Vom Ursprung des Lebens: Nach welchem Rezept wurde die Ursuppe gekocht? Die Chemiker Thomas Carell und Oliver Trapp und der Biophysiker Dieter Braun über die Vorgeschichte der Evolution, die vier Milliarden Jahre später auch den Menschen hervorbringt.
Für jede erfolgreiche Fortsetzungsgeschichte gibt es irgendwann einen Vorläufer, der vom Anfang erzählt. So auch bei der Entwicklung des Lebens; es ist die Geschichte vom Ursprung. Vor der biologischen Evolution, der Stammesgeschichte, so weiß die Wissenschaft heute, muss es eine sogenannte chemische Evolution gegeben haben. Doch wie sieht sie aus, die Vorgeschichte des Lebens? Was geschah auf der Erde, bevor sich das Leben formte? Wie konnten vor etwa vier Milliarden Jahren die ersten einfachen Bausteine entstehen, die die Entstehung des Lebens in Gang setzten? Unter welchen Bedingungen fügten sich solche Moleküle zusammen, aus denen sich komplexere informationstragende Einheiten bilden konnten, die sich selbst vervielfältigen – Vorläufer des heutigen Erbmaterials?
Vorhang auf für die Entwicklung des Lebens: Die Vorgeschichte beginnt in vulkanischer Umgebung.
Die sogenannte Origins-of-Life-Forschung hat sich mittlerweile zu einem eigenen Forschungszweig entwickelt – und München und die LMU zu einem seiner international stark beachteten Zentren. In dem Schwerpunkt arbeiten einige Dutzend Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler; er bündelt eine ganze Reihe hochrangig geförderter Projekte: einen Sonderforschungsbereich (SFB), den die DFG finanziert, mehrere hochdotierte Grants des Europäischen Forschungsrates sowie weite Teile eines Exzellenzclusters.
Schon das Plotten der Ursprungsgeschichte ist allerdings nicht ganz einfach. Viele Theorien, viele Szenarien, noch mehr Details. Und so versuchen die Forscher erst einmal so etwas wie plausible Handlungsstränge zu entwickeln: Welche Bedingungen herrschten wahrscheinlich auf der frühen Erde? Welche chemischen Reaktionen wurden damit möglich? Konnten daraus erbgutähnliche Moleküle entstehen? Und setzten sie schließlich eine evolutionsähnliche Dynamik in Gang? Das zu rekonstruieren, dabei helfen ihnen die Experimente der modernen Chemie. Doch am Ende wollen die LMU-Forscher eine möglichst vollständige Variante der Vorgeschichte präsentieren – und in Experimenten nacherzählen.
Die Chemiker Thomas Carell und Oliver Trapp sowie der Biophysiker Dieter Braun beschäftigen sich an der LMU seit langem mit diesen Fragen. Im Gespräch skizzieren sie ihre Forschungsansätze, die stets Rekonstruktion und Experiment miteinander abgleichen. Und so oszilliert auch ihr Erzählen zwischen dem möglichen Setting auf der frühen Erde und dem Reaktionsansatz im Reagenzglas.
Was im Anfang war: Worte über den Ursprung des Lebens
Wenn Sie die Geschichte des Lebens erzählen sollten, sozusagen eine naturwissenschaftliche Schöpfungsgeschichte, wo würden Sie da anfangen?
Braun: Bei der Entstehung der Sterne und Planeten: Partikel aus einer rotierenden Staubwolke ordnen sich in einer Scheibe an, dann klumpen aufgrund der Gravitation Himmelskörper zusammen, Sterne und Planeten entstehen. Trapp: In diesem Moment läuft schon die ganze Chemie ab: In der Gasphase formen sich Radikale, besonders reaktionsfreudige Atomvarianten. Die Organik, die Chemie der Kohlenstoffverbindungen, aus denen weit später sozusagen alles Lebendige entsteht, muss sich erstmal entwickeln. Für die Reaktionen sind vor allem Metalle wichtig, allen voran Eisen. In unserer Arbeit versuchen wir nachzuvollziehen, welche organischen Verbindungen da eigentlich entstehen können. Das ist ein ganzer Zoo von Molekülen, aus denen immer mehr organische Verbindungen entstehen können. Dieser Wildwuchs ordnet sich innerhalb der Hunderten von Jahrmillionen, so dass wir letztlich zu präbiotischen Molekülen kommen.
