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„Luft nach oben“

17.06.2024

Professor Markus Gloe und Ahmmad Haase vom Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaft erzählen im Interview über ihre Arbeit am Erasmus+-Projekt PROGendering, das Vielfalt im Hochschulbereich fördert.

Männlich, weiblich, queer: Die Gesellschaft ist divers, Benachteiligungen sind aber noch immer Alltag. Das europaweite Erasmus+-Projekt PROGendering will für die Diversität im Hochschulbereich sensibilisieren. Professor Markus Gloe und Ahmmad Haase vom Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaft präsentieren das Projekt im Rahmen der Diversity-Kampagne Belonging@LMU. Ihr Beitrag: Sie stärken Studierende in Workshops und Seminaren für einen sensiblen Umgang mit der Vielfalt der Geschlechter.

Professor Markus Gloe und Ahmaad Haase

Professor Markus Gloe und Ahmaad Haase

arbeiten im Verbund mit fünf weiteren europäischen Hochschulen am Projekt ProGendering.

Die Hochschulen haben in den vergangenen Jahren viel für die Gleichstellung unternommen. Woran hapert es noch?

Markus Gloe: Wir machen tatsächlich gute Fortschritte. Trotzdem stehen wir noch vor einigen strukturellen, kulturellen und individuellen Herausforderungen. Die sichtbarste Form der Ungleichheit ist noch immer der Mangel an Frauen in höheren akademischen Positionen und Führungsrollen. Daneben existieren weiterhin geschlechterspezifische Barrieren und Diskriminierungen. Frauen begegnen oft stereotypen Erwartungen bezüglich ihrer akademischen Interessen und Fähigkeiten, Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans*-, Inter*- und Queer+-Personen (LSBT*I*Q+) fehlt es noch an Sichtbarkeit. Bei Unterstützungsangeboten wurde zwar viel getan, etwa mit Mentoringprogrammen und Netzwerken, aber es ist durchaus noch Luft nach oben.

Ahmmad Haase: Bei den Habilitierenden besteht zwar eine Parität, aber auf der nächsthöheren Ebene sieht es ganz anders aus. Es gibt viele hochqualifizierte, habilitierte Frauen, die aber leider den Sprung zur Professur nicht schaffen.

Und das trotz der Genderstudies, die ja teils schon Jahrzehnte andauern?

Markus Gloe: Gender- und Queerstudies leisten eine methodische Bereicherung, hinterfragen traditionelle Annahmen, bieten neue Ansätze zur Analyse von Machtstrukturen, führen zu Sensibilisierung und wollen Impulse geben. Aber es wäre ein Trugschluss, zu glauben, dass sie die Strukturen an der Universität verändern. Zudem stoßen Gender- und Queerstudies häufig auf Skepsis. Manche Länder versuchen sogar, sie zurückzuentwickeln.

Ahmmad Haase: Aktuelle Studien zeigen, dass Frauen und queere Menschen es oft noch schwer an Universitäten haben und struktureller Benachteiligung und Diskriminierungen ausgesetzt sind.

Wie steht die LMU im europäischen Vergleich da?

Ahmmad Haase: Wir haben mit dem Queer-Referat, das aus der Studierendenschaft heraus geschaffen wurde, recht gute Strukturen an der LMU. Darüber hinaus arbeiten hier Gleichstellungs- und Frauenbeauftragte auf verschiedenen universitären Ebenen; Gleichstellungspläne werden regelmäßig aktualisiert. In Italien und Griechenland ist das ähnlich. Anders etwa in Polen, wo zeitweise LSBT*I*Q+-freie Zonen ausgerufen wurden. In diesem Land sehen sich Forschende in diesem Feld besonderen Herausforderungen ausgesetzt.

„Sprache ist lebendig“

Gendern ist ein großes gesellschaftliches Streitthema. Was halten Sie Kritikern und Kritikerinnen entgegen?

Markus Gloe: Ich würde sagen: Sprache ist ein lebendiges System, das sich permanent weiterentwickelt, sozialen und kulturellen Veränderungen anpasst und zugleich die Wahrnehmung der Welt beeinflusst. Sie dient auch dazu, alle Geschlechter in der Kommunikation sichtbar zu machen, ihre Bedeutung und Präsenz anzuerkennen, stereotype Vorstellungen aufzubrechen und so zur Gleichstellung beizutragen. Also sollte sie die Realitäten in einer diversifizierten Gesellschaft widerspiegeln.

