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„Jetzt anfangen, für die Zukunft zu planen“

28.04.2021

Die Coronapandemie verstärkt die ungleichen Bildungschancen bei Kindern, sagt die Ökonomin Monika Schnitzer. Aber auch die Erwachsenen sind ganz unterschiedlich von der Krise betroffen.

uf einem Wohnzimmertisch steht ein Laptop an dem gerade ein Kind arbeitet, daneben liegen verschiedene Schulutensilien und ein aufgeschlagenes Buch

© imago / Fotostand / K. Schmitt

Monika Schnitzer ist Professorin für Komparative Wirtschaftsforschung an der LMU und Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Im Interview spricht sie über die gesellschaftlichen Auswirkungen der Coronapandemie in Deutschland.

Welche Auswirkungen hat die Coronapandemie auf die gesellschaftliche Ungleichheit in Deutschland?

Monika Schnitzer: Wir sehen in einigen Bereichen, dass die Pandemie soziale Ungleichheiten verstärkt. Ich möchte das Thema Bildung in den Fokus stellen: Wir haben ja schon vor der Krise gesehen, dass in Deutschland der Bildungserfolg stark vom sozialen Hintergrund abhängig ist. Das hat sich mit der Pandemie noch einmal deutlich verschärft.

Kinder haben im Schnitt die Schule ein halbes Jahr lang nicht von innen gesehen. Dadurch sind sie davon abhängig, wie gut der Distanzunterricht und die Ausstattung der Schulen sind. Wenn das nicht gut funktioniert, kommt es darauf an, wie gut die Ausstattung mit Endgeräten zuhause ist und wie viel Unterstützung die Kinder dort bekommen, wenn sie alleine mit den Aufgaben nicht zurechtkommen. Kinder aus einkommensschwächeren Haushalten haben hier in der Regel einen großen Nachteil, wenn ihre Eltern ihnen nicht ausreichend helfen können – sei es, dass sie keine Zeit dafür haben, weil sie arbeiten müssen, oder weil ihr eigener Bildungshintergrund dafür nicht reicht.

Das wird in Zukunft die Arbeitsmarktchancen dieser Kinder auf Dauer deutlich verringern, das zeigen bildungsökonomische Studien. Denn der Erfolg am Arbeitsmarkt hängt stark von der Bildung und Ausbildung ab.


Inzwischen ist häufig von einer „verlorenen Generation Corona“ die Rede. Trifft das also zu?

Die Gefahr besteht, deshalb ist es extrem wichtig, dass man alles tut, um entstandene Bildungslücken wieder aufzuholen, und noch mehr. Denn das Bildungsergebnis in Deutschland war ja schon vor Corona nicht befriedigend.

Es müssen massive Anstrengungen unternommen werden, damit verhindert wird, dass sich die ungleichen Chancen weiter verfestigen. Dafür sind konzertierte Programme nötig und man muss jetzt schon anfangen, für die Zukunft zu planen. Dafür braucht es mehr Personal, um die Kinder in Kleingruppenbetreuung fit zu machen. Wir brauchen auch eine bessere Ausbildung der Lehrkräfte für den Umgang mit digitalen Medien.

Wie ist das bei den erwachsenen Erwerbstätigen: Sind sie auch ungleich von der Coronakrise betroffen?

Bei den Frauen hat sich durch Corona die Ungleichheit gegenüber Männern verstärkt. Das liegt an mehreren Faktoren. In dieser Krise ist – im Unterschied zur Finanzkrise – der Dienstleistungssektor besonders betroffen, in dem viele Frauen arbeiten. Sie fallen also verstärkt auf Kurzarbeitergeld zurück und das ist oft niedriger als bei Männern. Denn durch das Ehegattensplitting hat der Ehepartner, der in Steuerklasse 5 ist, netto weniger Geld, als wenn dasselbe Bruttogehalt in Klasse 4 versteuert wird. Das Kurzarbeitergeld bemisst sich aber am Nettogehalt. Zwei Personen, die brutto dasselbe verdienen, erhalten also je nach ihrer Steuerklasse unterschiedlich viel Kurzarbeitergeld. Da vor allem Frauen in der schlechteren Steuerklasse 5 arbeiten, sind sie hier benachteiligt.

Dazu kommt, dass in der Krise vor allem die Mütter zuhause geblieben sind, wenn die Kinder nicht betreut waren. Das liegt daran, dass sie typischerweise eher in Teilzeit sind als Väter und zudem in Partnerschaften eher die schlechter bezahlten Jobs haben. Das wiederum hängt damit zusammen, dass sie in Paarbeziehungen eher die jüngere Person sind, also bislang weniger Zeit hatten, ihre Karriere zu verfolgen, und sich auch deshalb in der Familie eher auf die Kinder konzentrieren. Wenn sie sich nun auch während der Coronapandemie mehr um die Kinder gekümmert haben, fallen sie in ihrer Karriere nochmal ein Stück zurück. Diese Ausfallzeiten werden sich karrieremindernd in der Zukunft auswirken.

Gibt es auch Unterschiede nach Berufen bei den Auswirkungen der Krise?

Je nachdem, in welcher Branche sie tätig sind, haben viele Erwerbstätige Einbußen beim Verdienst. Das fällt bei Alleinerziehenden und Geringverdienenden, die an sich schon wenig haben, natürlich besonders ins Gewicht. Sie haben große Schwierigkeiten, über die Runden zu kommen.