Wann klumpte sich die Erde zusammen?
Braun: Vor 4,43 Milliarden Jahren. Wobei man auch sagen muss, dass unsere Erde eine turbulente Frühgeschichte hatte. Carell: Kurz nach ihrem Entstehen traf ein Himmelskörper so groß wie der Mars, der Meteorit Thea, die Erde mit voller Wucht. Dieser Impact übertrug so viel Energie, dass quasi die ganze Erdoberfläche nochmals aufschmolz. Die Erde war danach ein glühender Feuerball. Dabei verbrannten alle organischen Moleküle. Aus den Bruchstücken von Thea bildete sich der Mond. Die Mondentstehung war praktisch ein Reset. Braun: Aber es bleibt die große Frage, wie der Mond genau entstand. Da gibt es unterschiedliche Modelle.Manche Forscher sagen, es haben später noch viele große Einschläge gegeben. Die Simulationen werden da langsam besser und mit ihnen Berechnungen, wie die Atmosphäre ausgesehen haben muss. In chemischer Hinsicht waren die Unterschiede wohl gar nicht so groß. Trapp: Die Geowissenschaftler sind sich einig, dass am Anfang eine eher sauerstoffarme Atmosphäre die Erde umgab. Vermutlich war sie reich an Wasserstoff, was auch logisch wäre. Schließlich reagierte jegliches Wasser, das auf der Erde kondensierte, mit reaktiven Metallen wie Eisen. Es entstand erstmal Eisenoxid und natürlich auch viel Wasserstoff. Diese Wasserstoffatmosphäre bot eine gute Ausgangslage dafür, dass sich organische Verbindungen bildeten. Carell: Die Erde war nach dem Einschlag von Thea aufgeschmolzen. Elemente wie Gold, Silber und Iridium, die wir heute auf der Planetenoberfläche finden, dürfte es anfangs nicht gegeben haben. Diese Substanzen lösten sich im flüssigen Eisen. Auf dem Mond findet man überhaupt keine reinen Elemente.
Das ist ein ganzer Zoo von Molekülen, aus denen sich immer mehr organische Verbindungen bilden können. Dieses wilde Durcheinander ordnet sich innerhalb von Hunderten Jahrmillionen.
Prof. Dr. Oliver Trapp, Inhaber eines Lehrstuhls für Organische Chemie
Wo kommen dann Gold und Silber her?
Carell: Vermutlich gab es noch einen zweiten Impact, der die Erde allerdings nicht voll traf. Das war wohl ein Meteorit mit einem Eisenkern, der dann zerplatzte. Die Erde schmolz zum zweiten Mal auf. Um sie herum sammelten sich Meteoritenpartikel an, darunter unheimlich viele Eisensplitter, die dann als flüssige Eisenteilchen auf die Erde herunterregneten. Sie fielen auf schon erkaltetes Wasser und reagierten damit. Dabei entstand für ein paar Hundert Millionen Jahre eine Wasserstoffatmosphäre um die Erde. Chemiker nennen das eine stark reduzierende Atmosphäre. Darin entstanden die ersten Verbindungen, die das Leben braucht.
Ist der Zeithorizont da klar?
Carell: Ja, so um die vier Milliarden. Braun: Das lässt sich an Gestein von der frühen Erde abschätzen, wie es beispielsweise die Apollo-17-Mission auf dem Mond gesammelt hat. Da der Mond anders als die Erde keine Plattentektonik hat, die seine Oberfläche grundlegend verändert hat, liegen dort Steine von der frühen Erde, die erzählen, was genau damals dort passiert ist.
Wie die Welt entstand ...
Was geschah danach?
