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Physik: Ultrakurze Verzögerung

15.06.2021

LMU-Physiker haben gemeinsame mit Kollegen des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik (MPQ) erkundet, wie sich die elektronische Struktur von Materie auf deren Wechselwirkung mit Licht auswirkt.

Erzeugung von Attosekundenpulsen in einem Neon-Gasstrahl. | © Thorsten Naeser

Vor genau 100 Jahren erhielt Albert Einstein den Nobelpreis für Physik. Nicht etwa für die allgemeine Relativitätstheorie, sondern für die Erklärung des photoelektrischen Effekts, zu dessen theoretischer Beschreibung er Lichtquanten nutzte. Trifft nämlich Licht auf Materie, werden Lichtteilchen (Photonen) von ihr absorbiert und die darin gebundenen Elektronen dadurch angeregt oder sogar vollständig emittiert. Die elektronische Struktur des Materials, die durch die komplexe Wechselwirkung sehr vieler Elektronen entsteht, beeinflusst, wie lange dieser Prozess dauert. Physiker der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) und des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik (MPQ) haben den photoelektrischen Effekt nun noch einmal genauer untersucht, konkret dabei in einem Wolframkristall die Auswirkung der elektronischen Bandstruktur auf die Photoemission vermessen und theoretisch interpretiert.

Möglich macht dies die Attosekundentechnologie. Mit Hilfe ultrakurzer Röntgen-Lichtpulse der Dauer von einigen Attosekunden (10-18 Sekunden, also Milliardsteln einer Milliardstel Sekunden) lässt sich der zeitliche Ablauf des photoelektrischen Effekts ähnlich wie bei einem Stroboskop beobachten. Im Experiment schickten die Physiker die ultrakurzen Lichtpulse auf den Kristall. In jedem ausgesandten Lichtblitz befanden sich einige hundert Photonen, die jeweils ein Photoelektron erzeugen können. Mit Detektoren außerhalb des Kristalls fingen die Forscher dann die Elektronen auf und analysierten Laufzeit und Emissionswinkel.

Im Kristall konnten die Forscher nachweisen, dass die von den Photonen getroffenen Elektronen eine kurze Zeit benötigen, bis sie auf die Interaktion reagieren. Ein neuer Ansatz machte dabei die Attosekundenpulse möglich: Mit Hilfe eines sogenannten Überhöhungsresonators konnten die Forscher 18,4 Millionen Attosekunden-Röntgenlichtblitzen pro Sekunde erzeugen. Das ist etwa um den Faktor 1000 mehr als bisher in vergleichbaren Systemen üblich. Dadurch werden die Photoelektronen räumlich und zeitlich voneinander getrennt. „Da Photoelektronen sich untereinander abstoßen und so gegenseitig ihre kinetische Energie verändern, ist es wichtig, dass sie auf möglichst viele Attosekunden-Blitze verteilt werden“, erklärt Tobias Saule, Erstautor der Arbeit. Die Teilchen interagieren so kaum miteinander und die maximale Energieauflösung bleibt erhalten.

Die Forscher konnten so zeigen, dass Elektronen aus eng benachbarten Zuständen mit verschiedenem Bahndrehimpuls im Valenzband, also den äußeren Umlaufbahnen der Atome des Kristalls, bei der Photoemission eine sehr kleine Verzögerung aufwiesen. Erst nach wenigen zehn Attosekunden reagierten sie auf die Photonen.

Auch die Anordnung der Atome im Kristall hat Einfluss auf die Dauer der Photoemission. Ein Kristall ist aus vielen Atomen aufgebaut, deren Kerne positiv geladen sind. Sie bilden also ein elektrisches Potential, von dem Elektronen angezogen werden, ähnlich wie Murmeln in einer Delle. „Reist ein Elektron durch einen Kristall, ist es ein bisschen, wie wenn man eine Murmel über einen unebenen Tisch mit Dellen rollen lässt“, erklärt Stephan Heinrich, ebenfalls Erstautor der Studie. Die Dellen seien die Positionen der einzelnen Atome im Kristall und regelmäßig angeordnet. Die Murmel werde dadurch in ihrer Bahn beeinflusst und bewegt sich anders als auf einem flachen Tisch. „Wir konnten zeigen und erklären, wie sich so ein periodisches Potential im Inneren eines Kristalls auf den zeitlichen Ablauf der Photoemission auswirkt“, sagt Stephan Heinrich. Die beobachteten Verzögerungen sind auf den Transportweg der Elektronen vom Inneren zur Oberfläche des Festkörpers sowie auf die dabei auftretenden Streu-und Korrelationseffekte zurückzuführen.

„Unsere Erkenntnisse eröffnen erstmals die Möglichkeit, die komplizierten Wechselwirkungsprozesse von Vielelektronensystemen in Festkörpern auf einer Attosekunden-Zeitskala experimentell zu untersuchen und theoretisch zu verstehen“, ergänzt LMU-Physik-Professor Ulf Kleineberg, der Leiter des Projekts.

In Zukunft könnten diese Erkenntnisse dazu beitragen, neuartige Materialien mit optimierten elektronischen Eigenschaften und optimierter Licht-Materie Wechselwirkung zu entwickeln, wie sie etwa für effizientere Photovoltaikzellen, nanooptische Bauelemente zur ultraschnellen Signalverarbeitung oder für Nanosysteme in der Biomedizin benötigt werden.

Die Publikationen ist online abrufbar:
Stephan Heinrich et al., Attosecond intra-valence band dynamics and resonant-photoemission delays in W(110), Nature Communications, 2021.

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