Klimaforscher vermessen Erwärmung der Arktis
18.03.2022
Die Feldkampagne HALO-(AC)3, an der auch Forscherinnen und Forscher der LMU beteiligt sind, untersucht ein beunruhigendes Phänomen.
18.03.2022
Die Feldkampagne HALO-(AC)3, an der auch Forscherinnen und Forscher der LMU beteiligt sind, untersucht ein beunruhigendes Phänomen.
Die großangelegte internationale Forschungskampagne HALO-(AC)3 zur Untersuchung der Änderung von Luftmassen in der Arktis hat begonnen. Drei deutsche Forschungsflugzeuge werden eingesetzt, Wissenschaftler aus Großbritannien und aus Frankreich werden bei gemeinsamen Flügen mit zwei weiteren Flugzeugen ebenfalls beteiligt sein. Dabei liegt besonderes Augenmerk auf nordwärts gerichtete Warmlufteinschübe in die zentrale Arktis sowie Kaltluftausbrüche aus der Arktis in Richtung Süden. Ziel der Messungen ist die Untersuchung der Prozesse, die zum in den letzten Jahrzehnten beobachteten überdurchschnittlichen Temperaturanstieg in der Arktis führen. Dieser ist mit zwei bis drei Grad Celsius in den letzten 50 Jahren viel stärker als die Erwärmung in anderen Regionen der Erde. Dieses Phänomen wird als „arktische Verstärkung“ bezeichnet. Die Temperaturerhöhung wirkt sich nicht nur auf das regionale Klimasystem der Arktis aus. Auch das heimische Wetter in den mittleren Breiten kann durch den Temperaturanstieg in der Arktis beeinflusst werden. Die HALO-(AC)3-Kampagne wird dazu beitragen, die Prozesse hinter den derzeit ablaufenden drastischen Klimaveränderungen in der Arktis besser zu verstehen. Bereits während der ersten Messflüge seit dem 12. März 2022 gab es einen massiven Warmlufteinschub in die Arktis. Bei diesem Ereignis wurden mehrere ungewöhnliche Phänomene wie starker Regen über dem Meereis und massive Wolken, die fast so hoch wie in den Tropen reichen, beobachtet. Mit der heutigen Ankunft weiterer Forschungsflugzeuge starten am 19. März 2022 die geplanten, koordinierten Messflüge, um die Komplexität dieser Ereignisse besser zu verstehen.
Prof. Dr. Manfred Wendisch vom Institut für Meteorologie der Universität Leipzig ist wissenschaftlicher Koordinator der fünfwöchigen Messkampagne, bei der die Änderungen von Luftmassen auf ihrem Weg in und aus der Arktis untersucht werden sollen. Was genau dabei mit den Luftmassen insbesondere in Bezug auf die Wolkenbildung geschieht, soll detailliert beobachtet und mit modernsten Instrumenten vermessen werden. Diese Luftmassenänderungen können nicht durch lokale bodengestützte Messungen charakterisiert werden, denn in der zentralen Arktis gibt es nur wenige meteorologische Messstationen. Deshalb werden im Rahmen von HALO-(AC)3 drei deutsche Messflugzeuge zur Beobachtung der Luftmassen auf ihrem Weg in die Arktis hinein beziehungsweise aus der Arktis heraus eingesetzt. Die große Reichweite der Flugzeuge wird genutzt, um die Veränderungen der Luftmassen mit Hilfe der sogenannten Quasi-Lagrange‘schen Beobachtungsmethode zu charakterisieren. Bei dieser Art von Messung wird die Flugroute an die Zugrichtung der Luftmasse angepasst, um die Veränderungen von Wolken, Feuchtigkeit, Temperatur und vieler weiterer Parameter direkt zu vermessen. Die so gewonnenen Daten sollen zur Abschätzung der Genauigkeit von numerischen Wettervorhersagemodellen genutzt werden, die für die Vorhersage zukünftiger Änderungen des arktischen Klimas notwendig sind. Damit wird die Kampagne helfen, eine wichtige Wissenslücke in der Klimaforschung zu schließen, die auch der Weltklimarat IPCC im zweiten Teil seines aktuellen Sachstandsberichts aufzeigt.
Manfred Wendisch fasst die Zielstellung von HALO-(AC)3 zusammen: „Die Vorhersage der Zukunft des arktischen Klimas bleibt schwierig. Um zur Klärung wesentlicher Unsicherheiten bei der Projektion der zukünftigen Klimaentwicklung in der Arktis beizutragen, wollen wir unter Nutzung einer neuartigen Beobachtungsmethode eine umfangreiche Flugzeugkampagne durchführen.“
„Wolken spielen im arktischen Klima eine ganz wichtige Rolle", sagt Prof. Dr. Bernhard Mayer, Atmosphärenforscher in der Fakultät für Physik der LMU. "Die genaue Zusammensetzung der Wolke, der Anteil von flüssigen Tröpfchen und gefrorenen Eispartikeln, bestimmt entscheidend die Reflexion von Sonnenstrahlung sowie die Lebensdauer der Wolke — Prozesse, die man verstehen muss, um arktisches Klima präzise vorhersagen zu können. Wir sind mit unserem Team auf dem Forschungsflugzeug HALO dabei und haben ein neues Meßverfahren mit an Bord, um genau diese Aufteilung in Flüssigwasser und Eis zu quantifizieren“.
Seit dem 12. März 2022 hat HALO bereits mehrere sehr erfolgreiche Forschungsflüge von Kiruna über die Norwegische und die Grönländische See sowie die Framstraße zum Nordpol durchgeführt. Bei diesen Flügen wurde ein massiver Warmlufteinschub in die Arktis untersucht, bei dem mehrere ungewöhnliche Phänomene wie zum Beispiel starker Regen über dem Meereis beobachtet wurden. Dieser Regen könnte schwerwiegende Auswirkungen auf ein mögliches frühes Abschmelzen des Meereises haben, und das bereits Mitte März. Außerdem wurden massive Wolken registriert, die fast so hoch waren wie in den Tropen. Die Oberflächentemperaturen in der Framstraße waren während der ersten Flüge um mehr als 20 Grad Celsius höher als in den Langzeitaufzeichnungen erwartet. Nicht nur die Intensität des beobachteten Warmlufteinschubs, sondern auch die Dauer erscheint ungewöhnlich. Am Dienstag und Mittwoch dieser Woche wurde ein weiterer Feuchtigkeitstransport in die Arktis beobachtet, der als "Atmospheric River" bezeichnet wird und wahrscheinlich zu Rekordniederschlägen und einer noch stärkeren Erwärmung der gesamten Arktis führen wird. Die Vorhersageprodukte deuten darauf hin, dass das Meereis durch diese massive Erwärmung ernsthaft gestört wird. Die Wissenschaftler vor Ort sind sehr gespannt auf weitere Großereignisse und hoffen, diese in den kommenden Tagen weiter verfolgen zu können. Mit der Ankunft der Polarflugzeuge Polar 5 und Polar 6 am 18. März 2022 auf Spitzbergen können die geplanten, koordinierten Messflüge durchgeführt werden, um die Komplexität dieser Ereignisse besser zu verstehen.
HALO-(AC)3 ist eine gemeinsame Forschungskampagne der Universität Leipzig, des Alfred-Wegener-Instituts Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, des Leibniz-Instituts für Troposphärenforschung, der Max-Planck-Institute für Meteorologie und Chemie sowie der Universitäten Bremen, Hamburg, zu Köln, Mainz und der LMU München sowie internationaler Partner. Mehr als 100 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 12 Ländern werden sich an dem Forschungsprojekt beteiligen.