Carell: Die Wasserstoffatmosphäre kippte. Die Atmosphäre bestand danach wahrscheinlich vorwiegend aus Stickstoff, sehr viel Kohlendioxid, viel mehr als heute, ein paar Edelgasen und Wasserdampf. Sauerstoff gab es nicht. In dieser Atmosphäre aus Stickstoff und Kohlendioxid gab es Blitzentladungen, nehmen wir an. Ab diesem Zeitpunkt kann man anfangen, Chemie zu machen.
Das Setting ist damit aber noch nicht vollständig beschrieben. Wo auf der frühen Erde haben sich denn die ersten Moleküle bilden können? Im Fachmagazin Science schrieben jüngst Forscher, dass es vor etwa 3,5 Milliarden Jahre noch keine Kontinente gegeben habe, dass es also eine Wasserwelt gewesen sei. Halten Sie das für plausibel?
Carell: Es gibt Leute, die das glauben. Unsere Chemie wird dann schwierig. In wässrigen, also hochverdünnten Umgebungen Nukleobasen zu entwickeln, Bausteine von Erbgutvorläufern, ist jedenfalls sehr schwer. Braun: Es ist sicher richtig, dass sehr viel Wasser da war, aber das schließt kleinere Landflächen von der Größe von Island oder Hawaii noch lange nicht aus. Die Geologen sind da uneins, wie groß die Landflächen waren, als die Temperaturen allmählich unter hundert Grad sanken. Carell: Für viele chemische Prozesse braucht man eine gewisse Konzentration der Ausgangsmoleküle. Deswegen nehmen wir an, dass geothermale Felder mit vulkanischer Aktivität, wie wir sie heute auf Island oder im Yellowstone-Park kennen, oder auch flache Teiche infrage kommen.
... und auf ihr das Leben
Waren die Ursprungsorte also Tümpel?
Carell: Ja, die waren mal ausgetrocknet, dann wieder kam Wasser. Es wurde mal warm, mal kalt, mal trocken, mal feucht, es gab Tag- und Nachtzyklen, saisonale Zyklen, so stellen wir uns das vor. Damit kann man interessante Chemie machen. Wir testen diese unterschiedlichen Zyklen im Experiment über drei, vier Perioden. Wir finden dabei ganz interessante Prozesse, sie funktionieren, ohne dass der Mensch eingreifen muss. Es kommen interessante Moleküle heraus, die einen immer in Richtung Aminosäuren, den Grundbausteinen von Proteinen, und Nukleobasen bringen.
Interessanterweise hat ja Darwin auch schon formuliert, das Leben könnte in kleinen warmen Tümpeln entstanden sein. Kommt das Leben sozusagen aus dem Schlamm?
Carell: Schlamm gab es damals nicht. Schlamm ist Humus, organisches Material, verrottete Blätter und haufenweise Bakterien, die gab es ja damals noch nicht. Wir müssen uns die Situation eher vorstellen wie oberhalb der Baumgrenze etwa in die Alpen, mit viel Geröll. Trapp: Oder eben wie auf Island in der Nähe von heißen Quellen. Braun: In der Nähe eines Vulkans gibt es Asche und vulkanischen Staub, die reagieren relativ schnell mit Wasser und bilden schlammartige Moleküle. Carell: Wir haben, was die Tümpel angeht, jedenfalls ein Setting gefunden, in dem die vier verschiedenen Bausteine der RNA unter sehr ähnlichen Bedingungen entstehen können – die ganze Suppe sozusagen in einem Topf gekocht. Bislang hielt man das für nicht möglich. Es gab auf der frühen Erde vermutlich eine Blitzentladung in einer Stickstoff-Wasserstoff-Atmosphäre, gleichzeitig gab es vulkanische Aktivitäten, die Schwefeldioxid in großen Mengen produzieren.
Das haben Sie in Experimenten ermittelt?
