Forscherinnen und Forscher des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik (MPQ) und des Exzellenzclusters MCQST haben zum ersten Mal Hinweise auf ein Phänomen beobachtet, das bislang nur vermutet worden war: Eine Theorie sagt voraus, dass bei der Kollision von ultrakalten polaren Molekülen sogenannte exotische gebundene Zustände entstehen können. Im Experiment erkennbare Änderungen der Stoßeigenschaften deuten nun darauf hin, dass das tatsächlich möglich ist.
Für ihre Untersuchungen nutzten die Forscherinnen und Forscher ein speziell geformtes Mikrowellenfeld, mit dem sie das Zusammenspiel verschiedener Kräfte zwischen den Teilchen gezielt beeinflussen können. Auf diese Weise können sich „Supermoleküle“ formen: vergleichsweise riesige und schwach verknüpfte Gebilde, die sich durch ein Feld aus Mikrowellen steuern lassen und deren Existenz den Verlauf der Stöße ungebundener Moleküle beeinflusst. Mit den neuen Ergebnissen schuf das Team ein vielseitiges experimentelles Werkzeug, um aus ultrakalten Molekülen exotische Formen von Quantenmaterie zu erzeugen.
Natrium-Lasersystem im Labor der Arbeitsgruppe von Immanuel Bloch
Das System erzeugt gelbes Licht für die Laserkühlung und Abbildung von Natriumatomen.
© MPQ
Vor rund 20 Jahren sagte der US-amerikanische Wissenschaftler John Bohn gemeinsam mit Kollegen eine bis dahin unbekannte Eigenheit von Molekülen voraus: Tragen diese eine unsymmetrisch verteilte elektrische Ladung – die Physiker sprechen dabei von Polarität –, können sie sich in einem elektrischen Feld zu schwach gebundenen „Supermolekülen“ zusammenfügen. Eine experimentelle Bestätigung dieser Vorhersage stand bislang jedoch aus. Nun hat ein Team um Xin-Yu Luo und LMU-Physiker Immanuel Bloch, Direktor am MPQ und Leiter der Forschungsabteilung Quanten-Vielteilchensysteme, erste Hinweise auf die Existenz solcher, im Vergleich zu anderen Molekülen riesigen Gebilde entdeckt.
Die Forscherinnen und Forscher bestrahlten ein ultrakaltes Gas aus dipolaren Molekülen mit einem formbaren Mikrowellenfeld und stellten dabei fest, dass sich die Eigenschaften des Gases stark veränderten – genau bei solchen Feldparametern, bei denen sich „Supermoleküle“ bilden sollten. „Treffen zwei polare Moleküle aufeinander, verhalten sie sich ähnlich wie zwei Kompassnadeln“, sagt MCQST-Forscher Xin-Yu Luo, der das Team am MPQ leitet. Unter dem Einfluss des Erdmagnetfelds weisen beide Nadeln nach Norden. Die auf diese Weise parallel ausgerichteten Nadeln stoßen sich ab. Bringt man die Nadeln allerdings nahe genug zusammen, wird die zwischen ihnen wirkende Kraft größer als die Wirkung des Erdmagnetfelds. Das erlaubt es den Nadeln, sich so auszurichten, dass sie aufeinander zeigen und sich somit anziehen.
Hauptvakuumkammer des Molekülexperiments:
In der Mitte der Kammer werden vier Hochspannungskupferdrähte zu einer Ultrahochvakuum-Glasküvette geführt, in der die ultrakalten Moleküle erzeugt wurden.
© MPQ
Ein ähnliches Wechselspiel verschiedener, gegensätzlicher Kräfte erfahren zwei polare Moleküle, wenn sie sich in einem äußeren elektrischen Feld annähern. „Die resultierende Wechselwirkung kann entweder zu einer Abstoßung oder Anziehung der molekularen elektrischen Dipole führen“, sagt Luo. Entscheidend dafür ist, in welchem Quantenzustand sich die beiden Moleküle befinden.
