Mal vorteilhaft, mal schädlich: die Doppelrolle des Enzyms Chameau
19.09.2023
Ein Team um den Biologen Axel Imhof hat aufgedeckt, warum ein und dasselbe Enzym Chameau für Fruchtfliegen überlebenswichtig ist, obwohl es unter bestimmten Bedingungen ihr Leben verkürzen kann.
Alles hat seinen Preis – unter diesem Motto könnte die Arbeit des Enzyms Chameau beschrieben werden. Wie Forscher um Axel Imhof vom Biomedizinischen Centrum der LMU (BMC) an der Fruchtfliege Drosophila melanogaster gezeigt haben, ist das Enzym überlebenswichtig, um Mangelzeiten zu überstehen. Allerdings wird das mit einem Nachteil erkauft: Leben die Fliegen im Überfluss, hat Chameau einen lebensverkürzenden Effekt.
Chameau ist ein Enzym, das Proteine chemisch modifiziert und auf diese Weise auch in die Genregulation eingreift. Bereits in früheren Studien hatte Imhof mit seinem Team entdeckt, dass gut ernährte Fruchtfliegen länger leben, wenn ihr Chameau-Level durch Mutationen erniedrigt ist. Ähnliches berichteten andere Forschende auch von Mäusen, wenn die Produktion eines zu Chameau analogen Proteins vermindert wird.
Eigentlich sollte für die Evolution ein längeres fertiles Leben von Vorteil und deswegen von ihr begünstigt sein, weil dann mehr Nachkommen produziert werden. Warum also kommt Chameau trotzdem in potenziell lebensverkürzenden Mengen vor? Um diese Frage zu klären, untersuchten die Wissenschaftler, welche Mechanismen durch das Enzym beeinflusst werden. „Wenn gar kein Chameau vorhanden ist, kommt es zu letalen Entwicklungsdefekten“, sagt Imhof. „Aber wir konnten die Enzym-Produktion bis auf etwa ein Fünftel der normalen Werte abschwächen, so dass die Fliegen gerade noch überleben und haben untersucht, welche Effekte das hat.“
Wenig Chameau macht Fliegen dünner
Ihre Ergebnisse zeigen, dass Fliegen mit einem niedrigen Chameau-Level schlechter mit Hunger umgehen können. „Wenn Fliegen hungern, bauen sie Speichermoleküle wie Glykogen und Fette ab. Mit einem Defekt des Enzyms Chameau funktioniert das nicht mehr so gut“, sagt Imhof. „Fliegen mit normalen Enzym-Leveln überlebten ohne Nahrung bis zu 40 Prozent länger. In der Natur bietet das einen Vorteil, weil sie in dieser Zeit herumfliegen und nach Nahrungsquellen suchen könnten.“
Außerdem bemerkten die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, dass Fliegen mit sehr niedrigen Chameau-Spiegeln auch bei guter Ernährung deutlich dünner waren als die Wildtypen. „Das heißt, diese Fliegen haben nicht nur ein Problem mit dem Verbrauch, sondern auch mit dem Speichern von Energie“, erläutert Imhof. Umfangreiche molekulare Analysen zeigten, dass Defekte von Chameau dazu führen, dass die für die Energiespeicherung und den Energieverbrauch erforderlichen Gene und Proteine nicht richtig reguliert werden. Dass das zu Chameau analoge Protein in Mäusen ebenfalls einen Einfluss auf die Alterung hat, spricht für Imhof dafür, dass es auch in Säugetieren ähnliche Mechanismen gibt. Um dies näher zu untersuchen, wären allerdings weitere Studien erforderlich.
Anpassung an wechselnde Umweltbedingungen
Dass magere Fliegen unter normalen Bedingungen länger leben, gegen Hunger aber empfindlicher sind, sind letztlich zwei Seiten derselben Medaille. Solange ausreichend Nährstoffe zur Verfügung stehen, ähneln die Effekte des Chameau-Mangels denen einer sogenannten Kalorienrestriktion: „Studien an verschiedenen Organismen haben gezeigt, dass eine Reduzierung der Kalorienzufuhr zu einer längeren Lebensspanne führen kann“, sagt Imhof. Wenn die Bedingungen allerdings ungünstig werden, können die Fliegen nicht mehr angemessen reagieren.
Aus ihren Ergebnissen schließen die Forschenden, dass Chameau wichtig ist, um mit wechselnden Umweltbedingungen zurechtzukommen. „Da diese Fähigkeit evolutionär gesehen vermutlich wertvoller ist als ein langes Leben, ist das Enzym trotz seiner Nachteile erhalten geblieben“, sagt Imhof.