Der globale Wandel bringt die Erde an ihre Belastungsgrenze. Im EINSICHTEN-Interview diskutieren die Geographin Marianela Fader und der Biologe Dario Leister, wie sich Natur und Landwirtschaft an veränderte Lebensräume anpassen oder anpassen lassen.
Nicht erst seit den massiven Waldbränden, Hitzewellen und Hochwasserereignissen der letzten Monate wissen wir, wie gravierend die Auswirkungen des Klimawandels sind. Doch auch wenn das Land nicht gerade verbrennt, versengt oder ertrinkt, setzt der menschengemachte Treibhauseffekt Natur und Landwirtschaft zu. Wie wirkt sich der Klimawandel auf Pflanzen aus?
Leister: Das umfasst viele Ebenen, von Prozessen im Inneren von Pflanzenzellen bis hin zu globalen Kreisläufen. Auf den ersten Blick erscheint mehr CO2 vorteilhaft für Pflanzen. Bei Dürre bringt das der Pflanze aber gar nichts. Ohne Wasser läuft nichts. Dasselbe gilt für Nährstoffe im Boden. Außerdem können auch Pflanzen unter Hitzestress leiden. Zwei Grad Erwärmung sind geologisch gesehen kein großes Drama. Da gab es in der Erdgeschichte schon viel drastischere Schwankungen. Das Problem ist die Geschwindigkeit, mit der die Veränderungen geschehen. Ich bin mir nicht sicher, ob sich unsere natürlichen Landschaften daran schnell genug anpassen können.
Fader: Extremwetterereignisse wie Dürren, Fluten, Stürme oder Brände werden häufiger und zerstören teilweise großräumig Ökosysteme und Anbauflächen. Die Verbreitung von Schädlingen oder Bestäubern ändert sich. Durch den Klimawandel kommt es zu einer räumlichen Verschiebung der Lebensräume. Wenn das zu schnell geschieht, führt das zu Verlusten in der Biodiversität. Außerdem verändert sich die Länge der Wachstumsperiode. In der Landwirtschaft wirkt sich das darauf aus, wann und wo man bestimmte Pflanzen aussäen und ernten kann, wie schnell eine Pflanze reift und natürlich wie hoch der Ertrag ist.
Wenn wir naturnahe Systeme mit nachhaltiger Bewirtschaftung und technologischer Innovationen kombinieren können und so den Weg hin zu einer erfolgreichen Klimawandelanpassung einschlagen – warum nicht?
Marianela Fader
Vertrockneter Mais, Brandenburg, Anfang September 2022.
Der Klimawandel verändert die Welt. Kommen die Pflanzen auf unseren Äckern damit zurecht oder müssen wir ihnen dabei helfen, sich an Hitze und Dürre anzupassen?
Müssen wir eingreifen und den Pflanzen sozusagen auf die Sprünge helfen?
Leister: Landwirtschaft ist ohnehin künstlich, ein System, in das der Mensch auf jede erdenkliche Weise eingreifen muss: Beim Wasser, bei den Nährstoffen, bei der Schädlingsbekämpfung. Unsere gezüchteten Nutzpflanzen sind nicht natürlich. Und wenn etwas künstlich ist, also nur durch menschliche Manipulation aufrechterhalten wird, kann man neuen Veränderungen begegnen, indem man das System weiter anpasst.
Die Vision von der schwarzen Pflanze
Wie kann man Nutzpflanzen noch optimieren?
Leister: Einer der zentralen Ansatzpunkte meiner Arbeit ist die Photosynthese. Sie ist der bedeutendste Prozess für das Leben auf der Erde. Ohne sie gäbe es keinen Sauerstoff, keine Biomasse, keine Menschheit. Alles, was wir essen, alles, was wir sind, ist letztendlich ein Produkt der Photosynthese.
Pflanzen haben sich aber nicht daran angepasst, möglichst viel Ertrag für uns zu liefern. Im Laufe der Evolution brauchten sie nie hocheffizient zu sein. Pflanzen sind grün, weil sie grünes Licht nicht nutzen. Unsere Nutzpflanzen tragen dieses natürliche Erbe in sich. Hier besteht Optimierungsbedarf. Mit einer schwarzen Pflanze, die in der Lage ist, das gesamte Lichtspektrum der Sonne zu verwerten, könnte man 50, 60 oder 100 Prozent mehr Wellenlängen nutzen.
