Kunst am CAS: Do Your Own Research Center
23.06.2023
Der Künstler Niko Abramidis & NE verwandelt die Räume des Center for Advanced Studies in das Hauptquartier einer mysteriösen Spezies.
23.06.2023
Der Künstler Niko Abramidis & NE verwandelt die Räume des Center for Advanced Studies in das Hauptquartier einer mysteriösen Spezies.
Wer die Räume des Center for Advanced Studies (CAS) betritt, findet sich neuerdings in der Zentrale einer merkwürdigen Spezies wieder: Der Münchner Künstler Niko Abramidis & NE hat das Haus in der Seestraße nahe dem Englischen Garten in ein Hauptquartier der Echsenmenschen verwandelt, „ein Zentrum der geheimen Forschung, Erkenntnisgewinnung und Wissensgenerierung“, wie der Künstler selbst es beschreibt.
Das CAS, das an der LMU ein Forum für den interdisziplinären Austausch und verschiedene Formen der kooperativen Forschung bietet, begrüßt schon an seinem Zaun mit einem neuen Schild: „Do Your Own Research Center“ (DYOR) steht auf einem handgeschriebenen Plakat.
Das DYOR diene „als Think Tank dazu, durch archaische Codes verschlüsselte wissenschaftliche Erkenntnisse zu eröffnen und substantielle Einblicke in die Zukunft zu gewähren“, schreibt das CAS auf seiner Homepage über die künstlerische Umwidmung seiner Räume.
Wie Ideologien entstehen und wie wir versuchen, unsere Welt zu entschlüsseln, ist eine Art Leitmotiv der Ausstellung.Annette Meyer, Geschäftsführerin des CAS
„Wie Ideologien entstehen und wie wir versuchen, unsere Welt zu entschlüsseln, ist eine Art Leitmotiv der Ausstellung“, sagt Dr. Annette Meyer, Geschäftsführerin des CAS, bei einer Führung durch die Räume. Niko Abramidis, der an der Akademie der Bildenden Künste bei Julian Rosefeldt und Markus Oehlen und an der UdK in Berlin bei Byung-Chul Han studierte, ist vielfältig wissenschaftlich interessiert: Er war schon mehrfach Gast am CAS und nimmt regelmäßig an Veranstaltungen und wissenschaftlichen Konferenzen teil. In seiner eigenen Forschungsgruppe New World Network, der Künstlerinnen und Künstler, aber auch Wissenschaftlerinnen, Blockchainentwickler und Personen aus dem unternehmerischen Umfeld angehören, befasst er sich unter anderem mit Fragen rund um Künstliche Intelligenz und selbstlernende Technologien.
„Abramidis nimmt wissenschaftliche Methoden sehr ernst. Er hinterfragt sie aber auch und führt uns vor Augen, wie unzureichend unsere Zugriffe bisweilen sind. Er ridikülisiert dabei natürlich manches“, sagt Annette Meyer. So dreht sich in Abramidis‘ Arbeiten vieles um Zeichensysteme: An den Wänden des CAS beziehungsweise DYOR finden sich Artefakte der ominösen Echsenmenschen, von denen unklar ist, ob sie aus der Vergangenheit oder aus der Zukunft stammen. „In jedem Fall entsteht der Eindruck, dass die Spezies diese von ihr geschaffenen oder auf sie gekommenen Objekte sammelt und zu dekodieren versucht“, so Meyer.
Das Spiel aus Zeichen, Symbolen und Chiffren findet sich in vielen Arbeiten des 1987 geborenen Künstlers. Für das CAS hat Abramidis Gemälde und Skulpturen geschaffen, die mitunter zugleich archaisch und hochmodern anmuten. Im Parterre des Hauses steht ein stählerner Thron, in dessen Innerem moderne Technik verbaut ist. Mit seiner in die Armlehne eingelassenen Tastatur und einer mit der Hand steuerbaren Kugel erinnert er an die Sessel in den Schaltzentralen von James-Bond-Bösewichten. Gelbe Brillen, mit denen die Echsenmenschen die Artefakte betrachten, um womöglich manches besser entziffern oder bestimmte Rückschlüsse ziehen zu können, liegen herum. Ebenso wie virtuelles Geld, das eingesetzt werden kann, um NTFs – also digitale Anteile an den Kunstwerken – zu erwerben.
Der große Tisch im Konferenzraum des CAS verweist auf eine ungewöhnliche Zusammenkunft: Die bedruckte Tischdecke zeugt von einer Art verspielter Aufsichtsratssitzung, bei der auf digitalen Gadgets Katzenbilder betrachtet, viele Kekse gegessen und E-Zigaretten geraucht wurden. Bücher von experimentellen Science-Fiction-Autoren wie J.G. Ballard, Tom McCarthy oder Philipp K. Dick stehen in den Regalen.