Carell: Ja, in unseren Versuchen nutzten wir als Ausgangsstoffe so einfache Substanzen wie Ammoniak, Harnstoff und Ameisensäure. Auch brauchte es Salze wie Nitrite und Carbonate sowie Metalle wie Eisen und Zink. Damit kommt eine Kaskadenreaktion in Gang, die zu den vier Nukleobasen führt. Allerdings brauchen wir in unserem Szenario drei Tümpel. Wir nehmen an, dass die Tümpel aus verschiedenen Gesteinen entstanden. Sie müssen nicht direkt nebeneinander liegen, sie müssen nur in Kontakt sein. Wichtig sind der Austausch etwa durch Überschwemmungen und das Eintrocknen. Das reicht völlig. Im Moment bauen wir so ein Tümpelszenario im Labor auf, im Grunde eine Landschaft aus Glaskolben, in denen wir die ursprünglichen Bedingungen simulieren. Am Ende würden wir gern so ein Miller 2.0-Experiment, einen verbesserten Nachfolger des klassischen Ursuppenexperiments, machen, so simpel wie möglich. Trapp: Wir haben unser Experiment schon im Labor aufgebaut, mit Entladung und allem. Wir haben dabei einen anderen Fokus als Thomas Carell. Er macht die sogenannte RNA-Synthese, ich mache eine DNA-Synthese, beides sind ja eng verwandte Erbgutmoleküle. Wir nehmen anfangs Meteoritengestein, machen daraus Nanopartikel. Diese Partikel sind katalytisch hochreaktiv, sie machen letztlich aus Kohlendioxid und Wasserstoff kleine, einfache Moleküle: So entstehen Formaldehyd, Acetaldehyd, Alkohole, Alkane und die ersten Fettsäuren. Und wir wissen, wie diese chemischen Reaktionen reproduzierbar ablaufen, auch unter ganz unterschiedlichen Bedingungen.
Zu welchen Erkenntnissen sind Sie gekommen?
Trapp: Wir koppeln in unseren Experimenten zwei Prozesse: die Bildung von Zuckern und die Bildung der Nukleobasen, der beiden Bestandteile aus denen DNA-Bausteine bestehen. Dabei sind wir auf interessante Dinge gestoßen: Forscher haben sich oft gefragt, warum die Natur Ribose als Zucker ausgewählt hat. Wir haben herausgefunden, dass das eine natürliche Konsequenz der ursprünglichen chemischen Prozesse ist. Die Ausgangsmoleküle finden sich automatisch zusammen. Das Entscheidende aber ist, dass nicht der fertige Zucker an der Nukleobase angebunden wird, wie man immer gedacht hat, sondern an ihr aufgebaut wird. Das führt beispielsweise zu der Erkenntnis, dass DNA-Vorläufer womöglich gut 400 Millionen Jahre früher entstanden sind als bisher angenommen.
Lange sprachen Forscher explizit von einer RNA-Welt.
Carell: RNA-Welt ist einfach eine Nukleinsäure-Welt, ob nun RNA am Anfang stand oder DNA, ist für das Konzept eigentlich egal. Das Konzept einer RNA-Welt gab es nur deshalb, weil RNA biosynthetisch der Vorläufer von DNA ist. Aber RNA kann auch später und DNA durchaus am Anfang entstanden sein. Viele Wissenschaftler sagen auch, das zunächst ganz andere Zucker eine Rolle gespielt hätten, etwa Tetrose. Wenn ich die Basen damit verknüpfe, dann kriege ich weder DNA noch RNA, sondern die sogenannte TNA, und die paart wunderbar, so dass ebenfalls Doppelstränge entstehen können. Das ist ja die Voraussetzung, dass sich das Erbmaterial vervielfältigen kann, indem immer ein Teilstrang als Matrize dient. Wir brauchen eine Nukleinsäurewelt aus sich selbst replizierenden Molekülen mit Eigenschaften, die eine Selektion zuließen, so dass man einen molekularen Darwinismus postulieren kann. Vermutlich ist es dann egal, welchen Zucker man als Basis nimmt. Braun: Wenn ich in einem Experiment einen evolutionären Mechanismus mit RNA oder DNA bestücke, könnte es gut sein, dass die stabilere DNA das Rennen macht. Vielleicht bedeutet das, dass es schon früh wie heute eine Arbeitsteilung zwischen RNA und DNA gab. DNA könnte ein Langzeitspeicher gewesen sein und RNA gut für kurzzeitige Produkte. Carell: Vielleicht konkurrierten früher auch viele Systeme. Und dann setzte sich das System durch, das wir heute sehen. Ich würde für keine dieser Theorien einen Finger auf die Schiene legen.