Und das kann dabei helfen, nachhaltigere Landwirtschaft zu betreiben?
Leister: Von den Polen bis zur Tiefsee gibt es keinen Fleck mehr auf der Erde, an dem der Mensch nicht irgendwie eingreift. Je weniger Fläche wir als Menschen in Anspruch nehmen, desto besser. Deshalb müssen wir versuchen, die landwirtschaftlich genutzte Fläche zu reduzieren. Wir wollen Nutzpflanzen entwickeln, die mehr Energie nutzen und dadurch viel dichter gepflanzt werden können. Dann brauchen wir weniger Platz für den Ackerbau, wodurch Flächen für die Natur frei werden.
Fader: Herr Leister spricht hier eine Debatte an, die sich zwischen zwei unterschiedlichen Ansätzen bewegt: Land sparing und Land sharing. Generell gibt es zwei Möglichkeiten: Wir können erstens die Landwirtschaft hocheffizient gestalten und dadurch räumlich konzentrieren. Dann hätten wir mehr Platz für großräumige, natürliche Ökosysteme. Die andere Möglichkeit setzt hingegen auf größere landwirtschaftliche Flächen, die dafür aber naturnäher gestaltet sind. Systeme, die nicht mehr auf Effizienz getrimmt sind, sondern auf eine schonende Bewirtschaftung. Bei der Fachdiskussion um die planetaren Grenzen dreht sich vieles um die Frage, in welchem Gebiet welches dieser Systeme das nachhaltigere ist. Das kann man nicht pauschal beantworten, auch eine Kombination aus beidem kann die Lösung sein.
Verbesserte Pflanzen züchten
Dario Leister ist Inhaber des Lehrstuhls für Botanik mit Schwerpunkt Molekularbiologie der Pflanzen an der LMU.
Besteht die Gefahr, dass Flächen trotz Pflanzenoptimierung nicht verkleinert werden, sondern die Monokulturen weiter wachsen?
Fader: Im Mittelmeerraum können wir genau diesen Effekt beim Einsatz von Wasser beobachten. Man hat dort von Flächen- auf Tröpfchenbewässerung umgestellt, was deutlich effizienter ist. Leider hat man aber das Wasser, das man hätte sparen können, dafür genutzt, die Produktion auszuweiten. Im Endeffekt wurde also gar kein Wasser gespart. Solche Rebound-Effekte können auch in Bezug auf die Landnutzung entstehen. Aber das ist kein geografisches und auch kein biologisches Problem, sondern ein soziologisch-gesellschaftliches. Wir können in der Wissenschaft die tollsten Erkenntnisse hervorbringen, aber solange Politik und Gesellschaft die globale Bedeutung von Nachhaltigkeit nicht anerkennen, können wir sie nicht realisieren.
Kann man mit einer Rückkehr zu natürlicheren Landwirtschaftssystemen die Weltbevölkerung ernähren?
Fader: Dazu wird gerade viel geforscht. Wir wollen demnächst in einem großskaligen Ökosystemmodell den Einsatz von Mischkulturen simulieren. Dabei werden Nutzpflanzen nicht in Monokultur angebaut, sondern mehrere Feldfrüchte zusammen. Eine davon ist normalerweise eine stickstofffixierende Pflanze, sodass weniger Dünger gebraucht wird. Neben dem kombinierten Anbau von Nutzpflanzen geht es auch um eine extensive Bearbeitung der Felder durch bodenschonendes Pflügen und wassererhaltende Maßnahmen im Boden. Wir untersuchen, ob wir mit einer solchen naturnahen Landwirtschaft Erträge erreichen können, die vergleichbar sind mit aktuellen Monokulturen. Vieles deutet darauf hin, dass sich große Vorteile ergeben können, wenn wir zu einer naturnäheren Bewirtschaftungsweise zurückkehren.