Reflexionen über genderinklusive Sprache sind in der Projektbeschreibung von PROGendering nicht enthalten. Warum?

Ahmmad Haase: Im Projekt ist genderinklusive Sprache Voraussetzung, nicht Ziel. Alle, die mitmachen, sind für die Problematik sensibilisiert. Allerdings stellt sich das Problem unter anderem im Deutschen. Das hat linguistische Gründe. Auf EU-Ebene kommunizieren wir hauptsächlich auf Englisch, was eine recht genderneutrale Sprache ist. Dennoch soll das Projekt der Verwendung genderinklusiver Sprache Sichtbarkeit verleihen und stärken.

Sensibilisierung schon ab der Grundschule

Wie sieht die Arbeit am Projekt konkret aus?

Ahmmad Haase: Das Projekt startete mit der Durchführung von Umfragen, der Erstellung nationaler Reports und der Analyse von Gleichstellungsplänen. Wichtig ist im nächsten Schritt, Studierende explizit in die Konzeption und Erstellung von Gleichstellungsplänen einzubeziehen. Gleichstellung bezieht sich ja nicht nur auf den Lehrkörper, sondern auf alle, die an der Uni tätig sind, auch auf Verwaltung und Studierendenschaft. In der Lehrkräftebildung sensibilisieren wir Studierende im Umgang mit Geschlechterinklusivität. So bilden wir Multiplikatorinnen und Multiplikatoren aus und stärken die künftigen Lehrkräfte, damit sie Genderinklusivität in den Schulen fördern können.

Markus Gloe: Das ist im Projektverbund unser Schwerpunkt: Wir wollen die Studierenden darauf vorbereiten, wie man die Themen Geschlechtervielfalt, Gleichstellung und Queerness schon ab der Grundschule angehen kann.

Ahmmad Haase: Wichtig ist für unser Projekt auch die Frage, wie studierende Eltern Kindererziehung und Studium vereinbaren können, nicht nur im Lehramt. Die Abbrecherquote von Müttern, die anfangen zu studieren und dann merken, dass sie Kindererziehung und Studium nicht unter einen Hut kriegen, ist leider hoch. Vor allem verfolgen wir einen intersektionalen Ansatz und wollen auf Mehrfachdiskriminierung aufmerksam machen. Das bedeutet auch, zum Beispiel Frauen mit körperlichen Beeinträchtigungen und mögliche Barrieren in den Fokus zu rücken. Es gibt Anlaufstellen an der LMU wie „Studieren mit Kind“ oder die Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an den Instituten, deren Angebote oft noch zu wenig bekannt sind und deren Sichtbarkeit wir stärken wollen.

Vielfalt ist Trumpf

Worauf sind Sie persönlich bei der Projektarbeit besonders gespannt?

Ahmmad Haase: Darauf, wie die Studierenden das Wissen in queerer Bildung und Genderfragen annehmen und umsetzen. Denn in der schulischen Praxis werden diese Perspektiven dringend benötigt.

Markus Gloe: Für mich ist die spannende Herausforderung die Frage, ob wir das Thema Gendern von der Mann-Frau-Gegenüberstellung hin zu einer Vielfalt der Geschlechter weiterentwickeln können. Und: Gelingt uns diese Erweiterung auch in einem europäischen Konsortium?

Wenn Sie sich in die Zukunft träumen: Was möchten Sie in zehn Jahren erreicht haben?

Markus Gloe: Unser Traum wäre, dass Projekte wie PROGendering dann unnötig sind, eine Sensibilität und Gleichstellung an Hochschulen und in der Arbeitswelt erreicht wird und wir auch in der Sprache transportieren, dass wir in einer diversen Welt leben.

Was kann man an der Uni schon heute für diese Entwicklung tun?

Markus Gloe: Das fängt mit kleinen Schritten an. Zum Beispiel damit, zu Beginn eines Seminars eine Liste rumgehen zu lassen und die Teilnehmenden zu bitten, ihre Pronomen einzutragen.

Professor Markus Gloe ist Direktor des Geschwister-Scholl-Instituts. Zu seinen Aufgabengebieten gehören die politische Bildung und Didaktik der Sozialkunde/Politik und Gesellschaft.

Ahmmad Haase absolviert gerade das erste Staatsexamen für das Lehramt an Mittelschulen und ist Mitarbeiter an der Lehreinheit für politische Bildung und Didaktik der Sozialkunde/Politik und Gesellschaft.

Weitere Informationen zum Projekt finden Sie auf der Website von ProGendering.

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