Leben braucht dauernd Futter, neue Nährstoffe, es muss ständig aus dem Gleichgewicht gehalten werden, wie wir Physiker sagen.
Prof. Dr. Dieter Braun, Professor für System-Biophysik
Für eine wie auch immer geartete Evolution braucht es eine Form von Auslese: Was passt und was nicht? Sie experimentieren damit, wie allein Temperaturunterschiede und Nichtgleichgewichtszustände solche Selektionsvorgänge in Gang bringen.
Braun: Leben, wie wir es kennen, ist ja kein Leben, das ich irgendwie in ein Glas tun und stehen lassen kann, und es lebt dann weiter. Es braucht dauernd Futter, neue Nährstoffe, es muss ständig aus dem Gleichgewicht geraten, wie wir Physiker sagen. Es handelt sich also um Systeme, die mit der Umgebung in Wechselwirkung stehen und mit ihr Energie und Materie austauschen. Und die Frage ist: Welche Formen von Nichtgleichgewichten auf der Erde können wir uns vorstellen und welchen Einfluss hätten sie auf die in Frage kommenden Moleküle? Wir experimentieren mit Temperaturunterschieden, die interessanterweise Moleküle akkumulieren, die Moleküle sammeln sich dann im Kalten. Wir testen auch, was ein pH-Unterschied, also ein Gefälle im Säuregehalt, allein durch die Bewegung von Molekülen kreieren kann. Die Frage, die sich anschließt, ist: Können wir in solchen Nichtgleichgewichtssystemen die Polymerisation, die Verkettung von Molekülen, weitertreiben?
Sie suchen also nach der passenden Umgebung für solche Nichtgleichgewichtssysteme?
Braun: Genau. Wenn Sie durch vulkanisches Gelände laufen finden Sie dort viel poröses Gestein, das in der Nähe der Wasserlinie mit Flüssigkeit gefüllt ist. Wenn ein heißer Wasserdampf darüber weht, aufgeheizt vom heißen Stein, bekommen Sie starke Temperaturunterschiede in den kleinen Poren. Wir schauen uns an, wie Moleküle in solchen Nichtgleichgewichtsystemen akkumulieren und ob sie besser akkumulieren, wenn sie langkettig sind. Damit ist ein Selektionsmechanismus möglich, der Moleküle nach ihrer Länge ausliest.
Ein Essential für jede Evolution?
Braun: Ja, auch für eine rudimentäre Form von Evolution brauchte es längere Moleküle, Sequenzen – und es brauchte einen Kopiermechanismus, mit dem sich die Moleküle vervielfältigen. Dann ist nach ein paar Zyklen einer solchen Replikation eine zunächst zufällige Sequenz eben nicht mehr ganz zufällig. Wir wollen herausfinden, wie die Natur quasi durch Zufall auf diese Darwinsche Evolution gestoßen ist. Die Frage lautet also: Wie komme ich von Nichtgleichgewichtsystemen am Ende auf eine Art Maschine, die sich einerseits mit der „Evolution“ der Sequenzen entwickelt und sie andererseits letztlich weitertreibt? Obwohl die Moleküle irgendwann kaputt gehen, muss ja die Sequenz erhalten bleiben – und die Information, die darin steckt. Bei dem Erbgut, wie es heute ich jeder biologische Zelle steckt, ist Erbinformation ja auch in der Sequenz, der Abfolge der DNA-Bausteine gespeichert. Nur dadurch, dass die Natur Tricks erfand, Sequenzen zu vervielfältigen und so zu erhalten, konnte auf einem langen Weg so etwas wie ein Ribosom entstehen, diese Maschine, an der die Information letztendlich in Bausteine des Lebendigen umgesetzt werden kann. Aber wie dieser lange Weg tatsächlich aussah – da klafft zugegebenermaßen noch eine große Wissenslücke.