Leister: Wenn man den Boden ruiniert und das Wasser verschmutzt, schneidet man sich langfristig ins eigene Fleisch. Es ist toll, wenn man das durch schonende Anbaumethoden vermeiden kann. Gleichzeitig ist so eine Wirtschaftsweise womöglich technologisch anspruchsvoll und das Produkt dadurch teurer. Momentan braucht man in Monokulturen nur ausreichend Dünger auf die Felder zu schmeißen und kann, zumindest kurzfristig, sehr billig produzieren. Damit erreicht das Thema eine soziale Dimension, denn viele Menschen sind auf billige Lebensmittel angewiesen. Wir brauchen Entscheidungsträger, die wissenschaftlich gut beraten werden und praktikable Lösungen finden, die langfristig funktionieren.
Könnten künstlich veränderte Pflanzen natürliche Systeme auskonkurrieren, wenn sie von den Feldern in die Natur gelangen?
Leister: Interessanterweise höre ich diese Sorge in Bezug auf die Tierzüchtung selten. Bei einer modernen Hochleistungskuh befürchtet niemand, dass sie entkommt und unkontrolliert die Alpen besetzt. Zucht auf landwirtschaftlich erwünschte Eigenschaften geht auf Kosten der allgemeinen Fitness, die meisten Haus- und Nutztierrassen wären ohne uns nicht mehr überlebensfähig. Bei Pflanzen ist das ähnlich. Auch eine Pflanze mit verbesserter Photosynthese muss man wahrscheinlich hätscheln und pflegen, damit sie überlebt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich so eine Pflanze wie ein Unkraut verbreitet.
Fader: Diese Diskussion fokussiert sich sehr stark darauf, was wir im Labor an potenziell gefährlichen Organismen kreieren könnten. Mindestens genauso wichtig ist aber die Frage, in welchem Zustand sich unsere natürlichen Ökosysteme befinden. Wenn sie insgesamt geschwächt sind, werden sie anfälliger für Störungen und verlieren an Widerstandskraft. Klimawandel, Entwaldung oder Verschmutzung sind solche Stressfaktoren, die ein System aus dem Gleichgewicht bringen können. Hinzu kommt, dass die Systeme durch schwindende Vielfalt brüchig werden. Wir sollten nicht nur über künstliche Gefahren aus dem Labor sprechen, sondern auch darüber, wie wir natürliche Strukturen erhalten können.
Von den Polen bis zur Tiefsee gibt es keinen Fleck mehr auf der Erde, an dem der Mensch nicht irgendwie eingreift. Je weniger Fläche wir als Menschen in Anspruch nehmen, desto besser.
Gerade in Bezug auf die moderne Gentechnik gibt es Vorbehalte. Wird hier eine Grenze überschritten?
Leister: Bei aktuell akzeptierten Methoden wird nichts komplett Neues geschaffen. Vorhandene Gene werden durch den Austausch einzelner Aminosäuren leicht verändert. Ein Vorgang, der auch in der Natur jeden Tag passiert. Meine Arbeit würde ich im Grunde als nachhaltige Gentechnik bezeichnen. Pflanzen mit einer Generationszeit von mindestens einem Jahr brauchen tausende Generationen, um sich anzupassen. Das dauert für Experimente im Labor viel zu lange. Cyanobakterien schaffen eine Generation innerhalb weniger Stunden.
Wofür ist dieser Zeitraffer gut?
Leister: Wir arbeiten mit diesen Algen und lassen sie sich an bestimmte Bedingungen adaptieren. Dann schauen wir uns an, wie sich die angepasste Generation genetisch von ihren Vorgängern unterscheidet. Erst wenn wir die daraus gewonnenen Erkenntnisse auf Pflanzen übertragen, kommen gentechnische Methoden ins Spiel. Wir haben es schon geschafft, eine in den Algen entdeckte Punktmutation in Pflanzen einzubringen, wo sie ebenfalls zu einer verbesserten Stresstoleranz führte.
Anpassung im Zeitraffer
Dario Leister züchtet Blaualgen im Labor, indem er sie bestimmten Stressfaktoren aussetzt und überträgt die vorteilhaften Mutationen mittels Gentechnik auf Pflanzen.
Der gentechnische Ansatz auf der einen Seite und die Rückkehr zu naturnaher Landwirtschaft auf der anderen: Schließt sich das aus?
