Die LMU eröffnet am Campus Oberschleißheim das hochmoderne Gebäude für das Institut für Infektionsmedizin und Zoonosen der Tierärztlichen Fakultät. Das Ziel: Zoonosen besser erforschen und Methoden gegen ihre Ausbreitung entwickeln.
Die Liste ist inzwischen lang: Schon fast zwei Jahrzehnte vor der Pandemie ging ein Coronavirus um die Welt, der SARS-Erreger SARS-CoV-1. Die Infektionswellen blieben damals allerdings kleiner, sie waren lange nicht so verheerend wie die mit dem eng verwandten Erreger mit der Laufnummer 2, der zwei Jahre lang die Welt beherrschte. Nach SARS grassierten Schweine- und Vogelgrippe, Ebola, MERS und Zika. All diese Infektionen, die mitunter tödlich verlaufen oder wie im Fall von Zika zu schweren Missbildungen bei Neugeborenen führen können, haben eines gemeinsam: Sie sind ursprünglich von Tieren auf den Menschen übergegangen. Und kaum war die Coronakrise einigermaßen überwunden, machten Affenpocken die Runde. Die Fachwelt ist sich einig: Weitere Seuchenzüge werden folgen, womöglich in schnellerer Folge. Die weltweite Vernetzung wird immer dichter – und damit steigen die Chancen, dass zuvor regional grassierende Erreger um die Welt kommen. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit.
Einer der zentralen Bausteine des expandierenden Forschungszentrums hinter der nördlichen Stadtgrenze Münchens: das neue Gebäude für das Institut für Infektionsmedizin und Zoonosen.
„Die Erreger warten nicht, bis wir bereit sind. Wir müssen möglichst schnell lernen, was sie können“, sagt Professor Reinhard Straubinger, Dekan der Tierärztlichen Fakultät, mit Nachdruck. Darüber hinaus dürfe man Infektionen nicht vergessen, die nicht so rasant und medienwirksam in Erscheinung treten, aber dennoch für die Menschheit eine immense Gefahr darstellen: Die Tuberkulose führt die weltweite Statistik der tödlichen Infektionskrankheiten an, wird durch Bakterien ausgelöst, kann Mensch und Tier infizieren. Und man geht davon aus, dass etwa ein Drittel der Weltbevölkerung mit den Erregern infiziert ist.
Professor Gerd Sutter ist Experte für Zoonosen und Impfstoffforscher. Er hat bereits eine Reihe von Vakzinen entwickelt, unter anderem gegen den Erreger der schweren Lungeninfektion MERS, der von Dromedaren übertragen wird und ebenfalls zu den Coronaviren gehört. Sutters Lehrstuhl für Virologie an der LMU war bislang wie auch Straubingers Lehrstuhl für Bakteriologie und Mykologie auf dem alten Campus der Tierärztlichen Fakultät am Englischen Garten untergebracht. Jetzt sind sie in ein neu errichtetes hochmodernes Gebäude auf dem Campus in Oberschleißheim eingezogen, das nun offiziell eröffnet wird.
Human- und Tiermedizin rücken zusammen
Das neue Gebäude für das Institut für Infektionsmedizin und Zoonosen ist einer der zentralen Bausteine des expandierenden Forschungszentrums hinter der nördlichen Stadtgrenze Münchens. „Das Institut mit seinem Themenspektrum ergänzt in idealer Weise die Forschungsstrategie der Tierärztlichen Fakultät auf dem neuen Campus“, sagt Reinhard Straubinger. „Unsere Aktivitäten im tiermedizinischen Arbeitsfeld sind durch die One-Health-Strategie geprägt“, sagt Straubinger. „Tier- und Menschenwohl kann man als zwei Seiten derselben Medaille betrachten“. Und es zeige sich immer deutlicher, dass dabei „Schnittpunkte zwischen Human- und Veterinärmedizin zunehmend in den Fokus rücken“. Das gelte geradezu paradigmatisch für die Arbeit im neuen Gebäude des Instituts und die Forschung dort an Zoonosen und vektorübertragenen Krankheiten. Straubinger selbst erforscht bakterielle Erreger, die Krankheiten beim Tier auslösen, in ähnlicher Form aber auch den Menschen heimsuchen können.