Die Entstehung der Moleküle
In der Molekularküche: Für die Evolution des Lebens braucht es neben den richtigen Zutaten auch sogenannte Nichtgleichgewichtssysteme, also Zonen mit heißen und kalten Temperaturen und einen Wechsel von trockenen und feuchten Umgebungen. Solche Trocken-Nass-Zyklen auf der frühen Erde simulieren die Forscher im Labor.
Erste Nukleotidbausteine und immer längere Ketten solcher Bausteine – gehen Sie da immer noch von ähnlichen Entstehungsbedingungen, von der gleichen Umgebung aus?
Braun: Man probiert da in der Theorie, aber vor allem auch im Experiment anzudocken. Die Hoffnung ist, dass unter Bedingungen, die für Replikation und Darwinsche Evolution passen, auch die Synthese von Nukleotiden stattfinden kann. Wir versuchen zusammen mit Oliver Trapp experimentelle Bedingungen hinzubekommen, die da eine Verbindung schaffen. Chemische Reaktionen etwa laufen in Porensysteme ab. Darin lassen sich durch Temperaturoszillation in hoher Geschwindigkeit Trocken-Nass-Zyklen auf der frühen Erde simulieren. Wenn ich Evolution machen will, ist wichtig, dass ein passendes Nichtgleichgewicht herrscht und dass die Moleküle an einem Ort miteinander kooperieren können.
Wie gut werden sich all solche Bedingungen in einem Ursuppen-Experiment 2.0 zusammenbringen lassen?
Trapp: Das wird schwierig, auf jeden Fall ist es noch ein weiter Weg. Aber es gibt erste Erfolge. Wir sind zum Beispiel in der Lage, fettsäureartige Moleküle aufzubauen, sogenannte Phospholipide, mit denen man eine Art von zellulärer Struktur schaffen kann. Die bietet den Vorteil, dass wir außen eine Wasserumgebung haben, innen sammeln und konzentrieren sich organische Moleküle. Startet man mit den richtigen Zutaten ein Reaktionsnetzwerk, kann das in einen Stoffwechsel in dem Sinn münden, dass Moleküle abgebaut und andere aufgebaut werden. So erzeugt man Gradienten und ist in der Lage, Ungleichgewichte anzutreiben. Braun: Denn aus Gleichgewichtsreaktionen entstehen keine längeren Polymere, das muss gut angetrieben und designed sein. Trapp: Genau. Wir suchen nach einem Prozess, der in sich geschlossen startet und so entwickelt. Es geht eben nicht um das Design einer Minimalzelle, in die man einfach nur bekannte Strukturen reinpackt und denkt, man habe damit schon etwas kreiert.
Wie aber könnten Zellvorläufer tatsächlich entstanden sein?
Braun: Vielleicht an einer Wasser-Luft-Grenzfläche. Wenn man so ein System heizt, Lipide und DNA hinzugibt, akkumulieren die jeweils auf der warmen Seite und wenn Sie länger warten, entsteht da tatsächlich ein bläschenartiges System, das aus vielen Lipiden besteht. Und interessanterweise ist im Inneren die DNA 20-fach höher konzentriert, richtig gefaltet und sogar katalytisch aktiv, wenn Sie RNA nehmen. Solche Nichtgleichgewichtssysteme können also durchaus Zellen bilden.
Es bleibt schon ein Traum zu beweisen, dass aus dem bisschen Materie, das nach dem Urknall übriggeblieben ist, irgendwann mal Leben entstehen muss.
Prof. Dr. Thomas Carell, Inhaber des Lehrstuhls für Organische Chemie – Nucleic Acid Research
Das Ursuppen-Experiment
Wann kann man von Zellvorläufern sprechen?