Fader: Ich bin grundsätzlich offen für verschiedene Ansätze, obwohl es zum Thema Gentechnik sicher geteilte Meinungen gibt. Landwirtschaft ist in vielerlei Hinsicht schon jetzt etwas sehr Künstliches. Wenn wir naturnahe Systeme mit nachhaltiger Bewirtschaftung und technologischen Innovationen kombinieren können und so gemeinsam den Weg hin zu einer erfolgreichen Klimawandelanpassung einschlagen – warum nicht? Ich sehe hier große Potenziale, sich gegenseitig zu ergänzen.
Leister: Zwischen künstlich und natürlich zu unterscheiden macht in der Landwirtschaft keinen Sinn. Es geht vielleicht eher um Nachhaltigkeit in dem Sinne, dass man die Menschheit ernährt und dabei möglichst wenig kollateralen Schaden anrichtet. Hierbei können wir uns von der Natur inspirieren lassen und clevere Lösungen entwickeln. Gentechnik ist nichts anderes als eine Weiterentwicklung von Züchtung, nur mit mehr wissenschaftlichem Know-how. Es kann nichts Schlimmes daran sein, Nutzpflanzen resistenter und effizienter zu machen. Das ist zwar künstlich, aber nachhaltig.
Intensiv oder extensiv?
Marianela Fader untersucht, ob man mit naturnaher Landwirtschaft Erträge erreichen kann, die sich mit denen von Monokulturen messen können.
Sind wir in der Lage, uns erfolgreich an den Klimawandel anzupassen?
Leister: Ich bin allgemein optimistisch, was den Erfindungsreichtum der Menschheit angeht. Was mir Sorgen macht, ist die Heterogenität von Staaten, Gesellschaften und Interessen. Das Leid wird global sehr ungleich verteilt sein, davon gehe ich aus. Länder, die weder die nötigen Ressourcen noch die Infrastruktur haben, um sich anzupassen, leiden bereits jetzt.
Fader: Das Erdsystem verfügt über eine gewisse Plastizität, auch menschliche Gesellschaften sind anpassungsfähig, wie die Geschichte zeigt. Je nachdem, worauf wir den Fokus legen, müssen wir uns jedoch eingestehen, dass manches schon jetzt nicht mehr zu retten ist. Ein Schlüsselfaktor sind die sogenannten Kipppunkte im Klimasystem. Wenn sie fallen, ist es recht wahrscheinlich, dass uns auch eine naturnahe Landwirtschaft mit künstlich optimierten Pflanzen nicht mehr retten kann.
Prof. Dr. Marianela Fader ist Inhaberin des Lehrstuhls für Physische Geographie und Nexus-Forschung an der LMU. Fader studierte Geographie an der Universität Göttingen. Promoviert wurde sie mit einer Arbeit am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Sie arbeitete als Wissenschaftlerin am Potsdam-Institut, am Institut Méditerranéen de Biodiversité et d’Ecologie marine et continentale (IMBE), Aix-en-Provence, Frankreich, und war Deputy Director des Internationalen Zentrums für Wasserressourcen und Globalen Wandel in Koblenz. Außerdem war sie als Beraterin unter anderem für die Weltbank, verschiedene deutsche Bundesministerien und Organisationen der Vereinten Nationen (FAO, WMO, UNESCO, UNEP) tätig.
Prof. Dr. Dario Leister ist Inhaber des Lehrstuhls für Botanik mit Schwerpunkt Molekularbiologie der Pflanzen an der LMU. Leister, Jahrgang 1967, studierte Biochemie an der Universität Tübingen und wurde mit einer Arbeit am Max-Planck-Institut für Pflanzenzüchtungsforschung, Köln, im Fach Genetik promoviert. Dort arbeitete er auch als Postdoktorand ebenso wie am Sainsbury Labotatory (John Innes Centre), Norwich, UK. Er habilitierte sich im Fach Genetik, bevor er im Jahr 2005 an die LMU kam. Leister ist Sprecher des DFG-Sonderforschungsbereiches „Der Chloroplast als zentraler Knotenpunkt der Akklimatisation bei Pflanzen“ und des ERC Synergy Grant-Konsortiums „Redesigning the Photosynthetic Light Reactions (PhotoRedesign)“.
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