In Stahlblech geschweißte Reliefs, die an Höhlenmalereien erinnern, und Arbeiten in Öl zieren die Wände im Parterre und im ersten Stock des CAS. Fast alle Gemälde in der Ausstellung wurden teilweise mit KI erstellt: Verschiedene Elemente der Bilder wurden mit der bekannten Open-Source-Software Stable Diffusion generiert, die an der LMU entwickelt wurde und die Niko Abramidis mit verschiedenen Buzzwords fütterte, um den Deep Learning Text-zu-Bild-Generator bestimmte Motive malen zu lassen.
Mit Professor Björn Ommer, der den Stable Diffusion zugrunde liegenden Algorithmus entwickelte, habe er kürzlich ein inspirierendes Gespräch geführt, erzählt Niko Abramidis. „Aus unterschiedlichen Perspektiven haben wir uns beide mit Fragen nach Transparenz und Provenienz befasst – wie kann man in Zukunft Echtheit bestimmen, von Bildern oder Informationen? Es muss Transparenz geben in Bezug auf Entstehungsprozesse und Herkunft. Bisher passiert noch vieles in einer Blackbox. Erst wenn sich das ändert, entsteht Vertrauen.“
Die einmal pro Semester stattfindenden Ausstellungen am CAS durch verschiedene Künstlerinnen und Künstler werden stets von wissenschaftlichen Veranstaltungen flankiert. So hielt etwa Professorin Frauke Kreuter, Inhaberin des Lehrstuhls für Statistik und Data Science in den Sozial- und Humanwissenschaften an der LMU, bei der Vernissage des DYOR eine Einführung in Abramidis‘ Werke. In den jeweiligen Katalogen zu den Ausstellungen schreiben Wissenschaftlerinnen oder Wissenschaftler aus unterschiedlichen Forschungsbereichen Texte zu den künstlerischen Arbeiten.
„Meist gibt es auch während des Semesters noch eine Veranstaltung mit der Künstlerin oder dem Künstler, beispielsweise eine Podiumsdiskussion mit Forschenden, die ein Thema aus einer anderen Perspektive beleuchten“, sagt Annette Meyer.
Niko Abramidis trifft am 29. Juni 2023 auf den mutmaßlichen Lieblingsautor der im CAS konferierenden Echsenmenschen, Tom McCarthy. Der Schriftsteller und Künstler, der bereits zweimal für den Booker Prize nominiert wurde, steht seinerseits als Generalsekretär der International Necronautical Society einem semi-fiktiven Avantgarde-Netzwerk vor. Moderiert wird die Diskussion über Mythos und literarische Fiktion von Professorin Claudia Olk, Lehrstuhlinhaberin für Anglistik an der LMU.
Seit mittlerweile 15 Jahren lädt das CAS Künstlerinnen und Künstler ein, in den Räumen in der Seestraße oder in einer Dependance in der Friedrichstraße ihre Werke auszustellen – und ist so nicht nur für das Publikum, sondern auch für etablierte oder aufstrebende Künstlerinnen und Künstler zu einer attraktiven Adresse geworden. Die Anzahl der Bewerberinnen und Bewerber, die ihre Kunst im CAS präsentieren möchten, ist groß.
Bei der Auswahl legt das Kuratorium Wert darauf, dass Kunst und Wissenschaft im Dialog stehen: Häufig sind die Künstlerinnen und Künstler, so wie auch Niko Abramidis, in interdisziplinäre Gruppen eingebunden oder setzen sich mit wissenschaftlichen Fragen und Zugängen auseinander. In der Vergangenheit gehörte etwa Ugo Dossi zu den Ausstellenden, der sich als Teil der Stardust-Gruppe mit Sternenstaub beschäftigte; im nächsten Semester stellt mit Ena Oppenheimer eine Künstlerin aus, die sich für physikalische Phänomene und Fragen der Wahrnehmung interessiert. In Zusammenarbeit mit der Pinakothek der Moderne wurden auch schon zwei Werke von Joseph Beuys am CAS präsentiert.
Kunst richtet einen Blick auf die Welt, der die Komplexität des Gegenstandes nicht einzuschränken und damit in den Griff zu bekommen versucht. Auch methodisch können künstlerische Zugänge Inspiration bieten, wenn es nämlich darum geht, ausgetretene Pfade zu verlassen und neue zu suchen.Annette Meyer
Die Kunst am CAS sei „ein komplementärer Baustein zu den jenseits der Fächergrenzen arbeitenden Gruppen, die wir hier am Haus schmieden“, sagt Annette Meyer. Kunst biete eine Möglichkeit, wissenschaftlichen Betrachtungen, die an bestimmte Praktiken und Codices gebunden seien, andere, neue Perspektiven hinzuzufügen und so den Diskurs zu öffnen. „Kunst richtet einen Blick auf die Welt, der die Komplexität des Gegenstandes nicht einzuschränken und damit in den Griff zu bekommen versucht. Auch methodisch können künstlerische Zugänge Inspiration bieten, wenn es nämlich darum geht, ausgetretene Pfade zu verlassen und neue zu suchen.“ Mit Sicherheit tragen die am CAS noch bis zum 4. August zu sehenden Artefakte der Echsenmenschen ihren Teil dazu bei.
Niko Abramidis & NE: Zur Webseite des Künstlers
Kunst am CAS: Aktuelle und vergangene Ausstellungen