Braun: In der frühen Entwicklungsphase des Lebens auf der Erde hätten Zellen eher gestört. Zellen brauchen Nährstoffe, sie produzieren Müll, der erstmal aus der Zelle heraustransportiert werden muss. Das sind alles komplexe Prozesse, an denen Proteine beteiligt sind. Meiner Meinung nach sind Zellen deutlich nach dem Ribosom entstanden. Trapp: Im Experiment stellen Zellen für Chemiker ein schwieriges Problem dar. Man kommt nicht mehr an die abgepackten Moleküle ran. In Experimenten mit RNA beispielsweise zeigt sich, dass die Reaktionen trotz höherer Konzentration der Moleküle eher langsamer ablaufen.
Wenn man in der Evolution weitergeht, treten Prozesse wie Zellteilung, Energieversorgung und Photosynthese. Muss man, wenn man wie Sie Experimente zur diese Anfangsexperimente macht, das schon ein bisschen mitdenken?
Trapp: Wir lassen uns durch die Natur inspirieren und versuchen, alles auf fundamentale Prozesse herunterzubrechen, etwa bei der Photosynthese. Im Endeffekt geht es auch dort um Prozesse, bei denen Energie gespeichert wird. Wir wollen wissen, wie das unter präbiotischen Bedingungen abläuft. Braun: Man sollte aber nicht leichtfertig Rückschlüsse ziehen. Es gibt keinen logischen Grund, warum das, was heutige Proteine können oder wie heutige Zellen DNA produzieren, direkt gekoppelt sein sollte mit den präbiotischen Bedingungen. Da liegt so viel Zeit, so viel Evolution dazwischen.
Aber nochmal ganz zurück zum Anfang: Der Exzellenzcluster Origins, an dem Sie maßgeblich beteiligt sind, erforscht die Vermutung, so heißt es in der Eigenwerbung, dass sich die Entstehung des Lebens „natürlicherweise von den im Urknall festgelegten Ausgangsbedingungen entfaltet hat“.
Carell: Die Grundfrage ist wohl: Ist das Leben deterministisch? Ist das Leben eine Art Naturgesetz und unter den Bedingungen entstanden, die nach dem Urknall gleichsam vorgegeben waren? Oder war es ein nicht planbares Event, das eben zufällig auf der Erde stattgefunden hat und kein anderes Mal im ganzen Universum auftritt?
Kosmologen sind davon überzeugt, dass 100 Sekunden nach dem Urknall alles da, der Teilchenmix festgelegt ist. Von da an läuft die Entwicklung des Universums ab wie ein Uhrwerk, sagen sie. Könnte man einen solchen Determinismus denn überhaupt beweisen?
Carell: Vielleicht nicht. Man kann aber logische Szenarien finden. Wir sind immer wieder überrascht, wie einfach manche Abläufe bei der Entstehung des Lebens offenbar gewesen sind, die wir uns viel schwieriger vorgestellt haben. Es bleibt schon ein Traum, zu beweisen, dass aus dem bisschen Materie, das nach dem Urknall übriggeblieben ist, irgendwann mal Leben entstehen muss. Braun: Gleich mit dem Urknall anzufangen, ist vielleicht ein bisschen weit zurück. Es gibt die logische Lücke zwischen dem, was die Astrophysiker über die Planetenentstehung und was die Geologen über die Erde wissen. Trapp: Wenn man sich die organische Zusammensetzung von Meteoriten oder Asteroiden anschaut, ist die nicht prinzipiell anders als die auf der Erde. Es sind Prozesse, die rein chemisch überall gleich ablaufen. Die entstehenden Bausteine kann man überall nachweisen. Die Wahrscheinlichkeit, dass es genau zu unserem Szenario auf der Erde kommt, hängt natürlich von vielen Faktoren ab und wird dadurch kleiner.
Kohlenstoff hat ein paar Besonderheiten, die kein anderes Element hat. Er ist sehr flexibel und sehr dynamisch. Darum bildet es sehr wahrscheinlich die Basis jedes Lebens.