Höchste Sicherheitsstandards für die Forschung
„Ein tolles Gebäude mit absolut moderner Laborausstattung“, schwärmen Straubinger und Sutter über den Neubau. In den drei oberirdischen Geschossen sind Laboratorien, Büros, Seminarräume und eine Bibliothek untergebracht. Der Bau nach Entwürfen des Stuttgarter Büros bizer Architekten hat inklusive der Untergeschosse eine Nutzfläche von 2.885 Quadratmetern. Die Projektkosten belaufen sich auf 73,42 Millionen Euro.
Ehe die neuesten Forschungsergebnisse aus Virologie und Bakteriologie-Mykologie für die Klinik relevant werden können, benötigen sie eine Validierung am Tiermodell. Diese sehr wichtigen Forschungsschritte werden in Zukunft in der Tierhaltungsanlage des neuen Mikrobiologie-Instituts stattfinden: Dortwerden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler solche etwa in der Impfstoffforschung notwendigen Experimente machen können. Eine solche Kombination aus Speziallabors für den Umgang mit potenziell infektiösem Material und einer Tierhaltung gibt es so nur an etwa einem Dutzend Standorten in ganz Deutschland.
Entsprechend ausgefeilt sind die Sicherheitsstandards in der Anlage, Fachleute nutzen dafür das Label „S3“, die tatsächlich eingebauten Vorkehrungen gehen über die gesetzlich vorgesehenen Standards hinaus. Damit sind Arbeiten mit Erregern wie Coronaviren, den Erregern von SARS, MERS und COVID-19 möglich. Der Sicherheitsbereich in der Mikrobiologie am Campus Oberschleißheim ist technisch so aufgebaut, dass Erreger oder damit verunreinigte Partikel nicht austreten können: Alle Abfälle und Abwässer werden gesammelt und in Autoklaven sterilisiert, die gesamte Abluft wird über mehrere Spezialfilter steril gereinigt.
Nur speziell geschulte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit entsprechender Schutzkleidung dürfen den Sicherheitsbereich betreten. Die Arbeitsbereiche und die Personenschleuse stehen unter Unterdruck, sodass selbst bei einem Störfall nur saubere Luft ein-, womöglich kontaminierte Luft aber nicht austreten kann. Die Sicherheitsvorkehrungen sind redundant und gegen alle denkbaren Störfall-Szenarien ausgelegt. Eine Hochsicherheitsumgebung, die reibungslose Arbeitsabläufe in der Forschung garantiert. Ist die S3-Anlage in den kommenden Jahren etabliert, soll sie auch von anderen Forschungseinrichtungen der LMU außerhalb der Tierärztlichen Fakultät und anderer Einrichtungen genutzt werden können.
„Unserer Aktivitäten im tiermedizinischen Arbeitsfeld sind durch die One-Health-Strategie geprägt“, sagt Reinhard Straubinger. „Tier- und Menschenwohl kann man als zwei Seiten derselben Medaille betrachten“.
Veterinär Straubinger untersucht Erreger, die Tiere, aber auch Menschen befallen: Einige seiner Projekte beispielsweise haben zum Ziel, den „Tod aus der Pfütze“ zu bekämpfen, wie er sagt: Es geht um sogenannte Leptospiren, die durch Mäuse oder Ratten verbreitet werden, in deren Nieren sie überdauern und mit dem Harn ausgeschieden werden. In feuchter Umgebung können sie mitunter Monate überleben. Unter anderen nehmen Hunde, Wiederkäuer, Schweinen die Bakterien bei Kontakt mit den belasteten Gewässern über Schleimhäute oder verletzte Haut auf. „Die Infektion kann milde verlaufen, aber durchaus akute Niereninsuffizienz und tödlich verlaufende Krankheiten auslösen“, warnt Straubinger.
Die Erreger warten nicht, bis wir bereit sind. Wir müssen möglichst schnell lernen, was sie können.
Prof. Dr. med. vet. Reinhard Straubinger, Ph.D., Lehrstuhl für Bakteriologie und Mykologie und Dekan der Tierärztlichen Fakultät
Schon während seiner Zeit in den USA hatte Straubinger die Lyme-Borreliose bei Hunden untersucht und gezeigt, wie schnell sich die Erreger nach dem Zeckenstich in der Haut des Tieres verteilen. Später validierte er sogenannte Spot-ons, Abwehrstoffe, die sich auf die Haut der Hunde aufsprühen lassen. Auch die ebenfalls von Zecken übertragenen Anaplasmen erforscht Straubinger.
