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Küstenstädte im Klimawandel: Anpassung zwischen Fortschritt und Versäumnis

26.08.2024

Eine neue Studie untersucht den Stand der Klimawandelanpassung in Küstenstädten weltweit und deckt Fortschritte und Lücken auf.

Rotterdam ist ein Beispiel für Anpassungen mittlerer Tiefe. | © IMAGO / Pond5 Images

Küstenstädte spielen eine zentrale Rolle in der globalen Wirtschaft und haben wichtige Funktionen für die Gesellschaft. Gleichzeitig sind sie stark von den Folgen des Klimawandels betroffen. Deshalb nehmen sie auch bei der globalen Klimaanpassung eine Schlüsselrolle ein. Um einen Überblick über den aktuellen Stand der Anpassung zu gewinnen, hat ein internationales Team um den LMU-Geographen Professor Matthias Garschagen nun die wissenschaftlich veröffentlichte Evidenz analysiert.

In ihrer Studie untersuchten die Forschenden, ob und wie die Städte Risikofaktoren – etwa steigende Meeresspiegel, Stürme, Überschwemmungen oder Hitze – sowie die Exposition und Verwundbarkeit von Bevölkerung, Infrastruktur und Ökosystemen bei der Anpassung berücksichtigen.

Anpassungsmaßnahmen weltweit

Zwar zeigen die im Fachmagazin Nature Cities veröffentlichten Ergebnisse, dass das Wissen ungleich verteilt ist: Viele Untersuchungen konzentrieren sich auf Städte des globalen Nordens, während Städte im globalen Süden deutlich weniger erforscht werden. Hier müsse nachgeschärft werden, fordert Garschagen.

Dennoch konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler 199 Städte aus 54 Staaten unterschiedlicher Einkommensgruppen in ihre Studie einbeziehen. Es zeigte sich, dass Anpassungsmaßnahmen vor allem den Anstieg des Meeresspiegels, Überschwemmungen sowie in geringerem Maße auch Sturmfluten, Wirbelstürmen und Erosion betreffen. Dabei sind technische und institutionelle Maßnahmen in wohlhabenderen Regionen wie in Nordamerika und Europa häufiger, während in Afrika und Asien verhaltensbezogene Maßnahmen dominieren, bei denen betroffene Haushalte und Unternehmen auf sich selbst gestellt sind.

Einige Beispiele für tiefgehende Anpassungen fanden die Forschenden in hoch entwickelten Volkswirtschaften und kleinen Inselstaaten. In Singapur, Hongkong und einigen schwedischen Städten etwa wird die bestehende Infrastruktur durch Vorsorge- und Wiederherstellungsmaßnahmen sowie ökosystembasierte Ansätze ergänzt. Auch Fortschritte bei der Planung und neue Gesetze weisen hier auf tiefgreifendere Anpassungen hin.

Beispiele für Anpassungen mittlerer Tiefe, etwa sektorübergreifende Risikomanagementpläne oder institutionelle Anpassungen gibt es beispielsweise in den Niederlanden (Dordrecht, Rotterdam) und Finnland (Helsinki) sowie in asiatischen Ländern mit mittlerem Einkommen. Die einzige im Sample vorhandene Stadt in einem Niedriglohnland mit mitteltiefen Anpassungen ist Maputo (Mosambik), die Anpassungsmaßnahmen in ihre Entwicklungspläne integriert und klare Verantwortlichkeiten für den Umgang mit den Auswirkungen des Klimawandels festgelegt hat.

Insgesamt stellten die Forschenden allerdings fest, dass die Anpassungsmaßnahmen für die Mehrzahl der untersuchten Städte in allen Einkommensgruppen und Regionen in Tiefe, Umfang und Geschwindigkeit unzureichend sind. Zudem fanden sie kaum Anzeichen für eine nachhaltige Verringerung der Risiken durch die Anpassung.

Nachholbedarf auf allen Ebenen

„Unsere Ergebnisse zeigen auf allen Ebenen Nachholbedarf“, erklärt Garschagen. „Es gibt wenig wirklich tiefgreifenden Wandel, bei dem das Risikomanagement fundamental umgedacht wird.“ Dies bestätigt den Eindruck aus an der LMU laufenden empirischen Forschungsprojekten in Küstenstädten. Häufig versuchten Städte, das Katastrophenmanagement für zukünftige Risiken auf der Basis von Erfahrungen der Vergangenheit zu optimieren, ohne grundlegend zu hinterfragen, ob diese Ansätze auch später noch tragfähig sind. Ein Beispiel sei Ho Chi Minh City, das stark in jetzige Hochwassergebiete hineinwachse und wo Infrastruktur gebaut werde, die in 60 bis 70 Jahren kommenden Katastrophen ausgesetzt sein werde. „Das ist hoch risikobehaftet“, betont der Geograph.

Zudem haben die Umorganisierung von Küstenschutz und der Umbau von Städten lange Vorlaufzeiten, bis die entsprechenden Prozesse abgeschlossen und neue Technologien implementiert sind. „In Anbetracht der rapiden Wandelprozesse passiert das momentan zu langsam“, sagt Garschagen. Es werde viel diskutiert, aber nur wenig schnell umgesetzt.

Risiken werden selten quantifiziert

Außerdem werden die Grundlagen für die Planung der Anpassung nur selten quantifiziert. Zukünftige Naturgefahren wie Hochwasser und Hitze werden von den Städten zwar in den Blick genommen, aber sozioökonomische Faktoren wie soziale Verwundbarkeit und räumliche und gesellschaftliche Veränderungen werden selten berücksichtigt. „Und das ist wichtig“, sagt Garschagen, „weil das Lagos oder Jakarta von heute nicht dasselbe ist wie das in 20 Jahren. Die Wandelprozesse etwa in puncto Bevölkerung, Wachstum oder Infrastruktur sind so schnell und so tiefgreifend, dass wir das eigentlich mit einrechnen müssen. Da gibt es sicherlich große Forschungslücken und wir brauchen bessere Szenarien und Modellierungsverfahren. Eine wichtige Frage ist auch, ab wann es sinnvoller ist, Küstenschutzmaßnahmen aufzugeben und stattdessen Umsiedlungen in Betracht zu ziehen.“ Auch hieran wird an Garschagens Lehrstuhl geforscht, beispielsweise in Manila.

Trotz der bestehenden Herausforderungen gibt es positive Entwicklungen, wie die Studie zeigt: Weltweit werden in vielen Städten Anpassungsmaßnahmen getestet und implementiert und neue Verfahren erdacht. Mit ihrer Studie wollen die Forschenden dazu beitragen, aus den bisherigen Ergebnissen zu lernen und Lücken und Schwächen zu identifizieren, um die Anpassung an aktuelle und zukünftige Klimaauswirkungen zu verbessern.

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