Auch sind einige Gruppen besonders stark betroffen. Dazu zählen die Kulturschaffenden und die Soloselbstständigen, die beispielsweise ihren Laden zumachen mussten, darunter sind wieder viele Frauen. Auch der Gastronomie- und Hotelbereich gehört dazu. Hier sind viele als Saisonkräfte oder in Minijobs tätig, häufig mit Migrationshintergrund. Auch die Minijobber tun sich schwer, da es für sie weder Kurzarbeiter- noch Arbeitslosengeld gibt. Und auch in den Minijobs waren überdurchschnittlich viele Frauen beschäftigt.

Es klingt oft so, als sei die Gesellschaft komplett im Homeoffice. Aber das trifft ja nur für einen Teil der Erwerbstätigen zu, in der Regel die Besserverdienenden. Führt genau das nicht auch zur Benachteiligung eines großen Teils der Beschäftigten, weil damit auch das Ansteckungsrisiko ungleich verteilt ist?

Genau. Nur bestimmte Berufe kann man im Homeoffice ausüben. Das geht weder im Ladenverkauf noch in der Fertigung. Diese Erwerbstätigen sind vom Risiko, sich anzustecken, besonders betroffen. Sie müssen zudem womöglich mit öffentlichen Verkehrsmitteln pendeln oder in Betrieben arbeiten, wo vielleicht die Prävention nicht vorbildlich umgesetzt wird.

Prof. Dr. Monika Schnitzer

Prof. Dr. Monika Schnitzer | © LMU

Es gibt Wirtschaftshilfen gegen Einbußen durch Corona. Wie schätzen Sie diese Maßnahmen ein?

Es ist viel geholfen worden und das hat im Großen und Ganzen gut funktioniert. Aber natürlich sind einige Bereiche besonders hart getroffen, und nicht alle haben im gleichen Umfang Hilfen erhalten wie andere.

Wer zum Beispiel im Gastronomiebereich beschäftigt ist, ist jetzt in Kurzarbeit. Die Kurzarbeiterregelung ist an sich eine sehr gute Maßnahme, um Unternehmen zu unterstützen, Arbeitslosigkeit zu vermeiden und zu verhindern, dass Unternehmen nach Überwindung der Krise die Fachkräfte fehlen. In der Pandemie wurde dieses Instrument erfolgreich eingesetzt, um sehr schnell sehr vielen zu helfen.

Für Unternehmen selbst gab es auch jede Menge Hilfestellungen, zum Teil mit Krediten, zum Teil in Form von direkten Zuschüssen. Ein großes Problem war, dass das viel zu langsam angelaufen ist, auch dabei hätte mehr Digitalisierung geholfen. Das kommt jetzt in die Gänge. Aber es wird wahrscheinlich dennoch so sein, dass es einige Unternehmen gibt, die durch das Raster fallen – für die man mehr tun müsste.

Selbst für die, die Hilfen bekommen haben: Reicht ihnen das denn?

Das hängt tatsächlich davon ab, wie lange die Krise dauert. Die Unternehmen sind in diese Krise im Schnitt immerhin besser kapitalisiert gegangen als in die Finanzkrise. Die Eigenkapitalquote ist höher, gerade auch bei kleinen und mittleren Unternehmen. Aber je länger sich die Krise hinzieht, desto schwieriger wird es für sie. Das gilt insbesondere in den Bereichen Gastronomie, Hotelgewerbe und Einzelhandel.

Gleichzeitig muss man bedenken, inwiefern die Entwicklung auch einen Strukturwandel insgesamt reflektiert. Insbesondere im Einzelhandel sind zum Teil Geschäfte in Schwierigkeiten, die schon vor der Krise nicht besonders gut aufgestellt waren und jetzt auch in der Krise nicht ein Händchen dafür gehabt haben, sich anzupassen. Für die wird es schwierig werden. Aber das Bild ist sehr heterogen. Es gibt auch einige, die sich in der Krise sehr rasch neu orientiert haben, eine Website entwickelt haben und nun online verkaufen beziehungsweise „click and collect“ anbieten.

Wie blicken Sie in die Zukunft: mit Sorge oder Zuversicht?

Was die wirtschaftliche Krise angeht, schaue ich einigermaßen mit Zuversicht in die Zukunft, wenn das Impfen zügig vorangeht. Was mich optimistisch stimmt: Dass wir doch in einigen Bereichen einen deutlichen Weckruf erlebt haben, gerade beim Thema Digitalisierung. Eine ganze Reihe von Unternehmen hat die Krise genutzt, um sich neu aufzustellen. Es wurden neue Konzepte und Geschäftsmodelle erprobt. Das wird ihnen einen Schub geben und die Wirtschaft beflügeln.

Aber insbesondere bei der Bildung, bei den Kindern, habe ich Sorge, dass die negativen Auswirkungen der Pandemie nicht genügend Beachtung finden werden.

Das Thema Bildung stand eben bisher auch nicht an erster Stelle. Wir geben in Deutschland weniger Geld für Bildung im Verhältnis zum BIP aus als die OECD-Staaten im Durchschnitt. Da ist deutlich Luft nach oben. Die entscheidende Frage wird sein, ob die richtigen Prioritäten gesetzt werden.

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