Mentoring: Frühzeitig die entscheidenden Weichen stellen
08.02.2022
Mentoring-Programme an der LMU fördern die wissenschaftliche Karriere insbesondere von Frauen – mit Rat, Vernetzung und finanzieller Unterstützung.
08.02.2022
Mentoring-Programme an der LMU fördern die wissenschaftliche Karriere insbesondere von Frauen – mit Rat, Vernetzung und finanzieller Unterstützung.
Als „allesamt High Potentials” schätzt Professorin Beate Gsell die 23 Mentees an der Juristischen Fakultät der LMU ein. „Solche jungen Frauen am Beginn ihrer wissenschaftlichen Karriere zu begleiten, macht einfach Spaß.” Das Amt der Mentorin übt die Inhaberin des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Zivilverfahrensrecht, Europäisches Privat- und Verfahrensrecht sowie Richterin am Oberlandesgericht München entsprechend „sehr, sehr gerne” aus. „Weil ich zu einem Zeitpunkt Ratschläge geben kann, an dem sich noch Weichen stellen lassen.”
Hervorgegangen aus dem zentralen Programm LMU Mentoring für Nachwuchsforscherinnen der Exzellenzinitiative, wird das Programm in der neuen Förderphase seit 2017 an den einzelnen Fakultäten weitergeführt. Bei erhöhtem Budget steht es seither grundsätzlich auch männlichen Mentoren und Mentees offen. Ein Hauptziel vieler Fakultäten ist es aber weiterhin, die wissenschaftliche Karriere gerade von Frauen zu fördern und damit langfristig den Anteil von Professorinnen zu erhöhen.
An der Juristischen Fakultät setze das Mentoring vor allem auf die Vernetzung der Mentees, so Beate Gsell, etwa bei gemeinsamen Mittagessen oder Treffen mit erfolgreichen Wissenschaftlerinnen, die von ihrer persönlichen Karriere, auch etwaigen Widrigkeiten und Hindernissen, erzählen. „Zuletzt konnten wir die ehemalige Vizepräsidentin des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, Professorin Angelika Nußberger, sowie die Präsidentin der renommierten Bucerius Law School, Professorin Katharina Boele-Woelki, für Zoom-Gespräche gewinnen”, so Beate Gsell. „Solche weiblichen Rollenvorbilder sind dringend nötig und für die jungen Juristinnen extrem ermutigend.” Denn die Rechtswissenschaft sei noch immer „stark männerdominiert”: „Im gesamten Studium haben die jungen Frauen oft nur ein oder zwei Professorinnen erlebt.”
Bei einem jährlichen Seminar in Frauenchiemsee mit Lehr- oder Coaching-Programm zu einem Soft-Skill-Thema haben die Mentees „auch Zeit, sich ausführlich auszutauschen”. Denn Zeit sei bei den meisten Frauen knapp. „Bei der Kinderbetreuung tragen sie, das ist empirisch erwiesen, noch immer die Hauptlast.”
Dass aktuelle Forschungsideen oft eher informell ausgetauscht würden und persönliche sowie thematische Vernetzung etwa am Rande von internationalen Tagungen oder Abendvorträgen stattfinde, verschaffe Frauen mit kleinen Kindern einen strukturellen Nachteil, so Gsell. „Dann gilt es, gegenzusteuern: zum Beispiel indem Nachwuchswissenschaftlerinnen früh selbst Tagungen und Workshops veranstalten.”
Zudem rät sie den jungen Kolleginnen, ihre Zeit zielgerichtet zu investieren: „Dazu gehört, zu einer undankbaren Aufgabe auch mal Nein zu sagen – und genau abzuwägen, wozu man publiziert.”
Eine ehemalige Mentee der Juristischen Fakultät ist Professorin Christine Osterloh-Konrad. Heute Inhaberin des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht, Steuerrecht sowie Rechtsphilosophie an der Universität Tübingen, wurde sie während ihrer Habilitation an der LMU von Beate Gsells Vorgängerin Professorin Petra Wittig begleitet. „Besonders hilfreich fand ich eine Reihe von Soft-Skill-Trainings. Darin ging es etwa um die Körpersprache, den Einsatz der Stimme, aber auch geschlechterspezifische Kommunikation.”
Thema eines besonders eindrücklichen Seminars war, wie Frauen mit männlich geprägten Kommunikationsumgebungen umgehen. „Typisch männlich ist demnach etwa, erst mal unterschwellig den Rang zu klären: Wer ist hier das Alphatier, wer weiter unten in der Rangordnung? Dieses Bedürfnis haben Frauen eher nicht – was dazu führt, dass bestimmte Gesprächssituationen für uns irritierend sind.”
Das Seminar sei für Osterloh-Konrad „ein Aha-Erlebnis” gewesen. „Man muss sich die männlichen Muster ja gar nicht selbst aneignen”, so Osterloh-Konrad, „kann sich mit dem entsprechenden Wissen aber dazu positionieren.” Ob Rangklärung, das Zuwortmelden am Ende eines Vortrags oder das exklusive Adressieren des „Alphatiers” in der Runde: „Ich bin für die Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen Kommunikationsweisen einfach wachsamer geworden, was mir in vielerlei Hinsicht geholfen hat.”