Drastische Veränderung der Kräfte
Die Theorie prognostiziert: Bei geeigneten Eigenschaften des elektrischen Feldes verbinden sich die beiden Partner miteinander in einem bestimmten Abstand. Es entsteht für kurze Zeit ein Gebilde, das bis zu einige Hundert Mal größer sein kann als ein einzelnes, ungebundenes Molekül. Ändert man die Parameter des elektrischen Feldes beim entscheidenden Wert ein wenig, so verändern sich die Kräfte zwischen den einzelnen Molekülen drastisch. Die Wissenschaftler sprechen von einem Resonanzphänomen, das sie als „feldinduzierte Resonanz“ bezeichnen.
Im Experiment fand das Team um Luo und Bloch zudem heraus, dass sich durch Verstellen von Frequenz oder Form des Mikrowellenfeldes die Stoßeigenschaften von Natrium-Kalium-Molekülen variieren ließen. Dazu störten die Forscherinnen und Forscher das molekulare Gas mithilfe von Laserlicht und beobachteten, wie schnell die Störung durch Kollisionen zwischen den Molekülen wieder verschwand. „Stellschrauben zu finden, mit denen wir die Wechselwirkung zwischen ultrakalten Molekülen kontrollieren können, ist für uns Quantenphysiker äußerst wichtig“, sagt Xing-Yan Chen, Erstautor der Studie.
Blick auf den Versuchsaufbau im Labor von Immanuel Bloch
© MPQ
Rotierende Felder
Obwohl die zugrundeliegende Theorie weitgehend anerkannt ist, war es bislang nicht gelungen, solche Resonanzen im Experiment zu beobachten. „Man ging davon aus, dass extrem hohe Feldstärken nötig seien, um ein feldinduziertes Molekül zu formen“, erklärt Dr. Andreas Schindewolf, der im Team von Xin-Yu Luo forscht. „Das angelegte Mikrowellenfeld dreht sich üblicherweise wie der Zeiger einer Uhr im Kreis.“
Ein solches Feld hatten die Wissenschaftler 2022 verwendet, um ultrakalte Moleküle zu stabilisieren und somit die kältesten dipolaren Moleküle der Welt zu erzeugen. „Dabei stellten wir überraschenderweise fest, dass eine unbeabsichtigte Verformung des Mikrowellenfeldes – quasi ein Übergang zu einer Uhr mit elliptischem Zifferblatt – zu dem Resonanzverhalten führte“, berichtet Schindewolf. Angespornt durch diese Beobachtung entwickelten die Forscher eine spezielle Mikrowellenantenne, um das Feld kontrolliert zu verformen und die Resonanz so zu charakterisieren.
Mit der Fähigkeit, die Wechselwirkung zwischen polaren Molekülen mit den feldinduzierten Resonanzen zu kontrollieren, können wir nun experimentell exotische Quantenmaterie erzeugen.
Prof. Immanuel Bloch
Exotische Quantenmaterie erzeugen
„Mit der Fähigkeit, die Wechselwirkung zwischen polaren Molekülen mit den feldinduzierten Resonanzen zu kontrollieren, können wir nun experimentell exotische Quantenmaterie erzeugen“, sagt LMU-Physiker Immanuel Bloch. So sollte es künftig möglich sein, einem molekularen Gas suprafluide Eigenschaften zu verleihen. „Daraus ließen sich weitere Erkenntnisse darüber gewinnen, wie sich Teilchen in einer Supraflüssigkeit oder Supraleiter paaren.
„Die feldinduzierten Resonanzen könnten es zudem ermöglichen, mit Molekülen eine sogenannte Suprasolidität zu realisieren – ein Zustand, der gleichzeitig Eigenschaften einer Supraflüssigkeit und eines Festkörpers aufweist“, sagt Xin-Yu Luo. Letztlich wollen die Forscherinnen und Forscher die Resonanzen dazu verwenden, einzelne Moleküle gezielt zu feldinduzierten Molekülen zusammenzuführen, um die Supramoleküle so besser zu stabilisieren und ihre exotischen Quanteneigenschaften auszunutzen.
Xing-Yan Chen, Andreas Schindewolf, Sebastian Eppelt, Roman Bause, Marcel Duda, Shrestha Biswas, Tijs Karman, Timon Hilker, Immanuel Bloch & Xin-Yu Luo. Field-linked resonances of polar molecules. Nature 2023.