Ein komplexer Bau nach Entwürfen des Stuttgarter Büros bizer Architekten mit hochmoderner Laborausstattung. In den drei oberirdischen Geschossen sind Laboratorien, Büros, Seminarräume und eine Bibliothek untergebracht.
Zwar sei das Auftreten einer Zoonose ein Naturereignis, wie es das immer schon gegeben habe, betont Sutter. Doch mehren sich die Anzeichen, dass solche Ausbrüche immer häufiger vorkommen und sich das Viren-Karussell immer schneller dreht. Mit der Globalisierung haben weltweite Vernetzung und Reisetätigkeit dramatisch zugenommen – und damit die Wahrscheinlichkeit, dass Erreger um die Welt gehen.
In den letzten beiden Jahrzehnten haben unsere technischen Fähigkeiten in der Impfstoffforschung gegen virale Erreger rasant zugenommen.
Prof. Dr. Gerd Sutter, Lehrstuhl für Virologie
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Außerdem rücke der Mensch etwa in Afrika mit seinen Siedlungen und Rodungen der Natur immer näher. Damit nähmen die Kontaktmöglichkeiten zwischen Menschen und Tieren wie Schleichkatzen, Flughunden, Vögel- und Affenspezies, die als Wirte zoonotischer Erreger fungieren, deutlich zu – und damit auch die Wahrscheinlichkeit, dass ein Virus überspringt. Und schließlich verschieben sich mit dem Klimawandel Verbreitungsgebiete von Erregern. Längst haben sich auch in einigen Regionen Europas zum Beispiel Insekten aus tropischen Zonen ausgebreitet, die Krankheiten übertragen können, die es in gemäßigten Breiten bis dato nicht gab.
„In den letzten 20 Jahren haben unsere technischen Fähigkeiten in der Impfstoffforschung gegen virale Erreger rasant zugenommen“, sagt Sutter. „Umso wichtiger ist es für uns, dass wir im Hause zuverlässige Möglichkeiten haben, unsere Forschungsergebnisse an Tiermodellen zu testen.“ Sutter arbeitet in Kooperation unter anderem mit der Weltgesundheitsorganisation WHO an einer Plattform, die die Entwicklung von Impfstoffen vereinfachen und beschleunigen soll. Denn bislang dauert es im Normalfall gut ein Jahrzehnt, bis ein Vakzin einsatzreif ist. Bei SARS-CoV-2 war es nur durch die massiven weltweiten Anstrengungen möglich, schneller zum Ziel zu kommen.
Sutter nutzt ein klassisches Impfvirus, ein abgeschwächtes Pockenimpfvirus (MVA), das mit spezifischen, aber harmlosen Bestandteilen des jeweiligen Erregers bestückt wird. Das Konstrukt kann eine Immunantwort beim Impfling anregen, ihm aber nicht gefährlich werden. Das Verfahren hat sein Team schon angewandt, um Impfstoffkandidaten gegen SARS, MERS, Vogelgrippe, Zika, West-Nil-Fieber und das Coronavirus SARS-CoV-2 zu bauen. Ein solch klassisch gebauter Impfstoff ist vermutlich einfacher großtechnisch herzustellen und länger haltbar als die seit der Coronapandemie breit eingesetzten Impfstoffe auf mRNA-Basis.
Das Baukasten-Prinzip soll zudem einzelne Entwicklungsschritte abkürzen und damit helfen, Zeit zu sparen. Denn bis ein Vakzin in klinische Studien am Menschen gehen kann, sind zahlreiche Experimente vonnöten: im Reagenzglas, in Zellkulturen, aber auch im Tiermodell. Letztere müssen die Münchner Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bislang noch mangels geeigneter Labors an Partnerinstitute outsourcen, was zu Verzögerungen führt. Ist die S3-Einheit in Oberschleißheim in Betrieb, sparen sie Zeit. Insgesamt, sagt Sutter, gehe es darum eine Reihe von Impfstoffprojekten voranzutreiben und so auf Ausbrüche potenziell gefährlicher zoonotischer Erreger schneller reagieren zu können – im Wettlauf gegen die Zeit.
Hinweis der Redaktion: Professor Gerd Sutter ist im Oktober 2023 verstorben.
Auf dem Sprung
: Mers, Vogelgrippe, Corona, Affenpocken: Infektionskrankheiten, die von Tieren auf den Menschen übergehen, nehmen zu. Ein Feature aus dem LMU-Forschungsmagazin EINSICHTEN