Am Mentoring schätzte die Juristin daneben insbesondere die Vernetzung mit den anderen Mentees an der Fakultät und die „sehr offene und ehrliche Feedback-Kultur” – untereinander, aber auch mit der Mentorin. „Man hatte diesen geschützten Bereich, in dem man sich austauschen und unterstützen konnte.”
Auf Austausch mit den anderen 14 Mentees der Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaften freut sich auch die Amerikanistin Johanna Panagiotou. Mit ihrer Dissertation über transnationale Frauenbiographien im Kalten Krieg steckt sie derzeit „in der Schreibfieber-Phase” – und weiß noch nicht, wie es danach weitergeht. „Stellen für Postdocs sind rar, und mit meinen drei Kindern bin ich örtlich gebunden.” In dieser Situation ist die Amerikanistin froh, dass ihr auf der Zielgeraden zur Abgabe seit Kurzem Professorin Annette Keck als Mentorin zur Seite steht. „Allein das Gefühl, dass eine erfahrene Wissenschaftlerin in Karrierefragen ein offenes Ohr für mich hat, gibt Ansporn”, sagt Panagiotou.
Annette Keck, Inhaberin des Lehrstuhls für Neuere deutsche Literatur, Kulturtheorie und Gender Studies, ist seit 2008 Mentorin. „An der Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaften haben wir unter den Studierenden einen Frauen-Anteil von 80 Prozent. Bei den Professuren liegt er nur bei 20.” Mit gezielter Förderung für Nachwuchswissenschaftlerinnen soll gegengesteuert werden. Neben dem „Karrierefonds” der Fakultät, bei dem sich Forschende beider Geschlechter um finanzielle Förderung bewerben können, gibt es das Mentoring-Programm speziell für Frauen. „Es unterstützt Postdoktorandinnen, Habilitandinnen und Privatdozentinnen an kritischen Punkten ihrer Laufbahn”, so Keck.
Seit Kurzem nimmt man auch Doktorandinnen auf, die sich wie Johanna Panagiotou im letzten Jahr ihrer Dissertation befinden, „um ihren Übergang in die Wissenschaftskarriere zu begleiten”. Die Auswahl richtet sich nach der Exzellenz der Forschung: „Es zählen Noten, aber zum Beispiel auch das Netzwerk, das jemand vielleicht schon aufgebaut hat.” Forscherinnen mit kleinen Kindern sowie solche ohne akademischen familiären Hintergrund werden besonders berücksichtigt. Bewerberinnen müssen Motivationsschreiben, Lebenslauf, Publikationsverzeichnis und eine Empfehlung vorlegen und sich in einem ausführlichen Bewerbungsgespräch vorstellen.
Die Mentees erwarte ein „individuell zugeschnittenes Programm”, so Annette Keck – mit Rat, aber auch finanzieller Förderung. Mit Geldern für Forschungsaufenthalte im Ausland wird die Internationalisierung gefördert; Mütter unterstützt das Programm etwa mit Stellen für wissenschaftliche Hilfskräfte sowie Kinderbetreuungs-Stipendien, um den Besuch von Abendveranstaltungen oder Tagungen möglich zu machen. Themen, die im Mentoring aufkommen, sind oft: Wie lege ich die Habilitation an? Lohnt sich eine bestimmte Tagung?
Fakultätsrat, Berufungsverfahren: Verwaltungsstrukturen zu kennen, ist für die wissenschaftliche Karriere wichtiger, als viele denken.Annette Keck
Gerade Mentees mit nicht-universitärem Familienhintergrund will Keck dabei mit der Institution Universität vertraut machen. „Fakultätsrat, Berufungsverfahren: Verwaltungsstrukturen zu kennen, ist für die wissenschaftliche Karriere wichtiger, als viele denken.” Ein Muster, das die Mentorin immer wieder beobachtet: „Wissenschaftlerinnen begreifen sich oft sehr stark als Instituts-Mitarbeiterinnen – und stellen das eigene Forschungsziel hinter Verwaltung und Lehre zurück. Dabei ist es nicht nur legitim, sondern ein im heutigen akademischen Bereich überlebensnotwendiges Muss, sich auch auf die eigene Karriere zu konzentrieren.”
Doktorandin Johanna Panagiotou freut sich darauf, die anderen Mentees der Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaften kennenzulernen. „Ob daraus Freundschaften entstehen? Oder eine gemeinsame Publikation?” Letzteres könnte ihr indirekt auch bei Bewerbungen helfen. Durch das Mentoring fühlt sie sich in jedem Fall besser gefeit für die Suche auf dem heiß umkämpften akademischen Stellenmarkt. „Man fühlt sich ein bisschen wie ein Patenkind”, sagt die Biographie-Forscherin, „in der Großfamilienstruktur der Universität.”
Text: Anja Burkel
Nähere Informationen zum LMU Mentoring bieten die Fakultäten: etwa die Juristische Fakultät oder die Fakultät für Sprach- und Kulturwissenschaften.
Nicht zu verwechseln ist das Angebot mit den zahlreichen anderen Mentoring-Programmen der Universität – wie dem Mentoring für Studierende des Career Service oder fachspezifischen Programmen wie MeCuM-Mentor an der Medizinischen Fakultät.
Academic Careers an der LMU: Infos zur Unterstützungsangeboten und Karrierechancen