolge vermittelt ein Paar der kurzen Genschnipsel, die mit miR-126-3p und miR-126-5p bezeichnet sind, die Reparatur des Endothels nach einer ersten Schädigung, sie stellen eine Art Schutzmechanismus dar. Fehlt miR-126-5p, bilden sich speziell an Gefäßabschnitten mit verändertem Strömungsprofil vermehrt Ablagerungen, an denen es sonst eine natürliche Wachstumsreserve an Endothelzellen gibt, um schädliche Effekte zu kompensieren, haben die Forscher kürzlich im Fachblatt Nature Medicine geschrieben. Dann wirken sich auch individuelle Risikofaktoren wie erhöhte Blutfettwerte negativer aus. Im Mausmodell konnte er zeigen, dass die Gabe von miR-126-5p das Fortschreiten der Atherosklerose mindert. In einer Nanopartikel-Verpackung lässt es sich gut an den gewünschten Ort in den Arterien bringen.
Doch was lässt sich tun, um Risiken gar nicht erst entstehen oder groß werden zu lassen? Rauchen aufhören, Ernährung bewusst gestalten, alles naheliegend. Ob auch Sport einen positiven Effekt hat, ist bislang zumindest auf der molekularen Wirkungsebene noch nicht nachgewiesen. Aber es gibt zahlreiche epidemiologische Studien wie eine jüngst veröffentlichte. Diese besagt, dass bereits kurzzeitige Belastungen von wenigen Minuten das Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen deutlich senkten. „Kurz an die Belastungsgrenzen zu gehen, scheint besser zu sein, als gemütlich eine halbe Stunde zu joggen“, bestätigt Weber, „den Mechanismus dahinter verstehen wir jedoch noch nicht in Gänze.“ Aber immerhin war auch unter diesem Aspekt der Treppensprint vor 25 Jahren keine ganz schlechte Idee. Hubert Filser
Artikel aus Einsichten das Foschungsmagazin
Prof. Dr. med. Christian Weber ist Direktor des Instituts für Prophylaxe und Epidemiologie der Kreislaufkrankheiten und Inhaber des Lehrstuhls für Präventive Vaskuläre Medizin am Klinikum der Universität München. Weber, Jahrgang 1967, war Professor an der RWTH Aachen und ist Professor am Cardiovascular Research Institute der Universität Maastricht, Niederlande. 2010 zeichnete ihn der Europäische Forschungsrat mit einem Advanced Grant aus, Weber ist Sprecher des neu eingerichteten Sonderforschungsbereichs 1123 der DFG.
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