Prof. Thomas Carell, Inhaber des Lehrstuhls für Organische Chemie
Man sucht auf dem Mars schon seit einiger Zeit nach Spuren organischen Lebens, mit den Saturn- und Jupitermonden Enceladus oder Europa gibt es weitere Kandidaten, die ins Visier kommen. Würde es die Frage klären, wenn es da auch lebensähnliche Formen gibt?
Trapp: Definitiv. Carell: Wenn Leben schon in unserer näheren Umgebung auftritt, wäre das der Beweis dafür, dass es auch anderswo Leben gibt.
Aber für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass es irgendwo da draußen Leben gibt?
Braun: 100 Prozent. Trapp: Ja, das gibt es. Carell: Das glaube ich auch. Braun: Schauen Sie sich die Zahlen an. Jede Sonne hat mindestens einen Planeten. Und wie viele Sonnen haben Sie in unserer Galaxie und wie viele Galaxien haben Sie!
Wäre es ein Leben, das nach den gleichen Prinzipien funktionierte wie das auf der Erde?
Carell: Der Kohlenstoff als Element hat ein paar Besonderheiten, die kein anderes Element hat. Er ist sehr flexibel und sehr dynamisch. Darum bildet er sehr wahrscheinlich die Basis jedes Lebens. Ob die Lebewesen dann so aussehen wie wir, ist fraglich. Vielleicht sind es riesige Würmer.
Die Gesprächspartner
Prof. Dr. Dieter Braun ist Professor seit 2007 für System-Biophysik an der LMU. Braun, Jahrgang 1970, studierte Physik an der Universität Ulm und an der TU München. Er wurde mit einer Arbeit am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried promoviert und war Postdoktorand an der Rockefeller University in New York. Er leitete eine von der DFG geförderte Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe. 2010 zeichnete ihn der Europäische Forschungsrat (ERC) mit einem hochdotierten Starting Grant aus, 2018 mit eine Advanced Grant. Seit 2014 wird er von der Simons Foundation in New York gefördert. Seit 2018 ist er außerdem Sprecher des DGF-geförderten Sonderforschungsbereiches „Emergence of Life“.
Prof. Dr. Thomas Carell ist Inhaber des Lehrstuhls für Organische Chemie – Nucleic Acid Research an der LMU. Carell, Jahrgang 1966, studierte Chemie an den Universitäten Münster und Heidelberg. Er wurde in Heidelberg promoviert mit einer Arbeit am Max-Planck-Institut für Medizinische Forschung. Carell war Postdoc am Massachussetts Institute of Technology (MIT), Cambridge, USA, und habilitierte sich an der ETH Zürich. Er war Inhaber eines Lehrstuhls für Organische Chemie an der Universität Münster, bevor 2004 an die LMU kam. Im selben Jahr zeichnete ihn die Deutsche Forschungsgemeinschaft mit dem Leibnizpreis, dem wichtigsten deutschen Wissenschaftspreis. Carell war Sprecher des Exzellenzclusters Center for Integrated Protein Science Munich (CIPSM) und des DFG-geförderten Sonderforschungsbereichs (SFB) „Dynamik und Intermediate molekularer Transformationen“. Seit 2019 ist er Sprecher des SFB „Chemische Biologie epigenetischer Modifikationen“.
Prof. Dr. Oliver Trapp ist Inhaber eines Lehrstuhls für Organische Chemie an der LMU und Max-Planck-Fellow am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg. Trapp, Jahrgang 1973, studierte Chemie an der Universität Tübingen, wo er auch promoviert wurde. Er war Postdoktorand an der Stanford University, USA, und Leiter einer DFG-finanzierten Emmy-Noether-Gruppe am Max-Planck-Institut für Kohlenforschung in Mülheim an der Ruhr. Er habilitierte sich an der Universität Bochum und war Professor für Organische Chemie an der Universität Heidelberg, bevor er 2016 an die LMU kam. 2010 zeichnete ihn der Europäische Forschungsrat (ERC) mit einem seiner hochdotierten Starting Grants aus, 2012 mit einem Proof of Concept Grant.
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